Kommentar

R. Kelly: Ein Netzwerk, Jahrzehnte der Gewalt und neunmal verurteilt


R. Kelly ist in einem Prozess um Menschenhandel, Kidnapping und sexuelle Ausbeutung eines Kindes in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen worden. Ihm droht nun eine jahrzehntelange Haft. Ein Kommentar.

1996 erschien R. Kellys „I Believe I Can Fly“ – seither hat sich der R&B-Sänger in einer kranken, unerschütterlichen Selbstwahrnehmung geschmiegt, die ihn vor allem nicht davon abhielt, scheußliche Straftaten zu begehen. Nun endet sein Höhenflug, Mr. Kelly fällt tief auf den Boden der Tatsachen zurück und wird in insgesamt neun Anklagepunkten verurteilt. Dazu zählen Menschenhandel, Kidnapping und sexuelle Ausbeutung eines Kindes.

Die erste Rechtsprechung durch das Urteil der Geschworenen – bestehend aus sieben Männern und fünf Frauen – ist rechtskräftig und bewirkt, dass der Pop-Superstar in jedem Fall bis zur Strafmaßverkündung im Gefängnis bleiben wird. Diese ist für Mai 2022 angesetzt. Für R. Kelly bedeutet dies, dass ihm mehrere Jahrzehnte hinter Gitter blühen. In Chicago steht ihm unterdessen noch ein ähnlicher Prozess bevor.

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Die ersten Vorwürfe reichen sogar noch weiter in die Vergangenheit zurück: Im Prozess am U.S. District Court in Brooklyn, New York City wurden Straftaten behandelt, die sich bis ins Jahr 1994 erstrecken – es lässt sich erahnen, wie schwer die Anschuldigungen bei der Urteilsverkündung am Montag (27. September) gewogen haben müssen.

„Was in der Welt des Angeklagten geschah, blieb jahrelang auch in der Welt des Angeklagten verborgen.“

R. Kelly soll darüber hinaus Kopf eines Netzwerks gewesen sein, das für die Justiz eindeutig den Strafbestand des organisierten Verbrechens erfülle. Das Ausmaß seiner Taten ist so umfänglich, dass die Anklage drei Tage benötigte, um alle Taten des Popstars in einem Schlussplädoyer zusammenzufassen. Beweismaterial, unter anderem mit Bildern und Videos, in denen Kelly seine Straftaten selbst dokumentierte, sollen so verstörend gewesen sein, dass nur die Geschworenen mit Kopfhörern den zugehörigen Ton der bewegten Bilder hören durften. Ortsansässige Journalist*innen haben sich schwer getan, die Bilder objektiv einordnen und für die Öffentlichkeit beschreiben zu können.

Für die Opfer des Menschenhandel-Rings, bei dem vor allem Minderjährige zu den Opfern zählen, bedeutet dieser Schuldspruch vielleicht Genugtuung, die erfahrene Gewalt kann aber auch dieses Urteil nicht rückgängig machen. Eine der Anklägerinnen und Opfer, die aus Angst unter dem Pseudonym „Sonya“ im Gerichtssaal auftrat, erklärte: „Endlich kann ich mein Leben in Freiheit leben und mit dem Heilungsprozess beginnen.“ Sie hatte sich jahrzehntelang verstecken müssen – aus Furcht vor dem mächtigen Kreis von Mittätern, die Teil von Kellys Netzwerk waren.

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„Ich bin seit 47 Jahren als Anwältin tätig. Von all den Sexualstraftätern, die ich verfolgt habe, ist Mr. Kelly der schlimmste.“

„Was in der Welt des Angeklagten geschah, blieb jahrelang auch in der Welt des Angeklagten verborgen. Doch nicht mehr länger“, verkündete Staatsanwältin Elizabeth Geddes bei der Gerichtsverhandlung. Gloria Allred, Rechtsbeistand des zuvor benannten Opfers, ist schockiert über das Ausmaß der Gewalt, das durch R. Kelly ausging: „Ich bin seit 47 Jahren als Anwältin tätig. Von all den Sexualstraftätern, die ich verfolgt habe, ist Mr. Kelly der schlimmste.“ Allred vertrat bereits Opfer und Betroffene in früheren Fällen, die als Teil der MeToo-Bewegung gewertet werden – unter anderem gegen den Produzenten Harvey Weinstein und den Schauspieler Bill Cosby.

Für die Musikbranche ist dieses Urteil ein bitteres Schuldzugeständnis – denn die Verurteilung, die damit aus Vorwürfen juristisch aufgearbeitete Straftaten macht, wirft die Frage auf, wie solch eine organisierte Reihe von Verbrechen, bei der junge, oft auch minderjährige Frauen in den Kellern des Studio-Komplexes von R. Kelly gefangen gehalten wurden, jahrzehntelang totgeschwiegen werden konnte. Ein Missstand, der ebenso wichtig ist aufzuarbeiten, um Gewalt wie diese in Zukunft verhindern zu können.

Der Schuldspruch ist vor allem auch ein wichtiges Urteil für die MeToo-Bewegung, die seit Jahren gegen die Ausnutzung von Machtpositionen kämpft – bisher fast ausschließlich von Männern – und sich für die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt einsetzt. Während Opfer solcher Straftaten vor dieser Bewegung ihr Schicksal oft schweigend hinnehmen mussten, machen eindeutige Schuldsprechungen wie die im Fall Kelly die Hoffnung breit, dass Täter rechtmäßig für ihr Handeln bestraft werden. Und vielleicht auch, dass dieses Ausmaß der Gewalt in Zukunft verhindert werden könnte. Gloria Allred gab etwas Beistand für die Opfer: „Möge dies eine Botschaft sein an andere Prominente, die ihren Ruhm ausnutzen, um ihre Fans und andere zu missbrauchen. Die Frage ist nicht, ob das Gesetz euch einholt, die Frage ist wann.“