Oral History

Musiker erzählen von den Abenteuern, die sie erlebt haben als die Berliner Mauer fiel


Zum Jubiläum 30 Jahre Mauerfall: eine Oral History von und mit MusikerInnen, die die Ereignisse des 9. November 1989 live auf beiden Seiten der Berliner Grenze miterlebt haben. Mit Berichten von Faith-No-More-Bassist Billy Gould, Jacques Palminger, Mia-Schlagzeuger Gunnar Spies, Christiane Rösinger und anderen Zeitzeugen, die sich an diese sagenhafteste Nacht der neueren deutschen Geschichte erinnern.

Eugen Balanskat: „Ich hatte das ja alles schon gesehen“

Eugen Balanskat ist bis heute Sänger der 1986 in Ostberlin gegründeten Punkband Die Skeptiker. Sie war damals eine der wichtigsten Underground-Gruppen der DDR. Und als die Mauer fiel, blieb Eugen erst einmal in seinem Bett liegen, wie er sich heute erinnert …

Durch meine Familie zog sich der gleiche Riss, der auch das Land spaltete. Meine Großmutter und ihre beiden Söhne lebten in West-Berlin, ihre beiden Töchter im Osten nahe Berlin. Familientreffen fanden zwangsläufig im Osten statt. Trotzdem wurden wir nicht müde, zu Hochzeiten oder Geburtstagen Reisen in den Westen zu beantragen.

Im Oktober 1989 wurde meine Großmutter 80 Jahre alt und wieder stellte ich einen Antrag und wartete auf die nächste Ablehnung, denn junge Leute – ich war damals 30 – ließ man grundsätzlich nicht reisen. Und plötzlich durfte ich doch! Als ich nach mieser Behandlung durch die „Staatsorgane der DDR“ vom Tränenpalast in den Bahnhof Friedrichstraße mit S-Bahn-Anbindung Richtung Westen durchgelassen wurde, schossen mir die Tränen in die Augen.

Aber da war auch Angst: Was, wenn sie mich im letzten Moment doch noch zurückhalten? Als ich tatsächlich im Westteil ankam, heulte ich wie ein Schlosshund. Eine Woche durfte ich in Westberlin bleiben. Ich hätte natürlich auch gar nicht mehr zurückkehren können, doch meine Band war mir zu wichtig, die wollte ich nicht im Stich lassen.

Die Skeptiker gehörten zu den sogenannten „anderen Bands“, womit die alternativen/punkgerooteten Bands der DDR gelabelt wurden – und unter denen waren sie die ersten, die beim staatseigenen Amiga-Label (im Februar 1989) einen Tonträger veröffentlichen durften – diese EP.

Es war kalt in dieser Oktoberwoche, und ich war geschockt von den vielen Obdachlosen. Schnell fiel mir auf, dass Geld dort fast alles dominierte. Kurz: Der Westen überforderte mich. So tat es mir auch nicht leid, in die DDR zurückzukehren. Vier Wochen später fiel die Mauer. Ich lag in meinem Bett, versuchte schon zu schlafen, als die Meldung im Radio kam. Ich freute mich unglaublich. Allerdings auch ein kleines bisschen darüber, dass ich beim ersten Massenansturm nicht dabei sein musste.

(Zur Feier von Eugen Balanskats 60. Geburtstag sind die Skeptiker gerade auf großer Jubiläumstour durch (ganz) Deutschland unterwegs!)

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