Oral History

Musiker erzählen von den Abenteuern, die sie erlebt haben als die Berliner Mauer fiel


Zum Jubiläum 30 Jahre Mauerfall: eine Oral History von und mit MusikerInnen, die die Ereignisse des 9. November 1989 live auf beiden Seiten der Berliner Grenze miterlebt haben. Mit Berichten von Faith-No-More-Bassist Billy Gould, Jacques Palminger, Mia-Schlagzeuger Gunnar Spies, Christiane Rösinger und anderen Zeitzeugen, die sich an diese sagenhafteste Nacht der neueren deutschen Geschichte erinnern.

Günter Heinz: „Ich lief da wie durch einen Tagtraum entlang“

Der in Sachsen-Anhalt geborene Günter Heinz war als studierter Komponist und Posaunist schon auf vielen verschiedenen Bühnen der DDR und sogar auch im Westen aufgetreten. Am Mauerfall-Abend sollte der 35-jährige Künstler im Filmtheater „Babylon“ im Zentrum Ostberlins im Rahmen eines Jazzfestivals nun sein erstes Konzert mit seinem eigenen Quartett geben …

Free Jazz war in der DDR ziemlich beliebt, und die Veranstaltung war mit vielleicht 300, 400 Leuten auch gut besucht. Das Duo, das vor uns aufgetreten war, und Walter Norris (ein aus den USA stammender, durchaus illustrer Jazzpianist, der 1977 nach Westberlin gezogen war – Anm. d. Red.), der nach uns spielten sollte, standen allerdings für andere Jazz-Spielarten.

Der noch junge Jazz- und Improvisations-Musiker Günter Heinz mit seiner Posaune.

Als wir dann auf der Bühne waren und improvisierten, sah ich, wie die Leute sichtlich gebannt waren von unserer Musik. Aber da waren auch Menschen, die sich Kofferradios an die Ohren hielten. Um ehrlich zu sein: Ich war da noch völlig ahnungslos, was sich außerhalb des „Babylon“ zutrug. Wir hatten am frühen Abend noch in den Vorbereitungen des Konzerts gesteckt, gegen 21 Uhr begonnen, und erst danach erfuhren wir, was los war …

Der Flyer, mit der das Konzert im Babylon in Berlin-Mitte damals beworben wurde.

Das für mich bis heute eindrücklichste Bild des Abends war schließlich dieses einzelne Radio, das später noch verlassen auf der Bühne stand. Denn als sich die Nachricht im Publikum herumgesprochen hatten, leerte sich der Saal so schnell, dass Walter Norris nicht einmal mehr anfing zu spielen.

Als ich später auf dem Nachhauseweg nach Friedrichsfelde war, es muss schon nach Mitternacht gewesen sein, fiel mir auf, wie hell die Stadt strahlte und ich wie in einem Tagtraum da entlanglief: Ich konnte es einfach nicht fassen, dass die Grenze offen sein sollte.

Foto: Bernd Mast