Experimentalmusik

Das vierte Soloalbum von Keyboarder, Dirigent und Komponist David Bedford wurde von Mike Oldfield, dem Ex-Kollegen der britischen Avantgarde-Szene, für sein neues Label produziert (Orec 206344). Die Programmsuite THE SONG OF THE WHITE HORSE schildert in fünf Abschnitten die legendären Phänomene, die sich um den Schauplatz der „Ballade vom weißen Pferd“ ranken. Ein Sequenzenmotiv, eingebettet in düstere Bläserchoräle, Zitat und Choralversion des üedthemas führen zu einem grotesken Scherzo-Teil mit Streicher- und Bläser-Fragmenten und einem wie ein Geysir herausschießenden Synthesizer-Solo.

Der dritte Abschnitt konserviert das authentische Bläserspiel des Komponisten, das sich vom Megalith auf der Erhebung des White Horse Hill zu bizarren Echos vervielfältigt. Die Lyrics des Songs werden vom Queens College Girl’s Choir gesungen und enden jäh in einem hysterischen Aufschrei, der laut Covertext dadurch erzielt wurde, daß einige Mädchen Heliumgas inhalierten. (4) Schemenhafte Orchester-Umrisse und nebulöse Cluster der Chöre, die in zwei Abteilungen Texte astronomischer Kataloge und der Sternwarte In Devon aufzählen – so läßt sich der statische Verlauf des kosmischen Opus STAR CLUSTERS, NEBULAE & PLACES IN DEVON zusammenfassen. Ein diffuses Klanggewoge, das Elemente der seriellen Schreibweise wie Raffinessen vergleichbarer Chor/Orchesterwerke von György Ligeti aufnimmt. (6) Die sintflutartig hereinbrechende „Hymn to Diana“ dieses College-Chors und die liturgischen Chor-/ Orchesterzeremonien eines David Bedford prägen die INCANTA-TIONS von Mike Oldfield – letztes Glied einer Kette experimenteller Fantasien, die der Klangmagier zugunsten einer kommerziellen Phase aufgegeben hat.

Wer die keltischen Klang-Reisen von Mike Oldfield, Tom Newman, Alan Stivell, Davy Rohl, Dan ar Bras u. a. um ein Juwel ergänzen will, sollte sich von folgenden Rillen überzeugen lassen: Ostinato-Sequenzen in Harfe, Vibraphon und E-Piano bilden die Einleitung zu einer düsteren Klangschwelgerei. Impressionistisch-verhangene Chromatik im Holzbläsersatz und den gedämpften Grundierungen der tiefen Streicher, eruptive Schläge, Rauschen der Becken und Gongs ergänzen das Tonbild und sind typische Elemente der Kompositionstechnik in der Live-Aufnahme der „Lorient Festival Suite“ mit dem Untertitel THE PILGRIM von Shaun Davey. Auch ohne die Verwendung von Originalmelodien trifft Davey den keltischen Tonfall um die Textvorlagen bemerkenswert sicher. Chöre, Instrumental- und Gesangssolisten aus den sieben keltischen Ländern und das Lorient Festival Orchester demonstrieren in 12 variantenreichen Arrangements (Totalzeit 48 Minuten) keltische Solidarität (TARA 3011/Vertrieb: ARC, Gutenbergstr. 29, 2057 Reinbek).

„Storm at Sea“ illustriert das Schicksal der Bewohner der Isle of Man. Ein Windstoß in den Hörnern ist das Signal für die beschwörende Gestik im Gesang von Shaun Davey, der in dramaturgischer Steigerung gegen die aufgewühlte See auftritt, die mit brausenden Streicherwogen und einem tosenden Percussion-Orkan charakterisiert wird und an Szenen von Richard Wagner, Benjamin Britten und Ralph Vaughan Williams anknüpft.

Die orchestrale Nordsee steuert auf einen dynamischen Höhepunkt mit einer aufschäumenden Percussion-Springflut zu, um im Epilog in die meditative Stille der Einleitung zurückzufallen.

Dann „Santiago“: eine Widmung an Galizien mit den spezifischen Dudelsäcken, den Gaitas. Santiago de Compostela ist ein Wallfahrtsort – daher die Prozession der Gaitas über wiegenden Bewegungen der tiefen Streicher. (6) Gaitas werden neben drei traditionellen Flöten sowie 12 akustischen und elektrischen Klangerzeugern von den Musikern der Gruppe Oskorri in die Bearbeitungen der MUSIK AUS DEM BASKENLAND (Folk Freaks/Pläne 40004014) eingebracht: Ein Exempel gegen Leierkasten-Durchschnittsfolk und unpolitische Exportsouvenirs wird da statuiert – und daher landet das unorthodoxe Projekt goldrichtig in dieser Rubrik. (5)