Simon Konrad über Silverchair


Simon Konrad, Kopf der Band Cargo City, hatte „Diorama“ von Silver Chair einst verschmäht. Großer Fehler! Jetzt läuft die Platte in seinem Auto auf und ab.

Silverchair haben mich in den 90er-Jahren auf meinem Weg durch die Pubertät ins Erwachsenenalter begleitet, die extreme musikalische Entwicklung auf deren ersten drei Alben vollzog sich sozusagen parallel zu meiner persönlichen. Das vierte Silverchair-Album Diorama von 2002 ließ ich allerdings nach ein paar wenigen, halbherzigen Hörversuchen links liegen, zu abgehoben fand ich das Werk damals. Ausserdem war ich viel mit anderer Musik, anderen Bands und mit mir selbst beschäftigt. Vor ein paar Monaten führte ich jedoch mit Anna-Lena, der Freundin unseres Bassisten Tommy, eine Fachdiskussion über Silverchair, während der sie nicht davon abkam mir „Diorama“ als ihr Lieblingsalbum der Band anzupreisen. Um mich davon zu überzeugen lieh mir Anna-Lena die CD kurzerhand aus….

Es ist mir im Nachhinein nicht ganz klar, wie ich vor zirka neun Jahren dieses Meisterwerk verschmähen konnte: Das Album ist unfassbar facettenreich, passt in keine Schubladen, und es ist fast schon aberwitzig, wie viele unterschiedliche Emotionen durch die 11 Songs transportiert werden. Daniel Johns singt, säuselt, fleht, kratzt und bellt sich durch das Album, er wechselt beneidenswert flüssig zwischen Kopf- und Bauchstimme. Durch den häufigen Einsatz von Streicher- und Bläsersätzen erlangen einige Songs orchestrale Ausmaße ohne sich jedoch selbst mit Pathos zuzukleistern.

Johns‘ Songwriting ist  komplexer und an vielen Stellen disharmonischer als bei den vorherigen Alben, was es zunächst schwierig macht sich in das Album reinzufinden, es einem jedoch nach einer gewissen Zeit noch viel schwieriger macht sich wieder rauszufinden.

Ich höre Musik mittlerweile am liebsten alleine beim Autofahren. Aufgrund Anna-Lenas exzessivem „Diorama“-Konsums springt die CD ab Lied Nummer 4 world upon your shoulders (einer meiner absoluten Highlights des Albums), trotzdem wurde und werde ich auch bei längeren Autofahrten einfach nicht müde nach Lied Nummer 3 direkt wieder auf 1 zu skippen.

Wenn man sich die Platte jedoch ganz anhört und sich nach 10 Liedern mit Daniel Johns gemeinsam durch exakt 10 verschiedene Gefühlslagen gekämpft hat, findet die Platte einen wunderschön versöhnlichen Abschluss (sofern man den Bonustrack ausblendet) mit der Ballade „after all these years“. Auch hier spricht mir Silverchair irgendwie aus der Seele, denn after all these years weiss ich dieses atemberaubende Album endlich zu schätzen. „Diorama“ ist für mich aufgrund der Zeitverzögerung im Entdecken der Platte wie ein Geburtstagsgeschenk zum 18. Geburtstag, das man damals vergessen hat auszupacken und das man erst mit 30 wiederfindet: Ein Stück Nostalgie und dennoch etwas Überraschendes und Frisches und mit Sicherheit ein Geschenk, das einem ewig in Erinnerung bleiben wird.

Simon Konrad ist Sänger der Band Cargo City, aktuelles Album: Dance / Sleep.

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