Gloria Estefan – Miami Nice


Die (Miami Sound) Machine lief wie geschmiert. Bis zu jenem 20. März des vergangenen Jahres, als ein Busunfall die Karriere der gebürtigen Kubanerin beinahe beendet hätte. ME/Sounds sprach mit dem Schutzengel.

Estefan, damals voll im Rennen mit dem Vorgänger-Album CUTS BOTH WAYS. lebte dem staunenden Publikum die klassische Yellow Press-Story „Wie ich das Schicksal bezwang“ vor: Trotz ihres, wie sie selbst sagt, „Eisenwaren-Ladens“

biß sie auf die Zähne und gewann. Rostfreie Stahldrähte halten heute, was der Unfall an ihrer Wirbelsäule gelockert hatte.

Doch genug davon. Gloria redet nicht gerne über den Unfall, wie Tourmanager Bill Thompson verrät. „Dafür tanzt sie wieder wie eine junge Göttin“, sagt er mit Rührung in der Stimme und meint: „Ich habe höllische Achtung vor dieser kleinen Frau“. Das geht vielen so, besonders den Menschen in Miami, ihrer Heimatstadt. Dort wird sie geradezu als Volksheld verehrt, ist sie doch der lebende Beweis, daß auch Latinos der amerikanische Traum offensteht. Hier und da wird denn auch prompi der Vorwurf laut, daß Gloria Ausverkauf betreibe, daß die Latino-Einflüsse nicht mehr seien als die Folklore, die man sonst für knipsende Touristen konfektioniert. Die puristischen Schlaumeier vergessen dabei allzu gerne, „daß INTO THE LIGHT, unsere aktuelle LP, bereits das zwölfte Album ist. Wir haben einen langen Weg hinter uns und einen noch längeren vor uns. “ Die Miami Sound Machine existierte schon, als Gloria noch an der Universiry Of Miami büffelte. Schon damals galten sie in der spanischen Gemeinde als Stars. 1985 schafften sie dann mil dem US-Top Ten-Hit „Conga“ den Brückenschlag ins Poplager. „Der Vorwurf, wir würden die Latino-Einflüsse verraten, ist einfach dumm. Wir haben stets Pop mit Latin gewürzt. Und nur die Tatsache, daß wir auf einer Pop-Basis operieren, machte unseren Erfolg in den lateinamerikanischen Ländern möglich.“

Gloria, inzwischen mit Bandleader Emilio verheiratet, war genau das. was der“.Klangmaschine aus Miami“ anfangs gefehlt hatte. Das Familienunternehmen Estefan lebt von der Spannung zwischen kubanischer Herkunft und amerikanischem Way Of Life. Stellenweise allerdings — und das wurde ihr von Kritikern angekreidet — ging bei dem stilistischen Balance-Akt das musikalische Feuer aus. Allzu oft endete der Formationsflug der Bläser in nichtssagender Perfektion. Und Estefan, eine sehr begabte Sängerin, hielt ihre Emotionen derart im Zaum, daß man den Eindruck gewann — Vorsicht, nur nicht zu feurig, bitte!

Der Unfall hat auch in dieser Hinsicht einiges ausgelöst. „Ich habe bei 1NT0 THE LIGHT zum ersten Mal meinen Geftihlen freien Lauf gelassen. “ Auch jenen, die den Konflikt beschreiben zwischen Herkunft (Gloria wurde 1957 in Kuba geboren) und Wahlheimat. In dem Song „Mama Yo Can’t Go“ bekennt die Exilantin, daß sie mit dem Herzen immer in Kuba sein wird, aber dennoch dort nicht leben kann.

Für die Generation ihrer Eltern stellte sich dieses Problem noch anders da. Sie waren und blieben immer nur „gelernte Amerikaner“, selbst wenn sie — wie Glorias Vater — im Vietnamkrieg für die USA kämpften. Der starb vor elf Jahren qualvoll und langsam, vermutlich an den Folgen von „Agent Orange“. Die Ohnmacht, mit der Gloria den Tod ihres Vaters beobachten mußte, hat — so sagt sie — ihre Sinne geschärft. „Ich halte Vorahnungen in Bezug auf den Unfall und war nicht überrascht, als es dann geschah.“ Als der Tourbus auf einer verschneiten Straße in Pennsylvannia von zwei Trucks eingequetscht wurde, dachte sie nur: „Jetzt ist es also soweit!“ Diagnose: Rollstuhl. Doch „als ich dann wieder anfing Songs und Texte zu schreiben, wußte ich, daß ich es auch schaffen würde.“