Popkolumne, Folge 241

Linus Volkmanns Leitfaden: How to support your little Lieblingsbands


Der Struggle rund um Plattenfirmen, Streaming & Social: Linus schaut in der Popkolumne genauer hin.

Wer braucht heute überhaupt noch eine Plattenfirma? Jede Band kann sich via Streaming hörbar machen und auf Social Media – theoretisch – selbst ganz nach vorn promoten. Theoretisch! In Wahrheit regiert bloß ein Struggle, an dem sich unzählige kleine Acts chancenlos aufreiben. Linus Volkmann schaut in der Popkolumne einmal genauer hin.

Verfilmte Popliteratur, der Tod und ich: Linus Volkmanns Popkolumne

In analogen Zeiten schickten täglich unzählige Bands wattierte Umschläge an alle möglichen Plattenfirmen, deren Adressen man habhaft werden konnte. Inhalt der Sendungen: Demo-Tapes oder Demo-CDs, ein Anschreiben, mitunter ein Bandfoto und ganz viel Hoffnung. Hoffnung darauf, dass man erwählt würde von einer solchen Institution und am Ende gar einen Plattenvertrag und eine Karriere an Land zöge.

Es dürfte wenig überraschend sein, wenn ich sage, dass 99,9 Prozent dieser Aussendungen vergebens blieben. In jungen Jahren habe auch ich mal die selbstproduzierte Single meiner verträumten Gitarrenrockgruppe an solche Companys geschickt. Nennt es Naivität, aber ich wunderte mich damals wirklich, dass ich von den Majorlabels neben einer Absage auch die Single selbst zurückgeschickt bekam („zu unserer Entlastung senden wir Ihnen das Material zurück, es passt nicht in unser Repertoire, wir wünschen Ihnen aber blablabla“). Zurückgeschickt – und zwar noch verschweißt. Abgelehnt, ohne dass sich die Musik angehört wurde? Nun, im Falle meiner holprigen Tocotronic-Rip-Off-Band haben die Plattenfirmen alles richtig gemacht. Chapeau!

Dennoch kann man nicht davon ausgehen, dass wirklich alle Acts per se auszusortieren sind. Aber das war eben das analoge Musikbusiness – es stand vielfach auf den kalten Schultern arroganter Labels, die ihren eigenen Film fuhren. Die interessierten Beobachter:innen der Gegenwart werden allerdings gemerkt haben, dass dieser Abschnitt zurecht im Perfekt geschrieben ist. Denn so macht sich die Lage nicht mehr aus. Die Macht von Plattenlabels als die großen „Ermöglicher“ gibt es so nicht mehr. Es ist eine Demokratisierung eingetreten hinsichtlich Hardware (Aufnahme-Equipment) und Vertrieb (Musik verfügbar machen): Erschwingliche digitale Tools ersetzen manch teure Studiomiete und das Internet mit seinen Streaming-Plattformen liefert die Musik in die Welt, ohne dass man fünfzehnmal mit einem A&R (Die Person bei einer Plattenfirma, die sich um neue Bands kümmert) essen gehen musste. Klar, auch Spotify, YouTube oder TikTok wollen ihren Anteil – durch Sponsored Posts oder indem sie (im Fall von Spotify) die Tantiemen der Künstler:innen bloß in Cent-Bruchteilen „bezahlen“, unterm Strich aber kann jede:r in dieser neuen Zeit mit kleinem Taler seine Kunst anbieten und muss sich dafür nicht zwingend durch Nadelöhre von desinteressierten Plattenfirmen quetschen. Also Ende gut, alles gut?

Traurig, geilomatik und kackendreist: Paula zu Besuch bei „90er Live“

Nicht wirklich, denn auch wenn quasi die Pop-Produktionsmittel dem Volke übergeben wurden, gibt einem Karl Marx hier sicher kein High Five. Mit den größeren Möglichkeiten tragen die Künstler:innen nun auch eine große Last, der sie als Einzelpersonen letztlich kaum genügen können. Kein Wunder, dass sich das Thema Mental Health in den vergangenen Jahren immer wieder auch über Musiker:innen erzählt. Während Corona war ihnen ein wichtiger Teil der Erwerbsgrundlage (Live-Konzerte) verunmöglicht und heute ist es doch auch so, dass ein online aufwändig (Video, Streaming, Social Media) selbst in die Welt gepupstes Projekt in der alltäglichen Reizüberflutung möglicher Kund:innen verpufft. Und man sich am Ende damit auseinandersetzen muss, dass der eigene Song, die EP, der Clip kaum Verbreitung fand. Die Schuld dafür? Gibt man sich natürlich selbst. Zu wenig geil hat man abgeliefert, es wird schon seine Gründe haben, dass niemand das zu sehen und zu hören bekam.

Diesen frustrierenden Zustand beschreibt die Rapperin Finna in einem vielbeachteten Posting. Hier hat das superstressige Social-Media-Algorithmus-Diktat, dass eher Empörung, Katastrophen und Skandale befeuert, zumindest mal was Gutes getan. Aber es wäre doch viel schöner, wenn sich cooler Content auch von kleinen Acts verbreiten würde – und nicht bloß Brandreden.
Das hat sich auch Finna gedacht und einen kleinen Leitfaden zusammengestellt. Der ist genauso niederschwellig wie effektiv:

  • Hört die Musik/ den Song/ schaut das Video von Anfang bis Ende (zwei bis vier Minuten sind nichts im Vergleich zu dem, wie viel Arbeit und Liebe darin steckt)
  • Folgt ihnen auf Streaming-Plattformen, um ihre Musik überhaupt angezeigt zu bekommen (zum Beispiel in eurem Release-Radar)
  • Packt uns in eure Playlists
  • Geht mehr auf Konzerte und holt unbedingt Tickets im Vorverkauf, damit das Konzert überhaupt stattfinden kann (gerade nach Corona läuft es hier besonders schlecht)
  • Liked, shared, saved Beiträge auf Social Media und hinterlasst einen Kommentar/ ein Herz darunter, dass kann so viel verändern
  • Holt euch Merch/ Platten/ CDs/ Tapes eurer liebsten Artists und supportet direkt
  • Empfehlt eure Fav-Artists weiter
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Fest & Flauschig

Mit solch einfachen Tools wie den oben angeführten kann jede:r Bands pushen, die er:sie toll (und vor allem auch underrated) findet. Und wie wichtig Empfehlungen und Anregungen von anderen sind, kann man besonders da gut ablesen, wo ohnehin die großen Zahlen stecken: Eine Erwähnung (beziehungsweise mention, wie wir jungen Leute sagen) im Podcast Fest & Flauschig von Schulz und Böhmermann dürfte letztlich tausendmal effektiver (und für alle Seiten weniger cringe) sein als ein Sponsored Post, also gekaufte Reichweite. Ich erwähne das hier explizit, weil den Musiker Enno Bunger eine solche mention zuletzt ereilte und sich dermaßen viele Leute bei ihm meldeten, dass er daraus gleich ein eigenes Meme bastelte. Enjoy!

Klar, man selbst ist nicht Fest & Flauschig, aber glaubwürdige Empfehlungen und Tipps von friends spielen eine große Rolle bei der Verbreitung von Musik. Nutzen wir das aus. Nehmt euch also, wenn ihr mögt, von dieser Kolumne doch etwas mit – und postet doch mal was zu eurer eigenen kleinen Lieblingsband.

Reichweite nutzen

Ich möchte auf jeden Fall gern auch meine eigene Reichweite zur Verfügung stellen. Wer also einen tollen kleinen Act zu empfehlen hat (oder selbst betreibt), mache eine Insta-Story darüber und markiert mein Profil (@linusvolkmann), ich werde das dann teilen. (Sofern es keine sexistische Nazischeiße oder eh schon total big ist – das dürfte ja klar sein). Vielleicht steigen ja auch die Kolleg:innen vom Musikexpress selbst ein.

Das Angebot gilt, bis die nächste Kolumne (von Paula „Wann kommt endlich eine neue Coldplay?“ Irmschler dann) draußen ist.

Fest & Flauschig: Mit Laberflash und Pimmelhumor ganz nach oben

Rausgehauen

Natürlich sei bzb auch diese Kolumne genutzt, um mal Bands zu highlighten, die nicht allzu viele auf dem Schirm haben. Denn auch mir fällt immer wieder auf, dass ich die Acts in dieser regelmäßigen Rubrik hier dahingehend betrachte, wie viel Reichweite man wohl von den jeweiligen Namen erwarten kann. Schön blöd eigentlich.

Hier also viel eher eine kleine Empfehlungsliste jenseits aller von Social Media aufgezwungener, strategischer Betrachtung. Einfach gute Tipps abseits der großen Highways. Viel Spaß beim Nachkochen!

Club Deja-Vù

Eine eher süddeutsche Nerd-Allstar-Band, deren Kultstatus, Charme und Großartigkeit immer noch nicht im Einklang mit ihren Klicks steht.

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Baxendale

Eine meiner absoluten Lieblings-Acts der Nuller Jahre. Ich würde mir für das Londoner Power-Pop-Trio Baxendale jederzeit eine Kugel fangen. Gegen dieses Stück wirken selbst die Pet Shop Boys wie Rübenbauern. No front an alle Rübenbauern!

Baxendale schon ewig aufgelöst, dieses Stück wird dagegen alle Zeiten überdauern: „Music For Girls“. Entdeckt es hundert Jahre später, lohnt sich immer noch.

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Reeperbahn Festival 2023 Opening: „Wir müssen unsere Stimme nutzen!“

Xray Vez

Noch mal Großbritannien: Xray Vez spielt bei der auch unglaublich empfehlenswerten Band Wonk Unit Keyboards. Es gibt sie aber auch in einem Solo-Outfit. Make Synthie-Punk great again.

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Die Buben im Pelz

Hochinteressante Wiener spielen Velvet Underground in einer Art Schmäh-Version vor Indie-Hintergrund. Warum ist da eigentlich vorher noch niemand drauf gekommen? Na, weil nicht alle Künstler:innen dermaßen crazy drauf sind. Demnächst gibt’s ein neues Album, hier ein etwas älteres Stück als Teaser … Schwermut und Verzweiflung muss man erstmal so vertonen können.

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Wolke

Eine große kleine Lieblingsband für alle, die in den Nuller Jahren auf Indiepop waren. Jetzt gibt es ein Comeback des melancholisch schwelgerischen Duos Wolke aus Köln. Ich freue mich und weise ausdrücklich darauf hin, Leute!

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ZUSTRA

Auch wenn ich nicht befangen wäre (Ariana Zustra betreut beim Musikexpress die Literaturseite), würde ich kein Superlativ auslassen. ZUSTRA, das ist unglaublich atmosphärischer Hypnose-Electro. Und dass gute Popmusik dich immer auch auf einen ziemlichen Trip schicken sollte, davon weiß die Berlinerin offensichtlich auch.

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Unkonventionelle Lovesongs: Diese 10 Tracks denken Beziehungen neu

ROSI

Wer zu viel fühlte, hörte früher Gothic-Punk – also EA80 und Fliehende Stürme. Dazu am besten noch The Cure und Bauhaus und dann schön Kajal ins Gesicht. Zieht man das hier nun alles zusammen, kommt man bei ROSI raus.

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Liser

Die zweifarbige (gelb/blau) Wahl-Kölnerin konnte ich zuletzt live bestaunen, habe mich streng genommen bis heute noch nicht von erholt – positiv gemeint. Von dieser Künstlerin müssen wirklich alle wissen. Eine ihrer EPs heißt ANTIKAPITALISTISCHE PARTYBANGER und wir hören hier „Sexaugen“ von der Platte SONGS ÜBER JUNGS.

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So viel zu meinen Empfehlungen, jetzt seid ihr dran!

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

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