Drangsal

Zores

Caroline/Universal

Das One-Trick-Pony hat Fliegen gelernt: Drangsal wird mit seinem stringenten, aber durchaus eklektischen 80s-Stilmix zum Popstar der Stunde.  

Bedienen wir die Chronistenpflicht, bringen wir’s hinter uns: Ja, gerade im vorab ausgekoppelten „Turmbau zu Babel“ erinnert die Stimme von Drangsal vielleicht an Farin Urlaub. Aber das Dauerfeuer, mit dem dieser Vergleich in den letzten Wochen durchs Internet geschossen wurde, war irritierend, denn wenn man einmal die Phonetik außer Acht lässt, ist er wenig zielführend und greift auch nicht unbedingt. Drangsal macht Popmusik. Wo Punk exklusiv ist, ist Pop per definitionem inklusiv. Und: Die Ironie, bei den Ärzten ja Trademark, die ist ihm völlig fremd.

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Wenn Drangsal sich also in Interviews auf Klaus Lage bezieht, den großen Unironiker des Deutschrock, dann hat das schon Hand und Fuß. Notiz am Rande: Musikalisch schlägt Lage hier selten durch, dessen Kernigkeit fehlt, vielleicht muss man ein, zwei Mal an seine Schimanski-Arbeiten denken, eher aber an Ina Deter oder, na ja, Nena. Aber von vorne: Max Gruber hat also eine Platte aufgenommen, die sich beinahe ausschließlich der deutschen Sprache bedient – Englisch wird nur noch auf drei der ZORES-Songs gesungen. Er hat die musikalische Ausrichtung nicht unbedingt verändert, aber ganz wesentlich erweitert, das war vermutlich eine logische Konsequenz.

Statt des manchmal etwas unbestimmten Gothic-Pastiche des Debüts HARIESCHAIM (2016) ist gemeinsam mit den Produzenten Markus Ganter und Max Rieger (Die Nerven) ein Komplettpop entstanden, der nie verschweigt, wo er herkommt, und um den sich Grubers Stimme schnürt wie ein Paketband. Er wiederum stammt aus der Pfalz, wo man das Herz auf der Zunge trägt. Aber auch aus einem Jugendzimmer, in dem garantiert ein Morrissey-Poster hing. Mehr als auf dem Debüt bemüht sich Drangsal um die Kenntlichmachung dieser Ahnenlinie, nachzuhören in „Und Du? Vol. II“, dem ersten Höhepunkt dieses Albums, wo ein wunderlicher Kinderchor auf viel weicher als zuletzt artikulierte Textzeilen wie „Gegen die Decken meines Schädels schlägt ein Spalier junger Mädels (…), gegen die Wände meines Herzens halten hundert junge Jungs heiße Kerzen“ trifft, wo „Love Me Or Leave Me Alone“ von HARIESCHAIM zitiert wird und wo die Musik vor allem von dem lebt, was eben nicht passiert.

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Denn das ist das Schöne: Die Dichte, die das Debüt ausmachte, wurde von Drangsal und seinen beiden Produzenten aufgebrochen, es wurden stattdessen zusätzliche Ebenen eingezogen, es wird viel nuancierter gearbeitet. Selbst ein auf den ersten Blick sehr stringenter Song wie „Weiter nicht“, der noch am ehesten am Altmaterial andockt, besitzt verschiedene Ebenen, ist ein farbmächtiges Diorama, wo Stimme, Bass, Schlagzeug, viele, viele Strom­gitarren in vorderster Reihe stehen, aber im Hintergrund eben Platz für Satzgesänge und eine Orgel ist. „Herzen und Nasen brechen“ wolle er, singt Drangsal, der smarte Aphorismenboy, in „Laufen lernen“. Ersteres wird ihm mit diesem Album gelingen, man ist schon allein wegen der eingerissenen Sprachgrenzen so nah an ihm dran, dass seine Emotionen mit den eigenen verschmelzen. Zweiteres hat er selbst in der Hand, aber da müssen wir uns bei seiner Liebe zum Dissens keine Sorgen machen. Was für ein rasend interessantes Album, was für ein Typ!