Fettes Brot über Pop


Wenn die Deutschen etwas schätzen, dann ihr Brot. Ob weiß, ob grau, ob schwarz. Sogar das gibt es hier: rappende Weißbrote statt Niggaz With Attitüde - kurz: Fettes Brot. Bei diesen Hamburgern gibt es keinen Schimmel... nein, Schimmer von HipHop-Krise. Wie das? Es hat auf jeden Fall eine ganze Menge mit Pop zu tun.

Also habt Ihr einen Weg gefunden, wie man dieses Gesetz der Frische aushebeln kann?

boris lauterbach: Wir haben zumindest den Anspruch, mit jeder Platte etwas Neues zu machen, interessante Ideen zu finden, modern zu sein… Es gibt natürlich auch Leute, die machen immer dasselbe und haben damit Erfolg. Martin: Es gibt ja auch das Bedürfnis nach Sicherheit, nach Konstanz. Wenn man heute eine Mariey-Platte auflegt, dann möchte man das Gefühl vermittelt bekommen, dass man immer schon hatte, wenn man eine Marley-Platte gehört hat. Das hatte vielleicht zu Jugendzeiten mal revolutionäres Potenzial, heute schafft es einem nur noch ein warmes Nest.

björn warns: Das ist auch typisch für Pop, dass er ein bestimmtes Gefühl immer wieder herzaubern kann. Wenn ich heute „Alf“ gucke, habe ich immer noch das Gefühl dieser „Alf „-Manie von damals. boris: Man darf Pop aber auch nicht mit Konsens verwechseln. Etwas ist nicht zwangsläufig Pop, nur weil sich alle darauf einigen können.

Was ist denn guter Pop für euch?

Martin: Da fällt mir der erste Song von den Sugababes ein, „Overload“. Drei junge hübsche Engländerinnen, die vermutlich zusammengecastet waren, dennoch wollte man glauben, dass es sich um Freundinnen handelt. Die lächeln nicht im Video, singen aber ein Lied, was – das ist jetzt angebermäßiges Fachwissen – komplett aus Dur-Akkorden besteht, aber trotzdem eine Moll-Stimmung hat, weil die Akkorde so seltsam verschoben sind. Diese Diskrepanz, ohne Lächeln serviert, das war neu.

boris: Das ist jetzt aber sehr analytisch, so als könnte man den Erfolg planen. björn: Die haben wahrscheinlich das KLF-Handbuch gelesen: „Der schnelle Weg zum Nr. i-Hit“.

Habt ihrs gelesen?

Ist das ein Ziel für Euch, die Nummer 1?

björn: Na klar! (Er zeigt auf den Button mit einer großen „1“ am Pulli) Den trage ich nicht grundlos! boris: In Österreich waren wir schon ganz oben, mit „Emanuela“. In Deutschland war Rang drei das Höchste. Wir haben also noch Luft nach oben.

Wenn ihr an eine neue Platte geht, sucht ihr dann gezielt nach dem besonderen Popmoment?

boris: Wenn man versucht, so etwas künstlich zu erzeugen, klappt’s auf keinen Fall. m artin : Aber man will natürlich schon, dass es nie aufhört, dieses schöne Gefühl. Wenn man einmal vom Popzaubertrank genascht hat, dann möchte man mehr davon haben.

Habt ihr doch!

boris: Ja, schon, aber es klappt halt nicht immer. Die Erfahrung haben wir ja inzwischen auch gemacht, dass wir Songs rausbringen, die wir für geniales Zeug halten, aber niemand will es kaufen.

Ist es nicht legitim, dass man sich dann hinstellt und sagt: „Was wollt ihr? Ich find’s gut!“

björn: Soweit muss man erst mal kommen. Es gibt j a genügend Künstler, die immer verzweifelter versuchen, diesen Popmoment wieder zu kreieren. martin: Manchmal sitzt man zusammen und holt ein Lied, das der absolute Geheimtipp ist. Und alle haben das Gefühl, dass sie da gerade den besten Popsong aller Zeiten hören, aber der Kunde hat versagt. Es ist manchmal einfach nicht zu begreifen.

Sind auf eurer neuen Platte besonders viele Popmomente? Was meint Ihr?

boris: Ein gewisses Selbstbewusstsein haben wir da schon. Wir finden’s gut, sonst würden wir’s nicht rausbringen. Außerdem haben wir ein Umfeld, das uns seit vielen Jahren begleitet… björn: … mit Leuten, die nicht nur nette Sachen sagen, sondern helfen, einen Schritt weiter zu gehen…

martin: … die manchmal diesen Popmoment erkennen, den wir vor lauter Betriebsblindheit verpasst hätten.

Sehtihreuch eigentlich als Popstars?

martin: Ich vergess das immer wieder. Kürzlich waren wir in Berlin, und ich wollte in die Innenstadt gehen. Die anderen hatten aber nicht so Bock drauf, mit Reisegepäck durch Mitte zu latschen. Da ist mir erst aufgefallen, dass ich es vermutlich auch seltsam fände, die Toten Hosen in voller Besetzung mit Rollkoffern durch Berlin-Mitte laufen zu sehen.

Ist Popstar sein denn was Gutes, was Schlechtes, oder im Großen und Ganzen egal?

martin: Um noch mal auf Berlin zurückzukommen: Im Flughafen kam jemand auf uns zu, der einfach mal „Danke“ sagen wollte, dass es uns gibt. boris: Er meinte: „Ihr begleitet mich seit meinem zwölften Lebensjahr.“

martin: Das ist so herrlich, einen erwachsenen Menschen zu treffen, der einfach ausspricht, dass wir diese Bedeutung für ihn haben. björn: Wir haben gesagt: „Danke, gern geschehen.“ War nicht gelogen.

Kann Pop also tatsächlich eine echte Bedeutung im Leben von Menschen haben – wie Heiraten und Kinderkriegen zum Beispiel?

martin: Wir haben alle mehrere Kartons mit Kassetten zuhause rumstehen. Voll mit Stücken aus den Jahren, in denen man noch ein aufgewühlter Teenager war. Ich habe schon öfter versucht, mich von diesen Kassetten zu trennen und nur die zu behalten, die ich wirklich brauche, aber es sind immer noch zwei Kartons übrig geblieben.

Hobt ihr Angst, dass ihr irgendwann einmal zu alt seid für Pop?

boris: Nee, es gibt ja Mut machende Beispiele wie etwa Die Ärzte. Die sind gut zehn Jahre älter als wir und popkulturell noch immer relevant. martin: Natürlich gibt es Tage, an denen man sich alt, hässlich und irrelevant fühlt. Aber eine schöne Erkenntnis ist ja: Es gibt eine Zeit zu glänzen und eine Zeit, sich zurückzuziehen. Ich hoffe, dass wir es merken, wenn wir anfangen peinlich zu werden. boris: Das sind aber alles Gedanken, die einen eher daran hindern, was Gutes zu machen. Das sind so viele Wenns und Abers… martin: Dazu würde ich gerne den Dalai Lama zitieren: „Sorgen machen keinen Sinn, das ist nur Zeitverschwendung.“

Eure neue Platte hinterlässt euch sorgenfrei?

boris: Nein, obwohl – sorgenfrei schon, angstfrei nicht. Wir glauben schon, dass wir das Beste abgeliefert haben, was es derzeit zu hören gibt in Pop-Deutschland. Aber die Sorge, dass es die Leute vielleicht anders sehen könnten, gibt es durchaus. martin: Du hast „Sorge“ gesagt! boris: Mist. Die Angst besteht natürlich durchaus … Aber gut, „Bettina“ läuft ja schon im Radio, wir kriegen erste Reaktionen – die Platte wird also nicht ungehört untergehen. martin: Im Lauf der Produktion habe ich kurz darüber nachgedacht, ob diese Platte wieder so erfolgreich werden kann wie am WASSER GEBAUT. Aber wenn man sich zu sehr mit solchen Gedanken beschäftigt, verliert man die intuitive Kraft und die Fähigkeit, neue Dinge zu schaffen. Im Idealfall wäre es natürlich toll, wenn irgendwann über Strom und Drang gesagt würde: „Diese Platte war wichtig für die deutsche Poplandschaft und hat außerdem die drei sympathischen Nordlichter zu mehrfachen Multimillionären gemacht.“ Aber wenn ich mich entscheiden müsste zwischen Kunst und Geld, dann hätte ich doch den Anspruch, einfach gute Musik zu machen.

Also locker machen und nicht zuviel nachdenken. Dann wird’s Pop.

martin: Locker machen und Spannung halten. Das ist das Paradox, aber es geht. >» www.fettesbrot.de