Interview

Sophie Passmann & Matthias Kalle im Interview: Podcasts sind mehr als nur ein Hype


Nach „Die Schaulustigen“ kommt mit „Jubel & Krawall“ nun der nächste Podcast von Sophie Passmann und Matthias Kalle. Warum es jetzt mehr um Popkultur als nur Serien geht, Bruce Springsteens „I’m On Fire“ nicht gut altert, Fiona Apple absolut krass und „Fleabag“ schon ein Klassiker ist, erzählen die beiden im Gespräch. Plus: exklusive Trailer-Premiere.

Raus aus der TV- und Seriensparte, rein in die große Welt der Popkultur: Sophie Passmann und Matthias Kalle haben mit „Jubel & Krawall“ einen neuen Podcast, der ab dem 9. Juli wöchentlich als Audible Original Podcast erscheinen wird. Sie schließen damit nicht nur mit ihrem vorherigen ZEIT-Podcast „Die Schaulustigen“ ab, sie öffnen sich auch für einen breiteren Diskurs über Musik, Bücher und Comedy. Ganz ohne Filme und Serien muss aber auch das neue Format nicht auskommen. In jedem Fall wollen die beiden Hörer*innen inspirieren – nicht zuletzt auch einander.

Exklusive Trailer-Premiere von „Jubel & Krawall“:

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Musikexpress.de: Warum ist ein Podcast immer noch das richtige Format für euch?

Matthias Kalle: Wir funktionieren sehr gut im Dialogischen und da bietet sich nun mal ein Podcast an. Die Zusammenarbeit mit Sophie ist für mich ein großes Geschenk, weil wir so voneinander lernen und profitieren können.

Sophie Passmann: Der Effekt wird jetzt noch stärker, weil wir nicht mehr nur über Filme und Serien sprechen, sondern über alles, was Popkultur ist. Über Literatur, Musik und auch über Comedy – was besonders mein Steckenpferd ist. Und wenn man über Medien, über die man sich freut, mit jemandem spricht, den man gut kennt und schätzt, dann lernt man automatisch etwas dazu.

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Kannst du mir dazu ein Beispiel geben?

Sophie Passmann: Es ist so, dass Matthias total F. Scott Fitzgerald verehrt. Aber wenn ich als junge Feministin Fitzgerald lese, dann finde ich da Frauen, die eindimensional oder zickig oder doof oder geldgeil dargestellt werden und Männer bringen die Handlung voran. Natürlich verstehe ich, warum er in der Literatur so bedeutend ist und Matthias kann meine Sicht auch nachvollziehen, aber er hat ihn nun mal in der Jugend gelesen. Matthias kann dagegen nichts mit meiner Verehrung für Virginia Woolf anfangen.

Matthias Kalle: Doch. Harry Potter kann ich nicht nachvollziehen.

Sophie Passmann: Ich wollte jetzt nicht J. K. Rowling mit F. Scott Fitzgerald gleichsetzen. Sonst kriegen wir noch einen Shitstorm. Aber ja, es gibt einfach popkulturelle Phänomene, die wir unterschiedlich bewerten.

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Wie entscheidet ihr, was im Podcast besprochen wird?

Sophie Passmann: Wir machen bei fast allem, was wir besprechen, den Klassiker-Test. Eine Serie, die das Zeug zum Klassiker hat, muss sowohl bei einem 45-jährigen Mann als auch bei einer 26-jährigen Frau bestehen. „Fleabag“ haben wir zum Beispiel im Podcast besprochen, obwohl es vor allem eine Serie für meine Generation ist. Sie bespricht Thematiken, die nicht unbedingt Matthias’ Kerninteressen entsprechen, aber trotzdem begeistern wir uns beide dafür, weil wir sehen können, dass da eine Allgemeingültigkeit in der Erzählweise zu sehen ist, die nicht nur fünf Jahre hält.

Matthias Kalle: Genau dafür haben wir in „Jubel & Krawall“ die Kategorie „Ich habe noch nie…“, in der wir vom jeweils anderen die Aufgabe bekommen, uns etwas anzuschauen, etwas zu lesen, uns etwas anzuhören, von dem wir meinen, es muss in unserem kulturellen Kanon eine Rolle spielen.

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Im Podcast sprecht ihr außerdem über Formate, die nicht gut altern. Ist da Musik auch ein Thema?

Sophie Passmann: Dass man heute mit einer aufgeklärteren emanzipatorisch oder diverseren Bildung auf Songtexte schaut, gibt es auch. Bruce Springsteens „I’m On Fire“ ist so ein prominentes Beispiel. Das ist ein Song, der mindestens an der Grenze zum Schwierigen ist. Es bleibt zwar diffus, aber im weitesten Sinne geht es um einen älteren Mann, der einer mutmaßlich minderjährigen Frau an die Wäsche will.

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Muss Musik eurer Meinung nach den Anspruch haben, ein Klassiker werden zu können?

Sophie Passmann: Nein, es gibt auch genug Musik, die gerade in die Zeit fallen möchte – das meine ich gar nicht mit Wertung. Sehr schnell wegproduzierte Popmusik sagt viel über unsere Zeit aus. Wenn man sich aktuelle Popmusikerinnen anschaut, stellt man fest, dass es mehrere Wellenbewegungen gibt. Zum einen sind da diejenigen, die sich in ihren Texten im Kontext zu einem Mann als heterosexuelle Frau positionieren, zum anderen gibt es wieder Emanzipationswellen, in denen es darum geht, unabhängig zu sein, so wie „thank u, next“ von Ariana Grande. Dazu kommen noch diejenigen, die emanzipatorisch damit arbeiten, dass sie besonders slutty sind. Dabei reflektieren die Künstlerinnen nicht, wie das in zehn Jahren wirkt. Sie schauen vielmehr, was sie in dem Moment machen möchten, und dass es relevant ist. Im Nachhinein betrachtet sagt so ein Album vielleicht sogar mehr über die Zeit aus als ein zeitloses Album. „Lemonade“ von Beyoncé hat zum Beispiel auch eine neue Welle besungener Selbstbestimmung eingeläutet. Sie hat so viele damit beeinflusst. Taylor Swift sicher auch, die vorher ganze Alben mit „Bitte verlass’ mich nicht, bitte bleib’ bei mir“ gefüllt hat und jetzt Platten macht, auf denen sie sagt, dass sich Menschen ins Knie ficken können, die nicht bei ihr bleiben wollen.

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Sollte gute Kunst auch ein bisschen in die Zukunft schauen können?

Matthias Kalle: Es ist schon viel getan, wenn Kunst oder Popkultur die Gegenwart erklären kann. Das ist als Aufgabe schon schwer genug. Also einzuordnen, in welchen Zeiten wir eigentlich leben, wie wir leben, wie wir uns zu allem positionieren, was uns umgibt. Sodass jeder, der das hört oder liest oder guckt, sich selbst hinterfragen kann. Wer bin ich? Und zwar nicht erst in fünf Jahren, sondern jetzt, in dieser Gesellschaft. Wenn dann noch etwas abgeliefert wird, das in die Zukunft weist, was man logischerweise erst hinterher wissen kann, dann umso besser.

Wo würdet ihr einen Podcast einordnen? Ist das Format Kunst, Hype oder noch mal etwas komplett anderes?

Sophie Passmann: Podcasts sind keine Kunst, sie sind ein Medium. Sie können kunstvoll erzählt sein, die Herangehensweise kann kunstvoll sein. Aber ein Podcast, wie wir ihn machen, ist weniger Kunst als Zeitdokument. Und ich bin mir sicher, dass Podcasts kein Hype sind. Sie sind ein gar nicht mal so neues Medium, das gerade ertragen muss, dass über es gesagt wird, was schon über YouTube und Blogs gesagt wurde – dass sie die Demokratisierung des Entertainments voranbringen. Weil jeder einen Podcast machen kann. Ich halte das für eine Floskel. Soll doch jeder einen Podcast machen. Sie nehmen ja keinen Platz im Internet weg.

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Warum habt ihr euch eigentlich thematisch noch breiter aufstellen wollen mit „Jubel & Krawall“?

Matthias Kalle: Wir haben gemerkt, dass unsere Gespräche abseits vom Podcast aus so viel mehr als nur Serien, Filmen und gutem und schlechtem TV bestehen. Und wenn wir uns über Popkultur unterhalten, dann machen wir das mit dem gleichen Verve. Der neue Podcast bildet uns einfach noch mal gesamter ab.

Wenn ich diese Woche nur Zeit habe, ein einziges Album zu hören, welches sollte das sein?

Sophie Passmann: „Fetch the Bolt Cutters“ von Fiona Apple. Ich habe es schon mindestens achtdutzend Mal gehört und komme nicht darüber hinweg, wie krass dieses Album ist.

Matthias Kalle: Ich werde mal meiner Rolle gerecht und sage „Steve McQueen“ von Prefab Sprout. Aber nicht die Akustik-Version!

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Hier könnt Ihr Euch die erste Folge kostenlos und ohne Voranmeldung anhören.

Zum „Jubel & Krawall“-Team:

Wenn Sophie Passmann nicht gerade im Podcast zu hören ist, arbeitet sie als Kolumnistin beim ZEITmagazin. Außerdem war sie Radiomoderatorin bei 1LIVE, gehörte zum Ensemble des Neo Magazin Royale und veröffentlichte 2019 das Buch „Alte weiße Männer: Ein Schlichtungsversuch“.

Matthias Kalle ist Autor des ZEITmagazins, bei dem er zuletzt auch stellvertretender Chefredakteur war. Zuvor war er für jetzt, Zitty und Neon tätig. 2017 erschien sein Werk „Als wir für immer jung waren“.