Al Stewart


Zwei Jahre lang mußte Al Stewarts LP „Year Of The Cat“ weltweit durch die Hitlisten driften, um auch die Ohren im hinterletzten Alpendorf zu erreichen. Seine jüngste Produktion „Time Passages“ dagegen schaffte es ohne den langen Marsch und schoß überall im Eiltempo in die Top Ten. Somit steht der schottische Sänger, Songwriter und Rhythmusgitarrist derzeit auf dem Gipfel des Erfolges – auch in Deutschland. Wer Ende November/Anfang Dezember im Verlauf einer Stewart-Tournee durch die Bundesrepublik allerdings einen strahlenden, souveränen Sieger erwartet hatte, wurde bitter enttäuscht: Oben auf der Bühne stand, so schien es, ein schlapper Banklehrling mit ’ner Gymnasiastenband und bot eineinhalb Stunden lang schlaffe Unterhaltung.

Al Stewart hat in der Vergangenheit hervorragende Platten gemacht. „Modern Times“ zum Beispiel, und natürlich „Year Of The Cat“. Sie enthielten wunderschöne, sanftmütige Songs, reich instrumentiert und mit unverwechselbarem Charme. Doch nach dem herausragenden, kreativen Jahr der Katze ist für den schottischen Soft-Rocker nun offenbar ein Jahr des Katzenjammers angebrochen. Denn neben all der Kunstfertigkeit und der persönlichen Ausstrahlung, die seine Platten transportieren, wirkt die Vorstellung, die der Schotte jüngst in den Konzerthallen gab, nicht nur kläglich, sondern sogar peinlich. Von Flair, das seine Songs auf Platte besitzen, blieb, mit Ausnahme vielleicht von „Time Passages“, kaum etwas übrig. Stewart langweilte. Ein Tanztee für höhere Töchter – das wäre ein Forum, vor dem er seine Trainingsstunden für öffentliche Auftritte ableisten sollte.

Daß Al Stewart kein Charisma besitzt, ist nicht sein Fehler. Entweder man hat’s vom heben Gott, oder man hat’s nicht. Aber muß der Junge deshalb gleich mit dunkler Hose, weißem Hemd und dunkler Krawatte rumlaufen? Ist es schon Rock’n’Roll, wenn eben diese Krawatte mit gelockertem Knoten getragen wird? Und ist es Rock’n’Roll, wenn man eine Begleitband auf Perfektion trimmt, ihr aber zugleich jeglichen Drive beschneidet? Was sollen denn ein Schlagzeuger, der anscheinend noch nie etwas von Off beat, ein Saxophonist, der noch nie etwas von Synkopen gehört hat. Was soll ein Gitarrist, der tausendmal gebrauchte Standardsoli spielt und dabei streng im simplen Akkordschema bleibt, gleichzeitig aber auf der Bühne den wilden Mann markiert, als sei er der kleine Hendrix höchstpersönlich?

Natürlich soll Stewarts sanfter Rock keine Musik sein um Knochen zu erweichen. Aber auch seine Art von Musik kann auf der Bühne für das berühmte Kribbeln sorgen, die Zuhörer einfangen, intensive Gefühlserlebnisse vermitteln. Vorausgesetzt, man arbeitet an ihr.

Die Eagles an Sterilität zu übertreffen, ist doch schließlich kein erstrebenswertes Ziel für eine Rockband, die etwas von sich hält und ihre Fans bis zu dreißig Mark für einen Konzertplatz löhnen läßt. Was AI Stewart bot, war tot. Er präsentierte seine berühmten Songs in Form einer Leichenschau. Ich fühlte nichts, absolut nichts, und wie ich später erfuhr, war ich bei Gott nicht der einzige, dem es so erging.

Dagegen steht natürlich, daß zum Beispiel im schon Wochen vorher ausverkauften Hamburger Congress-Zentrum drei Viertel des Publikums jubelte und diverse Zugaben erklatschte. Aber hier dominierten auch kleine Mädchen und ihre lieben Vatis und Muttis, die nicht sehr häufig Rockkonzerte besuchen. Da ist der Erlebnishorizont ein anderer.

Selbst diese Zuhörer sind aber vielleicht über zwei weitere Ungereimtheiten dieser Tournee gestolpert. Da war einmal die Verwendung eines kleinen blonden Engels, der nicht so richtig zur Band gehörte, weil er nur zu bestimmten Hilfsdiensten zugelassen war: ein kurzes Vorprogramm bestreiten, in einem Stewart-Song drei Keyboard-Tasten drücken, im nächsten drei Takte Chor singen, im übernächsten viermal das Tambourin schlagen. Zwischendurch mußte der Rauschgoldengel immer brav zurück in seine Warteposition hinter den Keyboard-Aufbauten. Aber als Trost hatte man ihn immerhin schön sexy angezogen, so daß immer, wenn er nicht da war, die Männerherzen traurig seufzten. Aber das Jahr der Katze war ja auch nicht das Jahr der Frau.

Ähnlich bemerkenswert dann noch ein Song, in dem sich AI Stewart mit dem zweiten Weltkrieg befaßt. Es ging um russische Soldaten, die sich mit Amerikanern, Briten und Franzosen verbrüdert hatten und später, als aus Russlands Verbündeten Gegner im Kalten Krieg wurden, dafür in Arbeitslager wanderten. Es ging um Alexander Solschenizyn, Adolf Hitler, Generäle und Armeen. Es ging um Opfer, verstümmelte Menschen, tot und halblebendig. Alles wurde illustriert mit Dias, die auf eine Wand hinter der Bühne geworfen wurden. Nun hat Captain Beefheart mal einen Elektro-Blues über das Konzentrationslager Dachau geschrieben; Bob Marley singt über das Elend in den Gettos seiner jamaikanischen Heimat, und in vielen Folksongs tauchen die Leiden von Menschen auf. Aber da stimmt immer Form und Inhalt überein. Al Stewarts steril vorgetragener Soft-Rock indes, paßt der zu der Grausamkeit, von der da gesungen wurde? Ein merkwürdiges Geschichtsverständnis ist das.