Plädoyers

Drangsal empfiehlt: 3 NDW- und Deutschrock-Geheimtipps aus den 80ern


In unserem 80s-Special 09/18 empfahl Max Gruber alias Drangsal Alben, die damals als reichlich uncool galten. Und zwar die hier.

Jetzt am Kiosk: Die „80er-Ausgabe“ des Musikexpress – mit Rick Astley, Michael Jackson, 80 Geheimtipps, Sophie Hunger, Mitski u.v.m.
Max Gruber schreibt:

„Ich wurde 1993 geboren. Obwohl ich einen Großteil meiner frühen Jugend damit zubrachte, in Müller-Filialen abzuhängen und CDs zu sortieren, zähle ich mich dennoch zu der Generation, die den Löwenanteil der bisherigen Musikgeschichte auf dem Silbertablett serviert bekam. Das erklärt womöglich auch, weshalb ich ein absoluter Feind sogenannter guilty pleasures bin – there is no guilt in pleasure! Mir liegt es mehr als fern, bestimmte Musik ob ihrer vermeintlichen Uncoolness grundsätzlich abzulehnen. Womöglich, weil ich zu der Zeit, als sie veröffentlicht wurde, nicht damit konfrontiert war, in den Laden gehen und sie mir vor allen kaufen oder mich auf eine Seite oder Szene schlagen zu müssen.“

HUBERT KAH – MEINE HÖHEPUNKTE (1982)

Label: Polydor (Universal Music)

„Hubert Kahs Debüt habe ich mir 2014 zugelegt, aus der von mir so geschätzten 80s-Grabbelkiste im Plattenladen um die Ecke. Auf dem Cover Phrasen wie „modern und treibend“ und „neue deutsche Schlagermusik in Kah Dur“ – gekauft! Ich hatte keine Ahnung, wer Hubert Kah überhaupt war. Heute weiß ich, Acts wie er sind verschrien als der kommerzialisierte Einheitsbrei und Wurmfortsatz dessen, für was Neue Deutsche Welle einst stand. „Ob blond, ob braun, ich liebe auch die Frauen … Nee“ – mit „Rosemarie“, der Hitsingle, der ich bis heute wenig abzugewinnen weiß, beginnen Huberts HÖHEPUNKTE.

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Dann: „Libido“, das musikalische Äquivalent zum Autobahnrasen bei 230 km/h. Oktavierter Slap-Bass, palm muted Powerchords, kitschige Synthesizer in 175 BPM, alles ein bisschen zu muckermäßig gespielt von Huberts „Kapelle“. Aber ich wusste jetzt, was ich sein will und muss: libidinös und emotionetisch. Vor Fremdscham ist man während des Hörens trotzdem nicht gefeit, wenn Herr Kah beispielsweise über „die dralle Pracht“ sinniert. Doch war es allem voran das letzte Lied des Albums, das es mir angetan hat. So toll ich diese Platte auch finde, wäre ich während des ersten Hörens niemals davon ausgegangen, ernsthaft von ihr gerührt zu werden.

„Und heute bin ich so allein, Außenwelt ist tot

Langeweile hat mir den Verstand geraubt

Empfänger ein – nie allein

Empfänger ein – kosmisch rein

Es klingt und es klingt

Ich liebe dich, Radio

Du bist mein gutes altes Radio

Du bist so herrlich monoton“

Hubert traf mit diesen Zeilen nicht nur den Nagel, sondern hämmerte ihn mir gleich ganz in meinen Kopf. Alleine in einer mir noch fremden Stadt vor dem Plattenspieler sitzend, fühlte ich mich tatsächlich verstanden. Das Album ist ab 0,75 Euro bei Discogs zu erstehen.“

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KLAUS LAGE BAND – SCHWEISSPERLEN (1982)

Label: EMI Electrola GmbH/ Vertrieb: EMI

„Klaus Lage kenne ich, weil ein alter Schulfreund während eines Ausflugs glaubte, ihn in unserer Regionalbahn zu erkennen, und natürlich von Faschingsfeiern: „1000 und 1 Nacht (Zoom!)“. 2013 spielte mir Markus Ganter, mit dem ich damals begann, an meinem Debüt HARIESCHAIM zu arbeiten, in einem Keller in Mannheim das Stück „Monopoli“ vor. Seitdem weiß ich, dass Klaus zu Unrecht als uncool verkannt ist. Seine Texte sind unbequem und nonkonform, sie sind ungeschönt und unprätentiös, näher am Leben als der Großteil des vermeintlich intellektuellen, oft verschwurbelten Geplappers unserer hiesigen Helden (looking at you, Dirk und Jochen und wie ihr sonst alle heißt). Aber – ich spreche hier aus eigener Erfahrung – wer hierzulande nicht Wörter wie „Litanei“ in seine Lyrics einbaut, sympathisiert laut Hörern und Journaille sowieso schon mit dem Schlager.

„Mama hebt Kaffeegläser auf für’n Gelee. Du bist schon ewig in der IG Chemie, doch darauf warst du echt nicht gefasst so kalt geschasst.

Du warst als Kind für mich der stärkste Mann, einer, der irgendwie alles lösen kann. Doch das hier ist keine Modelleisenbahn. Was fängst du an? Fängst du jetzt an?“

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Ich komme aus einer Arbeiterfamilie. Mein Vater ist gelernter Metzger, ehemaliger Kneipenbesitzer und seit deren Untergang LKW-Fahrer, meine Mutter hatte, so lange ich denken kann, mehrere Jobs gleichzeitig. Diese Zeilen mögen banal daherkommen, sie sind nicht clever, noch besonders profund, aber sie sind eben wahr. Ich mag einen Hang zum Romantisieren haben, aber ich sehe Popmusik wie diese als musische Königsdisziplin, Lieder, die Generationen und Trends überdauern.“

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INA DETER – ICH BEREUE NICHTS (1991)

Label: Phonogram/ Vertrieb: PolyGram

„Ein Album, das es nur mangels schnöden Mammons überhaupt in meine bescheidene Sammlung geschafft hat. Ich bin mir zwar durchaus bewusst, dass das klangliche Gewand dieser Stücke an die Trends des Jahrzehnts, in dem sie erscheinen sollten (diese Best-of versammelt fast ausschließlich 80er-Stücke), angepasst wurde, doch das macht sie keinesfalls zu weniger wertvollen Songs.

„Neue Männer braucht das Land“ ist ein absolutes Stück Popgeschichte! Es wurde seinerzeit von Radiostationen indiziert (man fürchtete die militante Botschaft und Gesellschaftskritik) und unsere Freunde vom NDR erstatteten sogar Strafanzeige, da die Zeile „Ich sprüh’s auf jede Wand“ doch ganz bestimmt zur Sachbeschädigung aufrufe. Das wirkt unschuldig, man konnte ja nicht ahnen, dass man rund 35 Jahre später mit Zeilen auf Kosten von Auschwitzinsassen den größten deutschen Musikpreis gewinnen kann. Weitaus interessanter als diese Quasi-Kontroverse ist jedoch, dass die Refrain-Phrase selbst zum geflügelten Wort avancierte. Deter gelang mit dem Stück der nahtlose Übergang von Popmusik zu Popkultur zu Kulturgut, und das fasziniert mich.

Ihren Songs könnte man höchstens vorwerfen, dass sie textlich nicht allzu breit gestreut sind. So werden Songtitel zu Textzeilen neuer Lieder und umgekehrt: In „Ob blond ob braun ob henna“ singt sie zum Beispiel „Weihnachten gibt’s neue Männer“, in „Neue Männer braucht das Land“ heißt es „Wenn du so bist wie dein Lachen“, was wiederum der Name eines weiteren Stücks ist. Abgesehen davon empfinde ich sie und ihre Lieder samt der wundervollen rosafarbenen Gitarre, den offenherzigen, mutigen und emanzipatorischen Slogans und der I-don’t-take-shit-from-nobody-Attütide als Archetyp weiblicher Musiker.“

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Drangsals zweites Album ZORES ist im April 2018 erschienen.