Das M-Experiment


Als die Monks 1966 den Rock'n'Roll dekonstruierten, war das Publikum überfordert. Heute gelten die Ex-G.I.s zwar als Wegbereiter, bekannt sind sie dennoch nicht. Was zwei Konzerte der reformierten Band und ein Kinofilm ändern könnten.

Zwei Welten prallten aufeinander. Da war die Beatband The Torquays, bestehend aus fünf ehemaligen G.I.s, die sich während ihrer Militärzeit im südhessischen Gelnhausen kennengelernt hatten. Fünf Gestrandete, die trotz Kuba-Krise und der beginnenden Eskalation in Vietnam die Militärzeit unfallfrei hinter sich gebracht hatten und nun ein bisschen Spaß haben wollten. Fünf Cold War Kids, die mit deutschen Frolleins in miefigen Beatclubs die deutsch-amerikanische Freundschaft hochleben ließen: Sänger und Gitarrist Gary Burger, Organist Larry Clarke, Bassist Eddie Shaw, Gitarrist Dave Day und Schlagzeuger Roger Johnston.

Und da waren Karl Remy und Walther Niemann, zwei smarte Kreative aus der Werbebranche. Remy, mit seinen 30 Jahren eigentlich viel zu alt für das damalige Pop-Business, hatte an der legendären Ulmer Hochschule für Gestaltung studiert. Niemann, ein Jahr jünger, hatte die Essener Folkwang-Schule für Design besucht. Beide zusammen machten aus den Torquays die Monks. Eddie Shaw erinnert sich: „Wir sprachen über die Kraft der Kommunikation, über Wut, Überimages, über Minimalismiis. Unser oberstes Ziel war die Dekonstruktion.“

Der ganz alltägliche Live-Pop klingt 1966 in deutschen „Beatkellern“ kaum anders als zwei, drei Jahre zuvor: Vier, fünf Typen trinken sich mit Asbach Uralt Mut an, entern mit Beatles-Boots die Bühne und spielen handgedengelten Rock’n’Roll. Hauptsache, das Publikum tanzt, denn die Gage ist mit dem Bierumsatz gekoppelt. Und verschwitzte Tänzer saufen eben mehr. Dass der Pop 1966 schon viel weiter und derart Rustikales komplett veraltet ist, weiß nur, wer die richtigen Platten hat. Von den Beatles und Beach Boys etwa, die Kaskaden des Wohlklangs aufeinanderschichten, umgarnt von Streichern und Bläsern: „Eleanor Rigby“; „God Only Knows“. Hipster mit seltsamen Sonnenbrillen, länglichen Haaren, bunten Klamotten und schöngeistigen Ambitionen. Die Hippie-Ära kündigt sich an, inhaltlich wie formal. Der Pop ist im Übergangsstadium, wird langsam zum Kunsthandwerk. Und dieses Kunsthandwerk ist schön, bunt und sehr harmonisch. Be sure to wear some flowers in your hair.

Im Herbst 1965 gastieren The Torquays in der Stuttgarter „Rio Bar“, als zwei Männer an sie herantreten. „Sehr konservative Kleidung“, erinnert sich Shaw, „Krawattenträger mit kurzen Haaren. Sie sahen aus wie zwei Jungmanager.“ Die Band glaubt zunächst, Vertreter einer Plattenfirma vor sich zu haben. Doch Remy und Niemann kommen aus der Werbebranche und haben Großes vor. Keine Beatplatte wie tausend andere. Remy und Niemann haben ein Konzept. Ein ziemlich radikales.

Aus den Torquays werden die Monks. Ohne „The“. Dafür mit Mönchstonsuren und schwarzen Kutten, was dem Zeitgeist nun wirklich diametral entgegensteht. Doch das sind nur Äußerlichkeiten. Ein Verhaltenskodex wird formuliert. Die Monks-Philosophie. Ein Manifest. Schwarze Kleidung, und zwar immer. Ein Monk sein, Tag und Nacht. Ohne Ausnahmen. „Karl war verrückt“, sagt Eddie Shaw in Dietmar Posts und Lucia Palacios Monks-Dokumentation „The Transatlantic Feedback“, die Anfang Oktober in deutschen Kinos anlief. Aber in Shaws Stimme schwingt Sympathie und Bewunderung mit, auch wenn ihn Karl Remy an „einen dieser deutschen Filmproduzenten“ erinnerte, „von Adelheimer, oder wie die immer heißen“. Remys introvertierter Gegenpol Walther Niemann agierte laut Schlagzeuger Roger Johnston stets im Hintergrund. „Er war genauso wichtig wie Remy, aber wesentlich ruhiger und immer nachdenklich.“ Die „Corporate Identity“ der Monks steht also, nun folgt die Musik. Rudimentäre Rhythmen, sich wiederholende Text-Fragmente, verzerrte Gitarren, Feedback und Larry Clarkes Stakkato-Orgel prägen den Sound ebenso wie Dave Day, der von der Gitarre zum elektrisch verstärkten Banjo wechselt. Nur, dass das traditionelle Bluegrass-Instrument bei ihm klingt wie eine mit Nägeln gefüllte Blechdose. Rhythmisch und aggressiv. „Wenn ein Song ursprünglich acht Akkorde hatte, dann reduzierten wir ihn auf zwei“, erklärt Eddie Shaw, „und von einem Text mit 15 Worten blieben nur drei Worte übrig.“ Reduktion bis zur Schmerzgrenze.

Die Art und Weise, wie Remy und Niemann die Monks positionierten, erinnert ein wenig an Malcolm McLarens Manipulationsversuche mit den Sex Pistols zehn Jahre später. Mit dem Unterschied, dass 1966 sogar der harmlose Pop-Mainstream dem Establishment hochgradig suspekt erschien. Brachiale Nonkonformisten vom Schlage der Monks wirkten auf die Öffentlichkeit wie Invasoren vom Jupiter. Ob die beiden Anti-Pop-Pioniere tatsächlich davon ausgingen, mit dem Experiment Monks Geld verdienen zu können, bleibt ein wenig nebulös. Dass sie etwas radikal Neues kreieren wollten und an ihre künstlerischen Visionen glaubten, ist hingegen unstrittig.

Dazu gehörte auch eine LP namens Black Monk Time, die im Sommer 1966 beim Label Polydor erschien – dank der Fürsprache des Polydor-Produzenten Jimmy Bowien, der das kommerzielle Risiko nicht scheute und am radikalen Sound der Monks Gefallen fand. In drei Tagen war die LP im Kasten, und Bowien schwärmt noch heute vom „Heavy Metal der ersten Stunde“. Die schlichte Harmonik ist Punk, die vordergründigen, reduzierten Beats sind Techno, der aggressive Gitarrensound klingt nach Metal, während die Attitüde an Industrial erinnert. Dazu Filmemacher Dietmar Post: „Obwohl diese Musik 1966 entstanden ist, klingt sie noch heute absolut frisch und modern. Modern in dem Sinne, dass sie nicht nur mit allen Regeln der vorherrschenden Popmusik der sechziger Jahre brach, sondern gleich eine ganze Palette an Musikrichtungen vorwegnahm.“

Und die Texte? Gebrüllte Parolen, mal nihilistisch, mal politisch, aber immer zornig. „I hate you baby with a passion“, heißt es in „I Hate You“, und weiter: „But call me.“ In „Monk Time“ schreit Gary Burger: „Why do you kill all those kids in Vietnam… James Bond, who is he?“ Liebe? Frieden? Blumen im Haar? Die Monks antworteten mit „Shut Up“.

Das Alltagsgeschäft beherrschten ausgiebige Tourneen durch die deutsche Club-Landschaft. Was nicht immer das reine Vergnügen war, denn was die Akzeptanz anging, konnten die Kuttenträger ein deutliches Nord-Süd-Gefälle ausmachen. Dave Day: „In Hamburg war es am besten, das Publikum akzeptierte uns sofort.“ In Süddeutschland hingegen, erinnert sich Eddie Shaw, konnte es auch mal Probleme geben „was wohl daran lag, dass diese Gegenden katholisch geprägt waren.“ Dass das Publikum auf das Getöse der Monks geschockt und ängstlich reagierte, war an der Tagesordnung, doch gerade in ländlichen Gebieten konnte es für die fünf Musiker auch mal unangenehm werden. Die Landjugend wollte eben lieber zu Top-40-Hits tanzen, statt sich von Gary Burger anbrüllen zu lassen. „Es war hart“, so Dave Day, „auf der Bühne zu stehen und Musik zu machen, die das Publikum ganz offensichtlich nicht mochte.“ Eddie Shaw erinnert sich an die Momente vor den Shows:

„Okay, sie werden uns hassen. Und jetzt gehen wir da raus und machen unser Ding.“

Ein Auftritt in Radio Bremens TV-„Beat Club“ sollte im Juli 1966 dabei helfen, die Monks und ihr Album bundesweit bekannt zu machen. Hans-Joachim Irmler, damals 15 Jahre alt und später Mitglied der Krautrock-Avantgardisten Faust, erinnert sich: „Das war ein Schock.“ Begeistert von „der Vitalität und dem Minimalismus“ der Monks, konvertierte er auf der Stelle. Was die Monks da im Ersten Deutschen Schwarzweiß-Fernsehen boten, war ja auch allerhand. Plötzlich lag Burgers Gitarre auf dem Bühnenboden, und sechs Hände machten sich daran zu schaffen, dem wehrlosen Instrument allerlei Krach zu entlocken. Die pure Anarchie. Davon überzeugt, die „Musik der Zukunft“ zu machen, blieben Remy und Niemann zunächst noch standhaft. Doch im Hier und Jetzt wurde es für die Band immer schwieriger, sich mit einem Publikum auseinanderzusetzen, das keine radikal neuen Klänge wollte, sondern Tanzmucke. Und das laut Eddie Shaw mitunter keinen Hehl daraus machte, was es von der Monk’schen Zukunftsmusik hielt: „Was soll die Scheiße?“

ES half ja alles nichts: Die Konzerte spielten zu wenig Geld ein, und Black Monk Time, mit seinem schlichten, schwarzen Cover-Artwork dem Zeitgeist auf fast erschütternde Weise entfremdet, lag schwer in den Regalen. Den Single-Auskopplungen ging es kaum besser. Das ist womöglich der Preis, den man zahlen muss, wenn man seiner Zeit zu weit voraus ist.

Charles Wilp, Werbefotograf und späterer Documenta-Künstler, wollte die Monks zwar für seine heute legendäre Afri-Cola-Kampagne verpflichten (vollgedröhnte Nonnen hinter beschlagenem Glas, die sich lasziv dem „Afri-Cola-Rausch“ hingeben, nur zur Erinnerung), doch den braven Brause-Brauern schien das viel zu gewagt. Remys Interesse schwand zusehends, und auch Niemann zog sich immer mehr zurück. Zwei verzweifelte (und vernachlässigbare) Pop-Singles und ein halbes Jahr später waren die Monks Geschichte. Die Bandmitglieder kehrten nach und nach in die USA zurück. In ein völlig verändertes Land, das sie 1961 verlassen hatten. Das M-Experiment war gescheitert.

Was blieb, war die Verehrung durch Musikerkollegen wie Jon Spencer, Hans-Joachim Irmler, Alec Empire, The Fall und Mouse On Mars. Was ebenfalls blieb, war ein gewisser Kultstatus unter Musikhörern, die das Ausgefallene zu schätzen wissen. Die reformierten Monks absolvierten kürzlich je eine Show in Deutschland und Österreich. Ohne Schlagzeuger Roger Johnston, der leider nicht mehr lebt. Grandios ist der aktuelle Film „The Transatlantic Feedback“, in dem Dietmar Post und Lucia Palacios die Geschichte des Kurzzeit-Phänomens Monks liebevoll zum Leben erwecken: „Für uns war dieserFilm wie eine Abenteuerreise ins Deutschland des Kalten Krieges“, so Post. „Die Frage war: Wie konnte es sein, dass fünf Amerikaner und zwei Deutsche eine Platte machten, die Kunst, Pop und Politik zu einem Gesamtkonzept verschmelzen ließ?“ Black Monk Time ist als CD erhältlich, ebenso einige Studio-Outtakes und das hörenswerte Tribute-Album Silver Monk Time. Dass auf dem Gelände der ehemaligen Coleman-Kaserne in Gelnhausen demnächst ein Denkmal enthüllt wird, ist dennoch unwahrscheinlich.

www.playloud.org

www.the-monks.com