Be-BAP-A-Lula


Nun zieht sie wieder, die Karawane. Bis zum Frühjahr 1985 ist der Kölner Clan konstant auf Achse. Doch wer glaubt, bei einer Tournee dieser Größenordnung auf ein logistisch durchkalkuliertes Unternehmen zu treffen, wird aus dem Staunen nicht herauskommen. Eine BAP-Tour ist noch immer ein familiäres, improvisiertes Get-Together, bei dem auch die Fans auf Tuchfühlung gehen können. Daß soviel Volksnähe aber auch ihre Schattenseiten hat, konnte Andreas Hub feststellen, als er den BAP-Tournee -Troß für einige Tage begleitete.

Ein bißchen ist BAP wie Dallas: ein großes Spiel mit verteilten Rollen und festgelegten Charakteren. Das brauchen die Fans – feste Größen, mit denen man rechnen kann: Der ist so. und der ist so. Als ich Fans auf der Jagd nach Autogrammen fotografiere, kommt einer mit leuchtenden Augen auf mich zu: „Du bist der Co-Duck!“ Natürlich, ich habe eine Kamera in der Hand, also muß ich BAPs-Hausfotograf Co-Duck sein.

Diese 30-Sekunden-Episode geht mir die ganzen Tage im Kopf herum, zunächst scheinbar ohne Grund. Bis es langsam dämmert: Ich bin, ohne es zu wollen, selbst dieser Legende aufgesessen, komme selbst mit fertigen Bildern im Kopf, bin irritiert, verunsichert, verärgert, wenn diese Bilder plötzlich selbst laufen und verlaufen. Am Ende fragt der Major:“.Was willst du überhaupt schreiben? Von BAP hast du doch gar nichts mitgekriegt!“

Nanu – schon zu Ende? Die Hallenuhr steht erst auf halb elf: sie haben nur zweieinhalb Stunden gespielt. Bei BAP absolut die Ausnahme. Ein Blick auf das Publikum zeigt, warum: Völlig ausgepumpt, durchgeschwitzt, fast apathisch stolpern die Leute zu den Ausgängen. Die Luft ist zum Schneiden, die Temperatur in der Räuschberghalle im hessischen Alzenau geradezu unmenschlich.

Wenn das Publikum schon so aussieht, kann es denen auf und hinter der Bühne nicht besser ergangen sein. Von Dagmar Conrads Merchandising-Stand, wo sie die Fans davon abhalten muß, BAP-T-Shirts über ihren durchgeschwitzten Hemden anzuprobieren, versuche ich mir den Rückweg zur Bühne zu bahnen.

Wo die Musiker gestanden haben, stehen nun große Pfützen – aus Schweiß. Die Band sitzt ziemlich bedient in der Garderobe. Schmal sagt:“.Zum ersten Mal in den ganzen Jahren hab‘ ich gedacht, das macht keinen Spaß mehr. Irgendwann hatte ich das Gefühl, ich kann jetzt nicht mehr weiterspielen.“ Und Wolfgang:“.Bei .Frau, ich freu mich‘ (die erste Zugabe) dachte ich. ich werd‘ ohnmächtig.“ Der Major hat nur noch einen Wunsch: „Ein kaltes Bier!“ Das aber scheint unerreichbar. Zwar läuft in allen verfügbaren Waschbecken seit Stunden das Wasser – aber da kühlt nur profanes Mineralwasser. Jetzt in die Hallenkneipe? Fast unmöglich, denn draußen stauen sich noch die Fans in den Gängen. Bis in die Garderobe hört man die „Wolfgang-Wolfgang“-Sprechchöre. Als der Gerufene endlich erscheint, gibt es einen gellenden Aufschrei – und der bekannteste Wolfgang Deutschlands findet nur in einer Ecke Rettung vor ernsthaften Quetschungen. Nicht mal zum Schreiben von Autogrammen hat er Luft, bis Tourneeleiter Roland „Balou“ Temme das Schwergewicht seiner körperlichen und pädagogischen Autorität in die Debatte wirft.

Trotzdem geht die Drängelei weiter, sehr zum Verdruß der Crew, die keinen Platz zum Abbau hat. Und das kann zu brenzligen Situationen führen. Als ich über die Bühne gehe, springt Kalau mich an und brüllt: „Verpiß dich! Du hast hier nichts zu suchen! Hier wird gearbeitet!“

Nachdem alles verstaut, jedes Autogramm gegeben und die Hitzeschlacht verdaut ist, geht es ab ins Hotel. Ein Teil der Firma fährt schon nach Wiesbaden vor. weil Alzenaus Hotelkapazitäten nicht ausreichen, um alle unterzubringen. Aber die. die dableiben, haben es gut getroffen: Die Hotelleitung drückt ein Auge zu und läßt den Swimmingpool die ganze Nacht offen. Eine der „Kleinigkeiten“ am Rande, mit denen Balou seinen Leuten das Tourleben so erträglich wie möglich zu machen versucht.

Am nächsten Tag trifft man sich mittags um eins in der Rhein-Main-Halle, Wiesbaden. Das Ausladen beginnt. Die Stagehands sind Arbeit gewohnt, und zügig leeren sich die beiden Trucks. Von denen einer ausschließlich die transportable Bühne aufnimmt.

BAP besteht darauf, daß die Bühne 1.50 m hoch sein muß. damit auch die Leute hinten mehr sehen als nur hüpfende Haarbüschel. In früheren Zeiten hatten Veranstalter immer wieder mal einen halben Meter unter den Tisch fallen gelassen, um ein paar hundert Mark zu sparen, die natürlich in die eigene Tasche flössen. So hat sich die Gruppe zu dem nicht gerade alltäglichen Entschluß durchgerungen, ständig eine eigene Bühne durch Deutschland spazierenzufahren. In diesem Punkt sind sie stur, in anderen weniger – und sparen damit einen Haufen Geld, was den Eintrittspreisen entgegenkommt. Devise: Nicht über 14.-DM.

Jochen Smits. der Monitormixer: „Die größten Hallen, in denen wir diesmal spielen, lassen etwa 6000 Leute. Da würden andere Gruppen sicher mehr PA und eine größere Lichtanlage aufbauen, aber die Kosten wachsen dann ins Unermeßliche. Man muß ja nicht nur mit den Mehrkosten der Anlage rechnen, sondern man braucht noch einen Lkw. mehr Leute zum Aufbauen usw. „

Die Vorteile dieser „Materialschlacht Nein Danke“-Philosophie sind hörbar: Das Publikum wird nicht von einer Lärmwand erdrückt, sondern hört, was von der Bühne kommt – und hört sich selbst. Ehrensache, daß die meisten vom ersten bis zum letzten Ton alles mitsingen sofern sie die Texte beherrschen. Aber das tut hier eigentlich fast jeder.

Einer, bei dem man da ganz sicher sein kann, ist der „Hut“. Mit bürgerlichem Namen Martin Lehnert. ist der 25jährige Dekorateur aus Essen der BAP-Fan schlechthin und mittlerweile fast ein Mitglied der Familie. Der Hut, sein Spitzname, entspringt der unübersehbaren Kopfbedeckung, hat sogar ein eigenes Kapitel indem Buch „BAPövver BAP“.

Er erinnert sich: „Seit 1981 war ich bei gut 100 Konzerten mit dabei. Das erste habe ich in Hagen gesehen, das war noch in jenen unfaßbaren Zeiten, als man um viertel vor acht an der Abendkasse eine Karte kaufen konnte. Nachdem ich ein paar mal da war. sah ich immer schon die suchenden Blicke vom Major:, Wo ist der Typ mit dem Hut?‘ Und Wolfgang guckte immer zu mir rüber, wenn er mal trotz seines Buches nicht mehr wußte, wo er dran war. Ich war damals der einzige im Saal, der komplett jedes Wort mitsingen konnte.“ Was dazu führte, daß er es eines Tages auch auf der Bühne tun durfte: Bei einem Gig in Essen gab es das Duett Wolfgang und Hut. Ausdruck eines ungewöhnlichen Verhältnisses zwischen Fan und Band.

Als der Hut mit seinem Camping-Bus vor dem Hotel in Wiesbaden eintrifft, kommt der Major ihm entgegen: die beiden fallen sich erst mal um den Hals. Der Hut über seine Beziehung zu BAP: „Ich bin diesen drei Buchstaben verfallen. Natürlich werde ich von manchen Leuten als Idiot angeguckt, der angeblich nichts anderes im Kopf hat. Aber das ist absoluter Blödsinn. In Anlehnung an den alten Fußball-Spruch ist BAP für mich die schönste Nebensache der Welt. Sie geben mir das Gefühl, bei ihnen nicht nur geduldet zu sein. Das merkst du spätestens dann, wenn Einladungen zu privaten Feten kommen.“

Sind BAP seine richtigen Freunde? „Sie sagen es immer, aber Leute, die ich täglich sehe, mit denen ich meine Probleme löse, das sind BAP sicher nicht.

Als die Anlage in Wiesbaden steht und die Musiker langsam mit dem Sound-Check beginnen, setze ich mich mit Balou ins benachbarte Frankfurt ab, um ein Konzert der befreundeten Rodgau Monotones zu sehen. Auf meine erstaunte Frage, wieso er als Tourneeleiter sich einfach für ein paar Stunden selbstständig machen kann, lacht er nur: „Natürlich würde sich ein Lippmann & Rau-Tourbegleiter niemals erlauben, zu einem Ami zu sagen: .Mach deinen Scheiß mal selber! ‚ Aber wir sind hier bei BAP! Hier sind alle einigermaßen vernünftig, da brauchen wir keinen Kindergärtner.“

Seine Aufgabe ist es. die Firma BAP auf Tour nach außen zu vertreten, den Kontakt zwischen allen beteiligten Parteien – Gruppe, Crew, Veranstalter, Hausmeister, Medien, Fans zu halten und zu regeln. Seit BAP sich vor der 84/85er-Tournee entschlossen hatte, auf eine Agentur zu verzichten und auch die Konzerte selbst zu organisieren, gibt es die BAP-Unterfirma „Balou-Konzerte“.

„Natürlich werden die Hallen davon nicht anders, daß ich sie buche. Aber es gibt so atmosphärische Sachen, z.B. was den Verzicht auf Rocker als Ordner angeht.“

Unorthodoxe – mißgünstige Kollegen sagen auch: unprofessionelle – Wege geht man auch bei der Auswahl der örtlichen Organisatoren: „Einige der ganz Großen -haben wir getilt. Die haben soviel Kohle, die haben gar kein Interesse, ein Konzert sorgfältig vorzubereiten. Wir sind in der glücklichen Lage, uns die Leute aussuchen zu können, mit denen wir arbeiten. „

Gut ein Viertel der „Örtlichen“ sind Amateure – Kreisjugendringe, Initiativen, alternative Kulturzentren: „Die geben sich sehr viel Mühe und gleichen damit Sachen aus, die bei ihnen fast nie klappen, weil ihnen die Erfahrung von Profis fehlt. Aber dann kommen da eben 20 Jungs mehr zum Anpacken und dann läuft das.“

Als wir nach Wiesbaden zurückkehren, ist die Halle bereits brechend voll. Es ist zwar nicht ganz so heiß wie gestern, trotzdem müssen die Ordner wieder einige erschöpfte Kids aus den vorderen Reihen herauslotsen. Auf dem Laufsteg vor der Bühne, als Alternative zu den bei BAP verpönten Sperrgittern, postieren sich Ordner mit großen Wasserbottichen und reichen Pappbecher ins Publikum.

Nachher in der Garderobe das übliche Bild: Tag der offenen Tür. Ob es der Chef der Plattenfirma Electrola ist, der mal eben zum Guten-Abend-Sagen vorbeigekommen ist, oder die Fans aus Berlin, die gestern schon in Alzenau mit großem Transparent auf sich aufmerksam machten und jetzt ganz selbstverständlich mit Wolfgang plaudern. Andere wollen nur Autogramme haben oder mal gucken; keiner wird abgewiesen oder unfreundlich behandelt.

Der Chilene Daniel Barrios, vom Fan zum Roadie gewordenes Firmenmitglied und auch für die Bearbeitung der Fanpost zuständig: „Dieses Sich-Nicht-Abkapseln ist immer eins der besonderen Merkmale von BAP gewesen. Im Grunde verhalten sie sich auf diesem Gebiet immer noch wie eine Amateurband, die nur einen ganz kleinen Kreis von Fans anspricht.

Ich finde es gut, die Leute so weit an sich herankommen zu lassen. Schwierig wird es. wenn sich daraus ein weitergehender Anspruch ergibt – und die Leute persönliche Freundschaft erwarten. Es ist nicht ganz einfach, da eine Grenze zu ziehen, ohne Gefühle zu verletzen. „

Daß sich BAP damit zum Sklaven des eigenen Anspruchs machen, glaubt Daniel nicht: „Es ist ja nicht unser Fehler, wenn die Leute denken, sie kriegen immer mehr; aber die Freiheit, den Kontakt nicht von vornherein zu unterbinden wie sonst bei Bands dieser Größenordnung üblich, ist ein schönes Gefühl.“

Inzwischen sitze ich mit Schmal in einer ruhigen Garderobenecke. Er erzählt, daß er und andere Bandmitglieder morgen früh, noch vor dem Auftritt in Aachen, einen Abstecher nach Köln machen werden, um wenigstens für ein paar Stunden bei der Familie zu sein.

„Das mag zwar lächerlich klingen, weil wir abends sowieso nach Hause fahren und übermorgen die Ferien anfangen, aber wenn man so lange weg ist, ist das unheimlich wichtig: und wenn’s nur für kurze Zeit ist.“

Es entwickelt sich ein längeres Gespräch über das Tour-Leben im allgemeinen: „An die Legende von .Sex und Drugs and Rock’n’Roll‘ glaube ich nicht. Das sind romantische Märchen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Mensch innerlich derart hart ist. wirklich so zu leben. Das hält doch niemand aus. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß sich jemand jeden Abend ’ne andere Frau fürs Bett anlacht.

Ich sehe zwar, wie sich die Gespräche auch bei uns manchmal auf Stammtischniveau verkürzen, wenn wir sehr lange unterwegs sind, aber das ist dann ein Alarmzeichen. Mein Leben auf Oberflächlichkeiten zu reduzieren, ist für mich unvorstellbar. „

Anschließend fahre ich mit Wolfgang und Schmal durch die Stadt, auf der Suche nach einem offenen Restaurant. Alles zu. Wir landen in einem Laden, der sich als Sammelbecken für all jene entpuppt, denen der Wirt schon den Zapfhahn abgedreht hat. Der stinkbesoffene Thekennachbar fragt uns immer wieder, ob wir denn keinen Optiker bei uns hätten. Wenigstens weiß er nicht, wen er vor sich hat; und auch die anderen Gäste wollen weder ein Autogramm noch „immer schon mal wissen, wie die Leute von BAP so sind“.

Am nächsten Morgen erbe ich drei Beifahrerinen – Fans, die ihre Ferien dazu nutzen, BAP auf Tour zu begleiten. Heike ist mir in Alzenau schon aufgefallen. Sie ist 16 und über ihre Mutter an BAP gekommen. Und als ihr der Englisch-Lehrer noch eine LP lieh, waren die Weichen gestellt.

Kennengelernt hat sie die Band allerdings nur, weil sie keine Karte für ein Konzert bekam: „Ich habe mich dann, das war irgendwann im Januar vor einem Jahr, mittags an den Backstage-Eingang gestellt und gewartet. Als ich um sechs immer noch da war, hat der Major mich reingeholt.

Das ist ja das Tolle, daß die so normal sind. Bei irgendeiner anderen Gruppe könnte ich mir so was gar nicht vorstellen.“

Einen Tag später erzählt sie mir traurig, daß der Major an ihr vorbeigegangen ist, ohne sie eines Blickes zu würdigen. „Als wenn er mich überhaupt nicht kennen würde!“ Ich denke an Daniels Worte und kann beide gut verstehen.

Bei der Ankunft in Aachen ist die Stimmung so kühl wie die Umgebung, eine Eishalle. Besonders Hans „Fonz“ Wollrath, der Mixer, zieht ein langes Gesicht. Der Sound dieser Halle, wo noch nie eine Rockgruppe gespielt hat, ist unter aller Sau; alle haben Angst, daß unter solchen Umständen nichts, aber auch gar nichts Brauchbares herauskommen kann. Wie schon so oft, erweist sich der Pessimismus als übertrieben. 6000 Fans sind begeistert.

Zwischen Wolfgang und einem Rundfunkreporter entspinnt sich folgender Dialog: Wolfgang: „Also, gestern in Heidelberg …“

Reporter: „Nein, gestern wart ihr in Wiesbaden.“

Wolfgang: „Also, dann vorgestern in Heidelberg…“

Reporter: „Nein, vorgestern wart ihr in Alzenau.“

Wolf gang: „Na gut. also dann vorvorgestern in Heidelberg …“

Getroffen, aber es werden noch über 100 Auftritte bis zum Frühjahr folgen…

Wir ziehen uns in einen leeren Raum zurück, und ich bitte Wolfgang um ein paar abschließende Worte zum ersten Teil der „Zwesche Salzjebäck un Bier“-Tour.

..Es ist diesmal total anders als auf allen vorherigen Tourneen. Manchmal ist es ein Gefühl wie Urlaub. Das Verhältnis zum Publikum ist ganz anders geworden. Die Leute sind nicht mehr nur zum Bedient-Werden da – und wir nicht mehr nur zum Bedienen. Wir haben uns angenähert. Weil wir die Leute anders behandeln, behandeln auch sie uns anders.

Aber jetzt freue ich mich erst mal auf den Urlaub, obwohl auch das eine neue Situation ist: Wenn ich früher mit der Gitarre am Strand saß, werde ich jetzt wohl hauptsächlich meinem Sohn den Sand aus dem Mund friemeln.“