Die heimliche Karriere des Peter Baumann


Anfang der 70er, als das mit den Synthesizern gerade richtig losging, war er mit der Berliner Band Tangerine Dream bereits ganz oben. Heute hat Baumann eine eigene Plattenfirma und lebt in Kalifornien vom Boom der New Age-Musik. ME/Sounds- Mitarbeiter Rolf Lenz besuchte den Selfmade-Mann in LA.

Der Blick von der Hotelterrasse ist umwerfend. Sonne und blauer Himmel über den Dächern von L.A., kein Smog, nur eine riesenhafte Bilderbuch-Palme spendet in der Affenhitze Schatten. Peter Baumann wohnt mit Frau und Tochter in Hollywoods Bei Age-Hotel; die junge Familie hat sich zwar schon ein geeignetes Heim in einem nahegelegenen Tal ausgeguckt, kann aber noch nicht einziehen. Als Baumann vor acht Jahren in die Staaten ging, ließ er sich zunächst in New York nieder, baute sich ein eigenes Studio und nahm zwei Pop-Platten auf, die beide keine größeren Wellen schlugen. Für Peter waren sie „interessante Experimente“, aber sein Haupt-Interesse galt weiterhin der Instrumental-Musik.

„Als ich meine Frau kennenlernte, machten wir Urlaub auf einer kleinen Insel, und ich hatte einen Schuhkarton voll Cassetten mit alten Produktionen dabei. Das waren lauter so Instrumental-Sachen, die nie veröffentlicht worden waren, und meine Frau bippte * völlig darauf aus. Sie ist typisch für s. jemanden, der hier in den 60ern und 70em aufgewachsen ist: mit viel Musik und jede Woche ein oder zwei Platten kaufen. Dann war auf einmal nichts mehrfir sie da, die Musik war entweder sehr steril oder sprach nur 16- bis 20jährige an …“

Nicht nur Frau Baumann ging es so. Auf der ganzen Welt entdeckten immer mehr Um-die-30jährige den Reiz der sogenannten „New Age“-Musik: ruhige, meditative Klänge, wie sie beispielsweise die ausnehmend erfolgreiche amerikanische Plattenfirma Windham Hill anbietet. Baumanns Schuhkarton-Cassetten waren plötzlich im Trend.

Wo genau der Begriff „New Age“ herkam und was ursprünglich damit gemeint war, darüber werden sich die Gelehrten noch jahrzehntelang streiten. Sicher ist, daß es beileibe nicht bloß um Musik ging. „Ich glaube, daß das aus dem sozialen Gewissen heraus kommt: Viele Leute trinken nicht mehr, rauchen nicht mehr, schnupfen kein Kokain mehr und sehen auf einmal alles mit viel klarerem Bewußtsein. Sie machen auch mehr Gymnastik und leben insgesamt gesünder“, faßt Peter Baumann zusammen und nimmt einen Schluck koffeinfreie Diät-Cola.

New- Age war die erste Musik-Kategorie, mit der sich alte Hippies und neue Yuppies gleichermaßen anfreunden konnten — die einen hatten eh schon immer was für Meditation übrig, und die anderen wußten endlich, welche Musik sie am völligen Durchdrehen hindert, wenn ihr BMW mal wieder im Stau feststeckt.

Peter Baumann hatte gar nicht vor, sich an diesen Zug anzuhängen, als er 1984 in New York die Firma Private Music gründete, aber da er fast ausnahmslos Instrumental-Musik veröffentlichte, rutschte sein Label automatisch in die neue Schublade.

Nicht, daß ihn das stören würde: „Das macht vieles einfacher, man kriegt eine eigene Ecke in den Plattenläden, und jetzt gibt es sogar schon Radiosender, die sich auf New Age und ähnliche Musik spezialisiert haben.

Man weiß allerdings wirklich nicht, ob das nur ein kurzer Trend ist oder ob das ein Bestandteil des Musiklebens wird. Letztlich hängt’s nur davon ab, wie gut die Künstler sind Wir haben aber auch nicht bloß New-Age-Musiker auf Private Music: Der Leo Kotlke hat schon vor 20 Jahren Musik gemacht, und Ravi Shankar schon vor 40 …“

Gitarren-Virtuose Kottke und der legendäre indische Sitar-Spieler Ravi Shankar sind nur die bekanntesten Namen aus dem Private Music-Katalog. Bei Baumann sind auch Leute wie der frühere Roxy Music-Keyboarder Eddie Jobson, David Bowies Gitarrist Carlos Alomar, Avantgarde-Percussionist David Van Tieghem oder Geiger Jerry Goodman (ehedem in John McLaughlins Mahavishnu Orchestra) unter Vertrag. Und die Bilanzen können sich inzwischen durchaus sehen lassen: „Wir haben zwar keine Millionenseller, aber wir verkaufen genug, um die Firma damit zu finanzieren.“

Sie verkaufen auch genug, um es Peter Baumann zu erlauben, sich mit 34 aus dem aktiven Geschäftsleben zurückzuziehen. „Ich arbeite nicht mehr als Präsident. Da haben wir jemanden eingestellt, weil ich festgestellt habe, daß ich nicht der Richtige bin, um das Büro auf Trab zu halten, mich mit dem Vertrieb herumzuschlagen und all das. Ich kümmere mich um die Künstler und werde ansonsten nur noch in Produktionen tätig sein.“

Ein feines Leben, auch wenn „alles, was in der Sparte New Age jemals verkauft worden ist, bloß die Hälfte der Verkaufszahlen von Michael Jacksons Thriller ausmacht. „

In Deutschland hätte er dasselbe nicht so schnell erreicht — wenn überhaupt! —, da ist sich Baumann ganz sicher: „Es gab mal eine Zeit, wo einige deutsche Gruppen und Solo-Künstler ganz interessant waren, aber irgendwie hat sich das nicht weiterentwickelt. Ich weiß nicht, ob das an den Plattenfirmen liegt oder am Publikum: Da gibt’s immer gleich unheimlich viel Kritik.

Für mich ist Deutschland im Grunde genommen ein sehr deprimiertes Land; ich glaube, daß diese negative Einstellung in der ganzen Gesellschaft unterschwellig immer mitschwingt. Das kann ich auf den Tod nicht ausstehen: kein richtiger Enthusiasmus, keine richtige Lebensfreude!“