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„Alexa, generiere mal Umsatz!“: Wo Musiker*innen aktuell noch Geld verdienen können


Streaming hat der Musikbranche zugesetzt. Corona haute auch noch das Live-Geschäft weg. Wo gibt es als Musiker*in aktuell also noch was zu holen?

Newcomer*innen und Indie-Artists standen in diesem Jahr vor großen Fragen. Die schöne neue Welt der Streaming-Giganten hatte der Branche schon vorher zugesetzt. Corona haute auch noch das Live-Geschäft weg. Und die Musiker*innen saßen plötzlich am Online-Content-Fließband – und zwar in dem Zuhause, für das sie die Miete mit Mühe und Not zahlen können. Aber wo ist im Jahr 2020 überhaupt noch was zu holen?

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ZWEI MILLIONEN UMSATZ MIT EINER EINFACHEN IDEE, so heißt das aktuelle Album der Kölner Band The Screenshots. Das ironische Rock-Trio, bestehend aus den deutschen Twitter-Sternchen Dax Werner, Susi Bumms und Kurt Prödel, verfolgte mit der Veröffentlichung seines Albums vor allem ein Ziel: einen Platz in den deutschen Album-Charts. Am Ende landete die Band auf Rang 45. Sage und schreibe 500 Alben hat die Band laut GfK dafür verkaufen müssen. Das Album COLORS von Christopher von Deylen (of Schiller-Fame) verkaufte rund 7.500 Alben und landete im gleichen Chartszeitraum auf Platz 1. Das sind natürlich extrem ernüchternde Zahlen, vor allem wenn man bedenkt, dass es Corona-bedingt seit über einem halben Jahr kein Live-Geschäft mehr gibt, was bekanntlich längst mehr als die Hälfte des Einkommens der meisten Musiker*innen ausmacht. Tja, aber wie sollen Künstler*innen in diesen Zeiten mit ihrer Musik bloß noch Geld verdienen?!

Jahresrückblick 2020: Das sind die meistgestreamten Songs bei Spotify

1. Spotify

Nun, vor allem für alle Newcomer*innen klingen 0,003 Cent, die im Schnitt pro Stream ausgeschüttet werden, erst mal fast lächerlich. Aber es ist heute auch im deutschsprachigen Raum keine Ausnahme mehr, die Millionen-Marke mit seinen Songs zu knacken. Das sind immerhin 3000 Euro Umsatz. Mit einem Song. Das Problem: Ohne Playlisten ist das vor allem als unbekannter Act extrem schwer, in solche Dimensionen vorzudringen. Spotify bietet über seine „Spotify for Artist“-App zwar Künstler*innen die Möglichkeit, ihre Songs selbst für Playlisten-Formate zu pitchen, aber bei der Fülle von VÖs kann die kleine Redaktion dort niemals alles bewältigen. Die Gefahr, mit seiner Veröffentlichung dort komplett unterzugehen, ist also hoch. Wer sich übrigens über die mangelnde Vielfalt in den Spotify-Playlisten beschweren möchte, sollte sich erst einmal durch die öffentlich-rechtlichen, linearen Mark-Forster-Format-Radios in diesem Land zappen. Dort ist die Chance als Newcomer*in auf einen Platz in der Tagesplaylist (und somit eine Aussicht auf Tantiemen über die GVL und GEMA) noch viel kleiner als bei unserem Streaming-Riesen.

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2. Apple & Amazon

In Amerika ist Apple auf dem Streaming-Markt mit Spotify längst auf Augenhöhe, und Amazon verkauft – wenn nicht gerade Alexa – weltweit locker 70 Prozent aller physischen Tonträger. Wer also Umsatz mit seiner Musik generieren will, kommt auch als Indie-Künstler*in an Amazon und Apple nicht vorbei. Für kleine Plattenläden ist Amazon schon lange der erklärte Feind, weil Kunden lieber dort bestellen, als in den Laden zu rennen. Na ja, in der Provinz gibt es solche Läden ja längst nicht mehr. Apple hat mit iTunes viele Music Lover für immer in die digitale Welt gelockt und der Musikindustrie gezeigt, wie man im Internet Geld mit Musik verdienen kann. Amazon ermöglicht es einer unbekannten Band immerhin, ihre Vinyl-Platten über ihren Market-Place zu verkaufen – auch ohne konservative Vertriebspartner*innen weltweit. Aber will man wirklich ein Unternehmen unterstützen, das seit Jahren den kompletten Einzelhandel auffrisst!? Vor allem muss man seine Fans ja selbst zu Amazon hinführen. Dann vielleicht doch lieber direkt zu Bandcamp mit den Schallplatten?!

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3. Bandcamp

Bandcamp ist der große virtuelle Indie-Plattenladen unserer Zeit. Alle können hier ihre Produkte verkaufen. Von Hardcore bis Afrobeat. Digital und vor allem als Tonträger. Dafür aber, dass man die ganze Arbeit hier selber machen darf – also seinen Kanal administrieren, Promotion machen, Pakete packen etc. – sind die Margen für Bandcamp doch ziemlich üppig. Nun, Alben, die von der fachkundigen Bandcamp-Redaktion gehyped werden, verkaufen sich tatsächlich sehr gut. Und das weltweit. Aber die meisten Veröffentlichungen verschwinden leider auch hier als Karteileichen auf den unzähligen Micro-Sites. Und natürlich entwickeln sich auch bei Bandcamp Seilschaften mit diversen Partner*innen. Denn selbst etablierte Labels verdienen in der Regel mehr Geld mit Bandcamp-Lieferungen als über die alten Vertriebswege. Klar, weil man auf diesem Wege den Plattenladen und den klassischen Musikvertrieb umgeht. „Kill the middle man!“, wie der alte BWL-Cowboy zu sagen pflegt. Aber viele Künstler*innen finden ja weder Label noch Vertrieb für die eigene Musik. Und wollen das vielleicht auch gar nicht mehr. Die Labels sind ohnehin voll bis oben hin und haben kaum mehr Zeit noch Geld für Newcomer. Das natürlich auch, weil der Streaming-Markt – vor allem in den Nischen – bei Weitem noch nicht den Zusammenbruch auf dem physischen Markt kompensieren kann. Und auch weil es heute mehr und mehr um super lang gedehnte Kampagnen mit extrem vielen Single-Veröffentlichungen geht. Für die Künstler*innen und Labels werden Veröffentlichungen also immer aufwendiger – bei stetig sinkender Halbwertszeit. Und oft magerer Ausbeute.

4. YouTube

Auch das Videoportal macht Popstars, Fynn Kliemann zum Beispiel, zahlt aber pro Stream noch weitaus weniger als Spotify. Das Image von You-Tube ist trotzdem sehr gut. Kinder wollen heute YouTuber werden, wenn sie groß sind. Und Video produzieren sowieso alle ohne Ende, um sie mit der Hoffnung auf einen Viralhit umsonst ins Netz zu stellen. Sicher, ab einer gewissen Kanalgröße kann über Werbeeinnahmen auch hier Geld verdient werden. Aber für Newomer*innen ist das erst einmal sehr unwahrscheinlich. Sowieso: Man möchte doch Geld mit seiner Musik verdienen, und nicht mit Werbeeinnahmen. Die Arbeit, die man als Künstler*in in seinen YouTube-Kanal stecken muss, ist jedenfalls sehr groß. Und die Werbung, die man für seine Videos auf anderen Plattformen machen sollte, umso größer. Ja, und warum wundert sich eigentlich kaum jemand darüber, das immer weniger Menschen Musik kaufen, wenn sie Tag und Nacht mit kostenlosen Musikvideos zugespamt werden?!

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5. Instagram, Facebook, Twitter und Co.

„Sich selber promoten, das gehört verboten“, hat Christiane Rösinger einmal so schön gesungen. Dass es in den sozialen Medien vor allem um Werbeeinnahmen geht, wissen wir nicht erst seit der Netflix-Doku „The Social Dilemma“. Trotzdem sind soziale Medien längst die treibende PR-Kraft im Pop-Geschäft. Aber wer alle Kanäle zur Zufriedenheit der Algorithmen bedienen will, hat sich selbst einen unbezahlten Fulltime-Job geschaffen und findet am Ende kaum noch Zeit, das zu machen, was es zu bewerben gilt: Musik. Ach so, und wir haben auch noch gar nicht über TikTok gesprochen. Oder den nächsten Kulturförderantrag, um die Arbeit im Studio überhaupt zu finanzieren. Und die Video-Produktionen. Und die Werbeanzeigen bei Instagram. Oder die GoPro für den Livestream. Für die treusten Fans in der eigenen Bubble. Na ja, aber irgendeine Bühne brauchen Künstler*innen auch in diesen Zeiten. Macht doch auch alles Spaß! Spaß ist schließlich auch eine Art Währung. Nur dass man davon leider seine Miete nicht bezahlen kann. Nun, die Aktionäre von Amazon, Apple, Alphabet Inc. allerdings schon. (Deutlich mehr als) zwei Millionen Umsatz mit einer einfachen Idee.

Bandcamp: Zu diesen Dates bekommen Artists die Gesamteinnahmen

Dieser Artikel erschien erstmals im ME 01/21.