Anton Corbijn im Interview: „Ich weiß nicht wem ich trauen kann“


Wir trafen den "A Most Wanted Man"-Regisseur Anton Corbijn zum Interview und sprachen mit ihm über seine düstere Weltanschauung, den 11. September 2001 und seine Hommage an Philip Seymour Hoffman.

Fotografie, Musikvideos, Spielfilme: Dem Niederländer Anton Corbijn fällt es schwer sich auf ein Steckenpferd festzulegen. Ab dem 11. September 2014 ist seine John-le-Carré-Buchadaption „A Most Wanted Man“ im Kino zu sehen. Darin vereint er Terrorismus mit Menschlichem und zeigt zugleich atmosphärische Szenerien in Hamburg, die in ihrer Stimmung an seine weltweit berühmten Fotografien von Stars wie Keith Richards und Bono erinnern lassen.

Anlässlich des Kinostarts des Spionage-Thrillers stellte sich Anton Corbijn im Berliner Hotel Adlon den Fragen der Presse und erzählte über den Film hinaus über seine fotografischen Anfänge, Philip Seymour Hoffman und die Wellen, die der 11. September 2001 geschlagen hat.

„A Most Wanted Man“ ist der dritte Spielfilm von Ihnen. Was schätzen Sie besonders an dem Medium Film?

Anton Corbijn: Es ist ein Abenteuer. Als Fotograf arbeite ich schon so viele Jahre und weiß, was ich mit einer Kamera alles machen kann. Aber das Filmen ist immer noch neu für mich und ich lerne dadurch andere Arbeits- und Denkprozesse kennen. Das lässt mich inspiriert bleiben. Es ist auf jeden Fall ein großer Unterschied zum Fotografieren – auch wenn man den zeitlichen Aspekt bedenkt. Wenn ich fotografiere, brauche ich nicht sehr lange. Ein recht berühmt gewordenes Foto, das ich von David Bowie gemacht habe, hat mich nur sieben Minuten gekostet. Einen Film zu vollenden, beansprucht so viel mehr Zeit und das sichert noch nicht einmal, dass am Ende etwas Gutes dabei herauskommt. Ein großes Risiko also…

Was war der Grund für Sie den Sprung von der Fotografie zum Film zu wagen?

Nachdem ich meine Liebe zur Musik entdeckte, wollte ich immer näher an die Bühne gelangen. Mit einer Kamera im Anschlag, erschien es für alle normal zu sein, dass ich so weit vorn war. Auf diese Weise fing ich an mich für Fotografie zu begeistern. Nach einer Weile kamen dann Leute auf mich zu und wollten, dass ich Videos für sie machte. Sobald ich damit begonnen hatte, war ich auch davon sehr angetan. Mir wurde oft gesagt, dass ich mal einen Film machen sollte, wogegen ich mich zuerst wehrte, weil ich gern für mich allein arbeite. Aber dann überredete man mich doch dazu „Control“ zu drehen. Da hatte ich noch nicht einmal einen Agenten, geschweige denn weitere Pläne im Bereich Film weiter tätig zu sein. Nur hörten die Angebote nicht auf und so wurde ich durch Zufall zum Regisseur. (lacht) Ich bin ein Tourist.

Woher kam Ihr Interesse für das Thema Terrorismus?

Im Moment bin ich besonders interessiert daran wie Menschen ihre Leben leben. Sie sind so von den Erlebnissen des 11. Septembers 2001 geprägt. Personen werden viel schneller in Gut und Böse eingeteilt. Als ich 2012 begann an dem Film zu arbeiten, war die Welt schon immens polarisierend. Aber jetzt, wo der Film herauskommt, ist es noch extremer geworden. Das Thema ist sehr aktuell. Man muss sich nur die Enthüllungen von Edward Snowden über die NSA anschauen. Genau solche Geschehnisse sind Einflüsse für den Film gewesen.

Leben wir in einer von Angst kontrollierten Gesellschaft?

Wenn es im Film auch keinen richtigen Antagonisten gibt, so ist doch die Angst gegenwärtig. Das Gefühl, das sicher irgendetwas passieren wird. Und ja, in unserer Gesellschaft werden eine Menge Dinge im Namen unseres Schutzes getan. Dahinter steckt viel Angst. Aber auch inkorrekte Interpretationen und Machtmissbrauch. Angst ist eine große Sache in unserem Leben geworden. Denn Terror kennt keine Grenzen. Er kann jederzeit und überall geschehen.

In welcher Weise hat der 11. September Ihr Leben verändert?

Als Fotograf zu arbeiten, ist seitdem ein Alptraum. Ich reise viel und meine Filme durch die Kontrolle zu bekommen, erweist sich als sehr schwierig. Männer, die wie Maschinen agieren, betrachten meine Filme und wissen gar nicht wie vorsichtig man damit eigentlich umgehen muss. Ich kenne Fotografen, die deshalb zum digitalen Fotografieren übergegangen sind. Aber das sind nur kleine Veränderungen… Ich finde es schon komisch wie sehr man sich in den 13 Jahren daran gewöhnt hat zu jeder Zeit wie ein Verdächtiger behandelt zu werden. Genauso komisch ist es doch, dass die Regierung sich eigentlich für unsere Freiheit einsetzen will und gleichzeitig sie so stark bedrängt. Und dann sind auch noch so viele Fehlinformationen im Umlauf… Ich weiß nicht wem ich trauen kann.

Der Film „A Most Wanted Man“ ist jetzt schon zu einer Hommage an den im Februar verstorbenen Philip Seymour Hoffman geworden. Wieso hielten Sie ihn für die perfekte Inkarnation von Günther Bachmann?

Für Bachmann wollte ich einen Schauspieler mit echter, physischer Präsenz. Der Filmcharakter ist ein Typ, der sich nicht wirklich um sich selbst kümmert, aber sehr intelligent ist und sein Herz an der richtigen Stelle hat. Philip gibt dieser ziemlich normalen Person mit seinem Können und mit seiner Körpersprache so viel. Auch wenn er nicht spricht, sagt es eine Menge aus. Für mich war es eine wahre Freude zu sehen wie diese Figur auf der Leinwand lebendig wird. Mir fällt kein anderer Schauspieler ein, der diesen Effekt vollbringen kann.

Seit Ihrem ersten Film zeigen Sie großes Interesse an Protagonisten, die wie einsame Wölfe wirken.

Ja, einsame Typen, die gegen das ankämpfen, was ihr Leben so unerträglich macht. Ich mag die melancholische Seite am Leben und nutze sie auch gern als Ausgangspunkt für meine Filme. Ich bin der Ansicht, dass wir alle unser Leben allein leben. Wir erleben die Welt nicht innerhalb einer Gruppe. Diese Sichtweise findet sich auch in meiner Fotografie wieder. Mich hat schon immer interessiert, welche Geistesverfassung Menschen haben müssen, um kreativ zu werden und oftmals geht Kreativität mit Schmerz einher. Über diesen schmerzhaften Prozess, das Individuelle, wollte ich mehr erfahren. Mich interessiert weniger der Orgasmus auf der Bühne als der Schmerz hinter der Kreation.

Wann wissen Sie, ob eine Idee von Ihnen gut ist?

Ich vertraue mir. Früher habe ich das weniger getan. Ich war wie ein Dokumentarfotograf, der viel Umgebung auf seinen Bildern zeigt und nicht viele Ideen in ein Bild steckt. Erst durch die Musikvideos hat sich das geändert. Denn da brauchte ich richtige Ideen. Und diese Idee von Ideen hat sich bald auch in meine Fotografie übertragen. So wurde ich verspielter, dann konzeptueller und jetzt bin ich bei ziemlich klassischen Portraits angekommen.

Sind Sie als Regisseur furchtlos?

Oh nein! Ich habe alle möglichen Ängste, die man sich nur vorstellen kann. Jeder Tag ist ein Kampf. Und gleichzeitig ist jede Minute auch eine Freude für mich. Denn auch wenn ich kein furchtloser Regisseur bin, so habe ich doch keine Angst davor dorthin vorzudringen, wo es mir Angst macht. Nur dadurch kann ich Filme machen.

In „A Most Wanted Man“ spielt erneut Herbert Grönemeyer mit. Wie haben sie zueinander gefunden?

Wir kennen uns schon seit 1988. Er fragte mich damals, ob ich ein Video für ihn machen würde. Aber ich wusste nicht, wer er ist und sagte ab. Daraufhin bat er mich um Fotos und ich willigte schließlich ein. Als wir uns dann in Paris trafen, war das eine sehr nette Begegnung und wir kollaborierten öfter. Auf diese Weise wurden wir Freunde. Nachdem seine Frau starb, wurde es noch enger zwischen uns. Zu der Zeit lebten wir beide in London und ich zog extra in seine Gegend, damit wir uns mehr sehen konnten. Wir arbeiten auch immer noch gern zusammen. Ich habe einige Bühnenauftritte von ihm kreiert, ein paar Albencover gemacht… Er hat mich auch dazu gedrängt Filme zu machen. Und ich sagte ihm immer, dass er dann mitspielen müsse. Das war so lange ein Witz bis ich tatsächlich einen Film gedreht habe, wo er nun auch drin zu sehen ist und sogleich auch noch für diesen und den letzten Film die Musik beigesteuert hat. Wir wissen wo die Stärken des anderen liegen, was sehr hilfreich ist.

Welchen Rat würden Sie jungen Filmemachern geben?

Findet eure eigene Stimme und benutzt sie. Ich denke es gibt größere Chancen heutzutage für Regisseure als für Fotografen. Denn jeder fotografiert in der heutigen Zeit und da ist jede Menge Mist dabei. Es ist so komisch, dass alles schon fotografiert wurde, aber noch nicht gelebt hat. Ich finde auch, dass man das von echter Fotografie trennen müsste. Denn nun wird schon ein Augenzwinkern zu einem Status erhöht, den es nicht haben sollte. Wenn man mich also fragt, was ich jungen Fotografen raten würde, wäre das: tut es nicht!

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