Oral History

Musiker erzählen von den Abenteuern, die sie erlebt haben als die Berliner Mauer fiel


Zum Jubiläum 30 Jahre Mauerfall: eine Oral History von und mit MusikerInnen, die die Ereignisse des 9. November 1989 live auf beiden Seiten der Berliner Grenze miterlebt haben. Mit Berichten von Faith-No-More-Bassist Billy Gould, Jacques Palminger, Mia-Schlagzeuger Gunnar Spies, Christiane Rösinger und anderen Zeitzeugen, die sich an diese sagenhafteste Nacht der neueren deutschen Geschichte erinnern.

Yvonne Ducksworth: „Er wohnte direkt auf der anderen Seite“

Die in Kanada geborene Yvonne Ducksworth war 1983 im Alter von 16 Jahren als Straßenkind nach Berlin gekommen und machte sich ab 1987 als Frontfrau der Hardcore-Punk-Band Jingo de Lunch einen Namen. Sie lebt heute wieder (nach einigen Jahren in den USA) in Kreuzberg, macht Musik – und Schnaps! Hier berichtet sie aus ihrer turbulenten Nacht vor 30 Jahren …

Natürlich waren wir auch im „Loft“ bei Faith No More! Ich weiß noch, ich war ziemlich schockiert, weil da so wenig los war, da waren vielleicht 150 Leute. Was Mike Patton rief bei der Zugabe, bekam ich allerdings nicht mit. Wir kapierten erst draußen auf dem Nollendorfplatz, was los ist, und wir liefen all den Leuten gleich hinterher, zum Brandenburger Tor.

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Dort war alles hell erleuchtet, CNN und andere Stationen sendeten bereits. Mir war sofort klar: Auf uns schaut gerade die ganze Welt! Ich war schon als Kid immer auf dieses Besichtigungspodest an der Mauer hinterm Rauch-Haus gestiegen. Von dort schaute ich auf die Grenz­anlagen und erinnerte mich daran, wo genau ich mich auf diesem Planeten befinde und was für ein unmenschliches Ding hier abgeht.

Yvonne Ducksworth brachte es als Sängerin der Berliner Hardrock-Punkband Jingo De Lunch im Jahr 1989 sogar zum Titelstar des Spex-Magazins.

Wir sind dann vom Brandenburger Tor zurück zum berüchtigten „Sexton“-Club am Winterfeldtplatz und haben die ganze Nacht gefeiert. Als ich rauskam, war es bereits hell, aber immer noch fuhren überall hupende Trabbis herum. Als ich an der Potsdamer Straße feststellen musste, dass sie die U-Bahn wohl wegen des großen Ansturms dichtgemacht hatten, beschloss ich einfach zu trampen. Ich hielt den Daumen raus und schon hielt ein Trabant. „Du musst mir halt nur sagen, wo wir hinfahren müssen“, sagte der Fahrer.

Als wir in Kreuzberg in die Adalbertstraße einbogen, wo ich an der Mauer mit Françoise Cactus, Lars Rudolph und dem Jazz-Schlagzeuger Peter Hollinger in einer WG lebte, stellte der Fahrer fest: „Ach du Scheiße, ich wohne direkt auf der anderen Seite!“ Wir waren jahrelang Nachbarn gewesen, ohne uns jemals gesehen zu haben – das ist so paradox! Ich hatte kein Geld bei mir, lief deshalb schnell in die Wohnung zu meinem Glas mit dem Wechselgeld, damit sich der Typ wenigstens einen Kaffee kaufen konnte.

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