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Feminismus im Deutschrap: Ein Portrait der spannendsten Künstlerinnen der Szene


Wir haben einmal genauer geschaut, wie Sookee, Haiyti, Schwesta Ewa und SXTN die Deutschrap-Szene verändert und neu definiert haben.

Im November 2018 bestätigte das Rap-Duo SXTN seine Trennung via Instagram und hinterließ die Musikwelt in apokalyptischen Zuständen: Die Hoffnung auf einen weiblichen und feministischen Deutschrap sei nun endgültig verloren, befürchteten Fans und Journalist*innen. Was melodramatisch klingt, verdeutlicht ein Problem, das HipHop partout nicht zu lösen scheinen kann: Frauen sind im Rap-Business nach wie vor in der Unterzahl. Dieser Umstand ist jedoch im Umbruch. Schon seit einigen Jahren erscheinen immer mehr Frauen in der Männerdomäne HipHop, die sich mit viel Selbstbewusstsein und Dominanz ihren Platz erkämpfen. Die Wege dorthin könnten diverser nicht sein, das Ziel ist jedoch dasselbe: Frauen im HipHop als selbstverständlich zu nehmen.

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Ist es schon Feminismus, wenn man eine erfolgreiche Frau im HipHop ist?

Die aktuell erfolgreichste deutsche Trap-Rapperin ist Haiyti, eine Hamburger Kunststudentin, die sich mühelos neben ihren männlichen Kollegen Trettmann, RIN oder LGoony einreiht. Sie ist eine Virtuosin im schrillen Schrei, im Verzerren von Worten, im Ansagen machen. Und klingt dabei aggressiv, sehnsuchtsvoll und ekstatisch zugleich. Dass sie eine Frau ist, wird von niemandem bemerkt oder kommentiert. Vielleicht, weil Trap mehr Raum für weibliche Identitätsmodelle bietet? Schließlich sind Erfolgsfaktoren im Trap eher Markenklamotten und avantgardistisches Nuscheln als männlicher Egozentrismus. Haiyti selbst betont den Umstand, dass sie eine Frau ist, allerdings auch nicht. Ist es also schon Feminismus, wenn man eine erfolgreiche Frau im HipHop ist?

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Dass Sookee ihre Rap-Karriere beendet hat, ist ein Alarmsignal für die Szene

Sookee würde die Frage klar verneinen. Die Berliner Rapperin gilt als das politisch korrekte Paradebeispiel für musikalische Gesellschaftskritik. In ihren Songs behandelt sie Themen wie Homophobie, Sexismus und Rassismus. Sookee lässt sich nicht klein machen, in fast jedem Interview macht sie ihre politische Meinung deutlich. Die 36-Jährige möchte nicht bloß Einzelkritik an sexistischen Texten üben, sondern reflektieren, wie alle Formen der Diskriminierung zusammenhängen und durch HipHop reproduziert werden.

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So ist es umso bedrückender, dass die Berlinerin im Dezember 2019 das Ende ihrer Rap-Karriere verkündete. In einem persönlichen Statement auf Instagram sagte Sookee: „Ich hab kein Interesse daran, mich einer Industrie zur Verfügung zu stellen, die ihre Antagonistin braucht, und ich habe kein Interesse mehr daran, mich irgendwelchen Bausas, GZUZs und sonst irgendwelchen durchgeknallten Turbokapitalisten, die auch nur Spielbälle im Spiel anderer Turbokapitalisten sind, mit meinen Energien zur Verfügung zu stellen.“ Ein klares Alarmsignal für die Szene.

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Ist Schwesta Ewa das Paradebeispiel für weibliche Solidarität?

Die amerikanische Kulturkritikerin Joan Morgan eröffnete im Jahr 1999 einen neuen Diskurs, indem sie den Terminus „HipHop-Feminismus“ ins Leben rief. Sie appellierte an eine stärkere und mehrdimensionale Verortung von Frauen in der patriarchalen Rap-Szene, der Lösungsansatz lautete: Solidarität. Interessanterweise ist es aktuell keine andere als Schwesta Ewa, die sich weibliche kollegiale Solidarität zunutze macht.

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Im Jahr 2017 wurde die erfolgreichste deutsche Gangsta-Rapperin, die eigentlich Ewa Malanda heißt, zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Ihr wurden Körperverletzung und sexuelle Verführung Minderjähriger vorgeworfen. Daraufhin tanzten in ihrem Video zu „Schubse den Bullen“ die Rapperinnen Nura und Eunique um Autos, während Ewa rappt: „Sie sperren mich weg / Medien schreiben Dreck / Ich posiere Minderjährige, doch jeder weiß, ich mach‘ mit Kindern kein Geschäft“. Musik als öffentliche Stellungnahme, Gastauftritte anderer Rapperinnen als Strafverteidigerinnen.

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Ewa kommt aus dem Frankfurter Rotlichtviertel, war lange drogenabhängig und fing ursprünglich an zu rappen, um mehr Freier auf sie aufmerksam zu machen. Mithilfe ihrer ersten Chartplatzierungen schaffte sie es, der Prostitution den Rücken zu kehren. Sie rappt derbe mit dunkler Stimme und Ganzkörper-Tattoos, trägt gleichzeitig rosa Lipgloss und geglättete Haare. Die Szene feiert sie für ihre Authentizität und ihre „Realness“. Was Ewa wirklich erlebt hat teilt sie mit, hart und unverblümt. Immer wieder dabei der Fokus auf Männer und wie sie unterschätzt, ausgelacht und objektiviert wurde – ihr Selbstschutz ist der Gegenhieb.

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Wenn Feminismus bedeutet, machen zu können was man will, waren SXTN Feministinnen

Das Erfolgsrezept von SXTN war ähnlich und genauso effektiv; Juju und Nura eigneten sich konsequent jedes Stilmittel ihrer männlichen Kollegen an und steigerten es ins Extreme, ob fluchen, auf der Bühne kiffen oder pöbeln. Um im HipHop ernst genommen zu werden mussten sie härter sein als die Männer. Sätze wie „Ich ficke deine Mutter ohne Schwanz“ ließen Rezipient*innen und Journalist*innen mit zuckendem Augenlid zurück, genauso wie ihre Selbstbezeichnung als „Fotzen“.

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Dass Polarisierung den Verkauf anregt, ist aber nichts Neues. Und so rappten sich Nura und Juju von SXTN genauso in die Charts wie die Hamburger 187 Straßenbande. Gelegentlich blitzten in ihrer Musik feministische Ansätze auf, wie in dem Song „Er will Sex“. Dort singen die beiden „Du willst mich ficken / aber du darfst das nicht / weil ich’s verbiete“. Bei vielen Auftritten stimmten sie danach die „Life is Life“-Melodie an, mit den eingefügten Worten: „Nein heißt Nein“.

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Als Feministinnen wollten sich Juju und Nura trotzdem nicht betiteln lassen. Wenn Feminismus bedeutet, machen zu können was man will, dann ja. Anderweitig wären ihnen feministische Ansätze meistens zu extrem. Bei all dem Hass und dem Kampf gegen das Rap-Patriarchat, das bei SXTN und Schwesta Ewa so durchscheint, stellt sich die Frage: Was wollen Frauen überhaupt in einer Kultur, die sie so heißblütig verabscheut?

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Es bedarf heutzutage mehr als nur eine Frau an der Spitze

Es ist einfach: Dies ist nur die eine Seite der Medaille. Die Szene hat sich verändert, sie hat ihre Grenzen ausgedehnt. Frauen in der Branche sind längst kein Einzelfall mehr und jeder weibliche Neuzugang schafft mehr Toleranz und Homogenität. Deutschrap-Pionierinnen aus den 80ern und 90ern wie Cora E. und Lady Bitch Ray haben sich zu viel damit beschäftigt, die andere vom Thron zu schubsen als ihre eigene Existenzberechtigung zu festigen.

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Doch es bedarf heutzutage nicht nur einer Frau an der Spitze: Juju und Nura haben sich nach ihrer Zeit bei SXTN zu erfolgreichen Solokünstlerinnen hochgearbeitet und ko-existieren friedlich in den deutschen Charts – ohne Hass oder Rant. Newcomerinnen wie Eunique, Hazcara und Ebow bahnen sich ihren Weg vor allem mit Lässigkeit und Selbstverständlichkeit – und punkten damit. Auch schwer einordenbare Rapperinnen wie Shirin David und Loredana feiern ihre Weiblichkeit und lassen sich nicht klein reden. Sie legen Wert auf gemeinsames Arbeiten, sich gegenseitig zu zelebrieren und anzuerkennen. Es mag noch ein weiter Weg sein, bis zwischen Männern und Frauen im HipHop Ausgleich herrscht. Doch dass SXTN sich aufgelöst hat, ist nicht das Ende. Es geht gerade erst los.

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