Eine Frage der Integration


Einleitung: Sie haben sich nicht verbiegen lassen und sind "Semi-Promis" geworden. Jetzt haben Sportfreunde Stiller ein Fußball-Album gemacht. Der Ballsport als Metapher für das Leben? "Genau! Schreib das bitte! Dann kriegst einen Zehner!"

Deisler hält sich im Hintergrund, macht aber einen souveränen Job; sein Laufpensum ist enorm, jeder Paß sitzt, jeder Assist paßt. Ohne ihn ginge wenig heute im Dante-Stadion. Dabei heißt Deisler nicht mal Deisler, es ist nur so, daß die Sportfreunde Stiller momentan überall Fußball und Fußballer sehen. Als die Band an einem Frühlingsnachmittag Ende März in dem kleinen Münchner Stadion zur ME-Fotosession einläuft, etwas verspätet, liegen auf einem Treppenabsatz Test-Polaroids, die der Fotograf bereits geschossen hat, mit seinem Assistenten als Ersatzmodel. Jetzt haben sie den Deisler geholt, weil wir zu spät sind, oder wie?“ Der Assistent sieht tatsächlich dem FC-Bayern-Spieler ähnlich; das Geblödel bekommt der Fotograf mit, der nun seinerseits den Assi spaßeshalber „Deisler“ ruft, worauf die Sportfreunde annehmen, das sei tatsächlich der Spitzname des jungen Mannes, und ihn wiederum auch mit „Deisler“ ansprechen. Als sich am Ende des Tages das Mißverständnis klärt, ist dem letzten noch anwesenden Sportfreund Flo Weber die Sache merklich unangenehm; er entschuldigt sich freundschaftlich bei dem achselzuckenden Assistenten (richtiger Name: Schmidt). Die Szene ist bezeichnend. Wenn die Sportfreunde Stiller vor etwas eine regelrechte Phobie haben, dann davor, arrogant rüberzukommen. Man ist schließlich, genau: Sportsmann.

Die Sportfreunde haben eine Fußball-Platte gemacht. Ein Konzeptalbum. Wer, wenn nicht sie? Die Band aus ex-Sportstudenten (Flo und Sänger Peter Brugger) mit dem Fußballmannschaftsnamen, die seit je mit Verweisen aus der Welt der Leibesertüchtigung spielt, in Konzepten, Worten und Werken. Die THONTRÄGER (ihre zweite EP, mit Olaf auf dem Cover) und so wie einst real Madrid (ihr erstes Album) veröffentlicht hat. Die schon über Hockey und Wellenreiten sang, tatsächlich aber erst ein richtiges Fußball-Lied hatte, „Lobby“, von der allerersten E.P. Und jetzt: You Have To Win Zweikampf. Elf Lieder um den Ball herum, aufgenommen in ein paar flotten Sessions im Januar/Februar; ein charmanter Schnellschuß, präzise reingeflankt zum „wunderbaren Ereignis“ (Bassist Rüdiger „Rüde“ Linhof) WM im eigenen Land, ein Einschub vor dem nächsten „richtigen“ Album, an dem sie schon arbeiten.

Wer, wenn nicht die Sportfreunde? Da waren Fans sich schon vor Jahren einig, als die WM 2006 an Deutschland ging: Wer, wenn nicht „die Sportis“ sollte da den offiziellen Song zum Turnier liefern? Oder gar so wie einst Udo Jürgens die leibhaftige Nationalmannschaft ins Studio zerren? Sangeseskapaden der Spieler hat ja der Nationalklinsmann früh ausgeschlossen, was Flo bedauerlich findet: „Das hätte der Lockerheit in der Mannschaft sicher gut getan.“ Und ansonsten? „Der WM-Song war ja das Fernziel unserer Karriere…“, macht Peter ironisch den Strategen, winkt dann aber ab. „Als das vergeben wurde, so Ende 2004, Anfang2005, waren wir grad komplett fertig vom Touren und wollten nichts wissen von Musizieren und WM-Song. Da hatten wir dringend eine Pause nötig.“

Was hätten sie auch verloren in einer Reihe mit so erbarmungslos fußball-affinen Acts wie Bon Jovi und Anastacia, die die letzten großen Ballfeste beschallten. Jetzt darf sich Herbert „The Kopfballungeheuer“ Grönemeyer offiziell und mutmaßlich Sepp Blatter zum Wohlgefallen abhampeln. Während die Sportfreunde – und das wäre nun nicht das erste Mal, daß ihre Instinkte goldrichtig arbeiten – für ihr Lied „54,74,90,2006“ auf die Außenseiterposition setzen. „Wir wollen den WM-Song der Herzen machen“, sagt Peter fröhlich unbescheiden. „Der sich wie ‚Three Lions‘ hintenrum in die Stadien drückt. „Flo weiß es gewiß: „Unser Lied wird früher oder später der inoffizielle WM-Hit. Und sei es 2010.“

Die Single, die in ihrem etwas umständlichen Titel rührend zuversichtlich 2006 in eine Reihe stellt mit den WM-Erfolgsjahren der DFB-ler, ist eh das einzige Lied auf dem Album, das auf das Großereignis Bezug nimmt. Die Wahl der Location für die ME – Fotosession sagt ein paar Sachen darüber, wie die Sportfreunde – gleichwie zu zwei Dritteln flammende Fans des nicht gerade indie FC Bayern – der Bigbusinessierung des Sports in diesen Tagen gegenüberstehen. Im Kaisertempel der Allianz-Arena wollte man denn doch nicht posieren; das Dantestadion spiegelt da schon eher wider, was dem Sportfreund am Fußball gelegen ist: hier spielen Amateur- und Schulmannschaften („und wahrscheinlich die Sechz’ger demnächst, in der Bauernliga“, erlaubt sich Flo angesichts des desolaten Zustands seines Herzensvereins 1860 Galgenhumor), hier rollt der Ball nah am Menschen und an der Lebenswirklichkeit. Und um diese, die Freuden und Leiden des gemeinen Kickers und Fans, dreht sich You Have To Win Zweikampf – insofern anschließend an „Lobby“, jenes Klagelied eines ewigen Ersatzsbankdrückers. Und es geht um eine lustvolle Romantisierung der Leidenschaft fürs „beautiful game“, die sich auch musikalisch umgesetzt sieht, mit großen Oasis-breiten Harmonien, Streichern … „Da haben wir zum ersten Mal echte Streicher gehabt, übrigens“, merkt Flo an, sichtlich erfreut, daß das Detail aufgefallen ist. „Schau „, grinst er triumphierend die Kollegen an ,“hat ’s doch was gebracht. Die echten Streicher.“ Also: es geht um das Saftige, Kraftige am Fußball, „Schweiß, Blut und Freudentränen „, wie es in einem Lied heißt, das Hochlebenlassen der „Magie und Ästhetik des Fußballs“ (Flo), das Grasfressen, das Lebensgefü ….. „Bist du eigentlich Fußballfan?“ wendet sich Peter Brugger unvermittelt und aufrichtig interessiert an den Interviewer. Na ja, mehr so der Quartals-Fan, der sich mitreißen läßt, wenn so was wie eine WM ansteht. „Macht dir das dann Spaß, so eine Fußballplatte anzuhören, als nicht-fußballintegrierter Mensch?“ Nun, es geht es ja nicht nur direkt um den Fußball; oft sind die Texte sinnbildlich zu verstehen: der Fußball als Metapher für’s Leben. „Gerau!“ jubelt Flo. „Bitte schreib das so, dann kriegst einen Zehner‘. Hast du das selber erkannt?“ Naja, Sportfreunde-Manager Marc Liebscher hat vorhin beim Vorab-Hören der Platte im Büro seines Blickpunkt-Pop-Labels etwas verhaltenes Journalisten-Coaching betrieben; aber es ist schon was dran. Nur: Was hat eigentlich die Plattenfirma zu den Plänen für ein „Special interest“-Themenalbum gesagt? „Ach“, winkt Flo ab, „da kann man sich totdiskutieren. ‚Ist es clever? Ist es unclever? Verliert man Mädels, gewinnt aber eine Million „Kicker“-Leser? Es war einfach ein Spaß, die Platte zu machen.“

Die Annahme ist zulässig, daß zu Zeiten der letzten WM noch wenig diskutiert worden wäre, wenn die Sportfreunde mit einem solchen Projekt auf ihre Plattenfirma Universal zugekommen wären. Noch vor ein paar Jahren hätte Flo Weber auch kein Verlag das Manuskript seines ersten Romans aus der Hand gerissen (Ja, Flo Weber hat einen Roman geschrieben. Es fing an mit einer Kurzgeschichte im Tourbus und wurde ein Roman. Er heißt „You’ll Never Walk Alone“ und ja, es geht um eine Jugend mit Fußball, Bruderkonflikt und Musik, aber nein: er soll nicht autobiographisch gelesen werden, zumindest nicht im großen und ganzen Plot. Ja, Flo benutzt dieses Wort und wird prompt von Peter veräppelt; aber bitte, nur kein Neid, und nein: Peter findet’s eh sehr schön, das Buch, „ich hab meine halbe Kindheit genauso verbracht.“). Noch vor ein paar Jahren hätte Flos Hardcore-Nebenband Bolzplatz Heroes kein Angebot bekommen, ein Album aufzunehmen und Peter kein grünes Licht für sein lang gehegtes Nebenprojekt TipTop. Doch dann kam der Burli.

Er kam 2004 und hat einiges verändert. Mit ihren ersten beiden Alben SO WIE EINST REAL MADRID (2000) und DIE GUTE SEITE (2002) hatten sich die Sportfreunde einen soliden Platz im, hüstel, mittleren Tabellenbereich erspielt. Das dritte, der Burli, war ein veritabler Aufstieg. Der linkisch-lausbübische Humor und eine offenherzige Gefühligkeit in den Texten sowie ein Händchen für ohrwurmige Melodien und grenzgeniale Hooks wie das hübsch alberne Santa-Cruz-Sample „Ich Roque“ im bisher größten Sportis-Hit trafen den Nerv im Sommer 2004. „Völlig überraschend“, befinden Flo und Rüde einmütig Burlis Siegeszug. „Das hat im Verhältnis zu meinen Erwartungen recht absurde Dimensionen angenommen „, sagt Rüde. „Tatsächlich mit einem Sattelschlepper rumzufahren und in riesigen Hallen zu spielen, das kennt man eigentlich nur aus dem Fernsehen. Das war oft ziemlich unwirklich. Aber schön. Das zu sehen, daß das gehen kann: einen Traum, den man nicht mal richtig geträumt hat, zu verwirklichen.“ – „Wobei du den Traum noch am ehesten geträumt hast“, fällt Flo ein. „Der Rüde“, erklärt Peter, „hat ja mal als kleiner Bub geträumt, daß er eine Goldene Schallplatte kriegt. Und jetzt …“ Hat er eine.

Dabei war der Weg zum Burli einigermaßen holprig gewesen. Offenbar inspiriert vom Neue-Neue-Deutsche-Welle-Boomjahr 2003 sah man bei der Universal die Zeit für die Zündung der kommerziellen zweiten Stufe gekommen. Und da fehlte einigen Entscheidern offenbar das Vertrauen in den doch recht eigenwilligen sportfreundlichen Weg. „Verbesserungsvorschläge“ wurden gemacht, Konzepte, Songs in Frage gestellt; es gab aufreibende Konflikte und ein paar ernüchternde Erfahrungen, die der Band beim Interview Anfang 2004 noch anzumerken waren. „Daran waren wir auch in vielen Punkten selber schuld“, räumt Rüde heute wie damals ein, „wir haben uns zu sehr unter Druck gesetzt. Dazu die Erwartungen von Leuten bei der Plattenfirma… unglückliche Sachen, die sich hochgeschaukelt haben. Man muß da halt ein gesundes Selbstvertrauen haben.“ Und eben die richtigen Instinkte und Gefühle, vom Feeling her. Die Band setzte sich durch – und der Erfolg gab ihnen Recht. Nennenswerte Genugtuung darüber, solche niederen Sentimente streiten die drei mit schier buddhistischem Gleichmut ab. „Ein gutes Gefühl“, habe man halt daraus gezogen, gesteht Peter zu. „Daß man sich nicht hat verbiegen lassen und dann kommt so was, das gibt einem schon Bestätigung. Aber nicht so: „Haha Jetzt haben wir’s euch gezeigt! Da schaut’s her!'“

Derzeit können sie nicht viel falsch machen, die Sportfreunde. „Im Moment haben wir schon das Gefühl, sehr frei arbeiten zu können“, sagt Rüde, macht sich aber keine allzu großen Illusionen: „So lange man erfolgreich ist, ist natürlich alles cool und alle sind nett zu einem. Aber sobald mal was in die andere Richtung geht, kann sich sehr schnell der Wind drehen.“- „Bei uns ist ja noch nie was in die andere Richtung gegangen!“, wendet Flo launig ein. Und da hat er nun wieder Recht.

Florian Weber ist der Sportfreund, dessen Lebenssituation noch am ehesten in das Klischee paßt, das viele Fans wohl – verzeihlicherweise über die Band abgespeichert haben: das des (relativ) ungebundenen ewigen „Buam“, der mit großen Augen durch die Welt radelt. Freilich steht auch er mitten im Leben und hat eine „Liebste“, die ihm seine prachtvolle Jacke mit 1860-Rückenaufnäher gemacht hat. Peter bewegt sich da schon in, hüstel, bürgerlicheren Sphären. Er ist „in der Ehe“, wie er es formuliert, und bittet freundlich, nicht allzu präzise zu kolportieren, an welchem Waldrand in welchem Münchner Vorort („schreib ‚Erding‘!“, empfiehlt Flo zur Desinformation) das Häuschen (featuring Sportfreunde-Proberaum) steht, das er vor Zeiten bezogen hat. „Ich hatte da letztens echt schon mal so Jungs vor der Tür stehen, die ein Bier mit mir trinken wollten. Süß, eigentlich.“ Rüde guckt verständnislos: „Wieso süß?“ Peter: „Naja, irgendwie nett, die Vorstellung, daß ich eh immer so mit’m Bier im Vorgarten rumsteh‘, und da könnten sie doch eins mittrinken …“

Nein, Rüde findet das nicht gar so süß. Nicht, daß der Bassist ein unleidiger Mensch wäre, im Gegenteil. Aber dem zurückhaltendsten Sportfreund (er hat übrigens auch eine Nebenband, Flamingo, ist da aber „einer von zwei Gitarristen“; nicht der Frontstar? „Nein, bitte nicht!“), der zudem bald Vater wird (am Rande der Fotosession löchert er den ME-Art-Director interessiert und ausführlich nach dessen Erfahrungen als Waldorfschüler) ist Stargerummel so suspekt wie ihm die Wahrnehmung seiner Band wichtig ist. Rüde ist es, der am ehesten den Einlenkschwung sucht, wenn das Geblödel im Interview zu eskalieren droht. Ihn wurmen am spürbarsten Dinge wie die Geschichte mit dem Fotografen, der die drei so lange bedrängte, doch mal für ein, zwei Knipser „lustig“ Bierflaschen in die Hand zu nehmen, bis sie nachgaben, „weil wir nicht arrogant sein wollten „-und dann landeten prompt genau diese Fotos vorn auf dem Magazin; „wir sahen völlig lächerlich aus.“ Oder die Sache mit der Bild-Zeitung, die für Rüde „an Körperverletzung grenzte“; als eines Tages im Sommer 2004 München mit Plakaten tapeziert war, von denen, bildrotumrandet, unsere Helden lächelten. Das Blatt hatte eine Serie über Münchner Bands gestartet und die Sportfreunde standen vor der Wahl. Peter: „Die hätten die Geschichte gemacht, mit oder ohne Interview. Drum haben wir gesagt, machen wir wenigstens ein Interview, damit die nicht einfach irgendwas schreiben.“ Willkommen im öffentlichen Leben.

Womit wir wieder bei der WM wären. Zwar sind die Sportfreunde wild entschlossen, sich die nicht vermiesen zu lassen, aber nicht nur Rüde findet es „Wahnsinn, wie die FIFA da ins öffentliche Lehen eingreifen darf und alles verkauft, was den Menschen gehört.“ Man ist froh, mit der  Fußballplatte nirgendwo verdealt zu sein. Aber haben sie denn Tickets für Spiele? Nein. Als „Semi-Prominente“ (Peter) hätten sie aber zum Beispiel welche kriegen können, wenn sie beim Fußballtrainer „einer Firma“ mitgemacht hätten. Rüde muß sich schon wieder ärgern. „Das ist so armselig! Da wird versucht, auf Biegen und Brechen Leute für Lau für Werbeaktionen einzuspannen. Statt Daß sie die Karten den Leuten geben, die gern Fußball schauen, kriegen sie Leute, die sich dafür zum Affen machen. Da hab ich einfach keinen Bock drauf!“ Peter lacht. „Rüde, in welcher Welt lebst du?“, trietzt er den Freund. Der seuftzt. „Du hast ja recht, aber so einen gewissen Teil der Welt, in der ich leb, hätt ich halt einfach gerne noch so erhalten. Wahrscheinlich ist das völlig naiv. Romantik.“ Flo nickt bedächtig und blickt dann auf . „Was jetzt alles nicht heißen soll, daß wir uns  nicht den Arsch aufreißen, um noch an Karten zu kommen.“ – „Natürlich reißen wir uns den Arsch auf“, bestätigt Rüde. „Oder sogar andere Ärsche.“ Ja, kann denn da eure Global-Player-Plattenfirma nichts tun für euch? „Ach geh!“ Peter winkt ab. „Die hängen sich doch schon an uns dran und hoffen , daß was geht!“

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