Iggy Pop: Das letzte Biest am Himmel
Unsere ME-Heldenstory über den unvergleichlichen Iggy Pop.

Er hat den Punk erfunden, die Erdnussbutter in die Geschichte des Rock’n’Roll eingeführt und ein ums andere Mal bewiesen, dass Oberbekleidung überschätzt wird. Sein Œevre klang zuletzt nach Abschied, jetzt steigt er ein weiteres Mal aus der Asche empor und Preise bekommt er dafür auch noch – einen wie Iggy Pop gibt es kein zweites Mal.
Die Irritation
„Recognition is a hard mistress“, so spricht James Newell Osterberg alias Iggy Pop. Anerkennung ist nicht so einfach zu erreichen, um es mal dezenter auszudrücken. Iggy trägt bei jenen Worten einen schicken Anzug, ein T-Shirt, das er diesmal nicht auszieht. Vielleicht auch deswegen, weil im Parkett vor der Bühne die Royals sitzen. Carl XVI. Gustaf, König von Schweden, ist zugegen, seine Gattin, Königin Silvia, ebenfalls, dazwischen ihre Tochter, Kronzprinzessin Victoria, die sich augenscheinlich am meisten über Iggys Anwesenheit freut. Ort des Geschehens ist das Grand Hotel in Stockholm, am 24. Mai 2022 wird dort im 30. Jahr der Polar Music Prize verliehen, mit dem je ein*e Künstler*in aus dem Bereich Pop (!), und eine*r aus dem Segment Klassik fürs musikalische Schaffen geehrt wird. 1992 erhielt Paul McCartney als erster den mit einer Million schwedischen Kronen dotierten „Nobelpreis für Musik“, es folgten Größen wie Joni Mitchell, Bob Dylan, Bruce Springsteen, Sonny Rollins, Björk, Ennio Morricone, Grandmaster Flash. Und nun also Iggy. Der Anlass ist feierlich, die sonore Stimme des Herrn Pop passt perfekt. „Ada Osterberg, eine schwedische US-Immigrantin, adoptierte meinen Vater James. Sie war Krankenschwester beim Roten Kreuz“, erzählt Iggy Pop über seine skandinavischen Wurzeln. „Sie zog ihn während der Großen Depression groß. Das waren großartige Leute, reale Menschen. Ich bin weder großartig noch real. Hier und heute bin ich ein Mythos. Glücklicherweise ist auch Musik eine Art Mythos. Alle Schönheit entspringt dem Glauben an einen Mythos.“ Iggy, der ‚Chairman of the Bored‘, das passt irgendwie. Und doch denkt man so beim Zuhören, Mensch, ist ja schon auch ziemlich gesetzt alles. Kommt da noch ein bisschen Rock’n’Roll rein, eine Prise Gefahr, etwas Unberechenbares? Iggy faltet den Zettel mit seiner Rede noch ein Stück auseinander. „Aber hin und wieder musst du real werden. Eier haben. So habe ich es hierher geschafft. Also, wenn ihr an Musik denkt, wenn ihr an diesen Preis denkt und falls ihr euch an mich erinnert, dann denkt an die Eier.“ Es geht nicht anders, so vorgestrig die Nummer mit den Testikeln sein mag, beinah noch an Olli Kahn und sein „Wir brauchen Eier“ denken lässt – wie James Newell Osterberg da der versammelten Aristokraten- und Monarchenschar diese Sätze serviert, das ist so zeitlos wie Schülerstreiche. Klingelingeling, hier kommt der Eiermann. Kurz schwenkt die Kamera auf das Gesicht von Königin Silvia, für eine Nanosekunde kann man fast ihre Zähne knirschen hören, aber dann übertönt der Applaus alles. Abgang Iggy Pop. Detroit vs. Stockholm 1:0. Sverige and Destroy.
Diese pennälerhafte Lust an der Irritation, das Lausbubenmäßige, der Schalk im Nacken, all das beschreibt genau genommen eine Linie von jenem lauen Mai-Abend in Stockholm direkt zurück in die 60er-Jahre. Man schaue sich die frühen Bandfotos seiner ersten Formation an, der Iguanas, dem Ursprung seines Spitznamens. Schon damals scheint der Anzug nur angezogen, um schleunigst wieder ausgezogen zu werden, meint man selbst auf diesen historischen Schwarz-weiß-Aufnahmen jenen Zug um Iggys Mund zu erkennen, der mittels Mikroexpression, kaum sichtbar, und doch unmissverständlich klarmacht: Freut euch nicht zu früh, die Nummer hier fliegt euch in Bälde um die Ohren – und ich bin es, der das Streichholz an die Lunte hält.
Das Feuer, es brennt schon früh in ihm. Am 21. April 1947 in Ann Arbor, Michigan, auf die Welt gekommen, stellt sein Hobby das Elternhaus schon bald auf die Probe. Das Schlagzeug als solches, nicht eben ein familienkompatibles Instrument, doch Vater Osterberg nimmt es pragmatisch und überlässt dem Steppke das Schlafzimmer des Familientrailers als Proberaum. Gleich mit seiner ersten Formation, den Iguanas, schnuppert Iggy am ganz großen Ding. Die Band spielt Shows im Vorprogramm der legendären Shangri-Las und der nicht minder prominenten Kingsmen, veröffentlicht eine Single namens „Mona“. Zwischenzeitlich geht es nach Chicago, Prime Movers heißt seine zweite Kombo, dann geht es zurück nach Detroit, in die Stadt der Motoren, deren industrieller Grundton zu Iggys musikalischem Meridian wird. „Ich stand auf das Knallen der Maschinen, den metallischen Lärm, der von den vielen Autofabriken kam“, erzählt Iggy in Jim Jarmuschs vorzüglicher Stooges-Doku „Gimme Danger“.
Das Unberechenbare
An Halloween 1967 steigt der erste Gig der Stooges, mit Iggy am Gesang, Ron und Scott Asheton an Gitarre und Schlagzeug, Dave Alexander am Bass. Ein paar Monate später erst der nächste Gig im berühmten Grande Ballroom von Detroit. Ihr Ruf macht schnell die Runde. Es gibt da diese Band, deren Sänger immer irgendetwas Unberechenbares anstellt. Der zuweilen mit Torten schmeißt und sich dafür schon mal eine blutige Lippe einhandelt, von Zuschauern, denen der Sinn nicht so sehr nach süßem Backwerk steht. Der sich ein anderes Mal den chronisch nackten Oberkörper lustvoll mit Erdnusscreme einreibt oder wie eine wildgewordene Echse über die Bühne kriecht, sich womöglich damals schon die ersten jener vielen Beckenboden-Stauchungen zuzieht, die ihn heute so schief dastehen lassen.
Textlich sind die Botschaften simplifiziert und auf den Punkt. Lass mich dein Hund sein. Kein Spaß. Kleines Püppchen. Mir ist langweilig. Suchen und zerstören. „Ich stand auf Bob Dylan, auf die Geschichten, die er erzählte“, so Iggy im Interview kurz vor der Reise nach Stockholm. „Aber mir war klar, dass ich ihn nicht imitieren wollte, das konnte ich gar nicht. Mir ging es darum, etwas Ähnliches auszudrücken, aber mit meinen Mitteln, in meiner Sprache.“ Das Ganze zur Musik der Stooges, deren wilder Mix sich als Proto-Punk überhaupt erweisen sollte, einflussreich bis in die hintersten Ritzen der Rockmusik, jenes stoische Riffing, mal auf den Punkt und in zweieinhalb Minuten auserzählt, dann wieder im Geiste des Free Jazz, auf den Iggy schon früh steht, zerdehnt, verspielt, vermeintlich ziellos und zutiefst anarchisch. Nach hinten raus sind das Hippie-Überhänge der Doors und Hendrix, nach vorn lauert schon die Klasse von 1977 und alles danach, ohne es zu ahnen. Die Sex Pistols und The Damned in den 70ern, Sisters Of Mercy und Siouxsie in den 80ern, Mudhoney und Sonic Youth Anfang der 90er, alle saugen die Stooges, saugen Iggy und seine Songs auf und spielen nach.
Es knallt
Der Sound wird live zum Klangteppich für Iggys Exkursionen. In einer Mischung aus Exhibitionismus und Darstellungskunst, aus naiver Clownerie und situationistischer Disruption, versieht er den Rock’n’Roll mit jener Unberechenbarkeit, mit dem Erstaunen, diesem gewissen Sensationsfaktor, der einen Konzertabend bestenfalls auszeichnet, anders gesagt: Bei Iggy wusste man nie so genau, was passiert. Klar war nur, dass etwas passiert, und dass es knallen würde. Als Punk Mitte der 70er so richtig explodiert, sind die Stooges, sind die Pioniere des Genres, schon wieder Geschichte. Bereits 1971 hatten sich Pop und David Bowie bei einer Show in Max’s Kansas City kennengelernt, wo Bowie sein Album THE MAN WHO SOLD THE WORLD vorstellte. Iggy war Bowie nach London gefolgt, wo schließlich das Album RAW POWER entstand, das letzte der klassischen Stooges-Phase, erschienen 1973, im Jahr darauf das vorerst letzte Konzert der Stooges, der Gig in Detroit von brutalen Auseinandersetzungen mit einer Biker-Gang überschattet. Iggy tourt mit Bowie, der wiederum produziert seine Platten, ganz besonders in Berlin hinterlässt diese Bromance kulturelle Spuren, Bowies HEROES, Pops LUST FOR LIFE, zwei der epochalen Zeitzeugnisse für die Pop-Annalen. Pop und Bowie, a match made in Rock’n’Roll Heaven, dabei zäumen die beiden das Pferd eigentlich von verschiedenen Seiten auf. Während man drogistisch wohl an einem Strang zieht, auch klanglich gut zueinander passt, sind die Image-Vorstellungen der beiden durchaus unterschiedlich. Hier Bowie, der konzeptionelle Planer, der Wanderer zwischen den Körperwelten, mal Ziggy, dann der Thin White Duke, ausgeklügelte Persona-Anwürfe, demgegenüber Pop, der mehr auf Kurzstrecke und Spontaneität setzt, auf Überrumplung und Ekstase, der Spasmus als Kunstform, eine Art Hypophyse-Pogo im Gegensatz zu Bowies Ballett.
Zu Beginn der 80er schließlich haut Pop mit ZOMBIE BIRDHOUSE noch ein wildes Experimental-Album raus, dann nimmt er sich ein erstes längeres Break, beginnt in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts mit der Grundsteinlegung jenes Fundaments, auf dem sein gleißend heller Ruf bis heute beruht. Iggy arbeitet mit den Pistols Glen Matlock und Steve Jones zusammen, erklimmt mit „Real Wild Child (Wild One)“ zum ersten Mal die UK-Top10, versucht sich mit „Cry For Love“ erfolgreich an Gothrock, hakt sich 1990 bei Kate Pierson unter und schwoft mit ihr zu „Candy“, kurz nachdem er mit dem Album INSTINCT (1988), darauf das Brett „Cold Metal“, noch einmal all things Hardrock Dampf unterm Hintern gemacht hat. Spätestens mit AMERICAN CAESAR (1993) nimmt Iggy Pop endgültig Ikonen-Gestalt an, nicht nur in der Außenwirkung, sondern auch und vor allem in der Selbstinszenierung. Der Albumtitel, das Cover mit dem halbnackten Iggy, also so, wie der Rockgott, mithin er selbst, ihn einst schuf, nun jedoch erstmals dezent angejahrt, dazu der ironische Klebesticker auf dem Cover: „Parental Warning – This Is An Iggy Pop Record“. Das klingt nach Gefahr, aber eben auch nach einer Menge Selbstironie. The Age Of The Ig, das nächste Kapitel.
Den Rest der 90er verbringt Iggy mit unspektakulären Alben, einigen spektakuläreren Filmrollen, Anfang des neuen Jahrtausends setzt sich die nächste Generation aufs Knie von Onkel Iggy und lässt sich von ihm durchschütteln. So wie Grunge et al vom Osterberg-Syndrom durchzogen war, so wissbegierig saugen nun auch Neopunk-Bands wie Sum 41 oder Green Day den Nektar auf. Derart in den Status des Elder Statesman gerutscht, juckt es Iggy sogar noch einmal in den Fingern, was die Stooges angeht.
Die Wucht
Mit THE WEIRDNESS gibt es 2007 ein Comeback-Album, drin ist, was draufsteht, Steve Albini sorgt für den zeitlosen Sound, ein später Klassiker, der ein paar Jahre reifen muss, um volle Würze zu entfalten. Mit READY TO DIE legen die Stooges 2.0, diesmal mit James Williamson an der Gitarre, sechs Jahr später sogar noch einmal nach. Was folgt, sind Experimente in Jazz und Chanson, bei Iggy wird es ruhiger. Zeit fürs Valhalla? Es klingt fast so. POST POP DEPRESSION kommt 2016 als großes Goodbye in Glam, die Konzerte zum Album geraten zu touchy Gottesdiensten, ähnlich wie bei Kollege Cave ist jetzt noch einmal „Bitte berühren“ die Devise, wer weiß, ob es noch mal möglich ist. Als würde Iggy von dieser Feierlichkeit irgendwann selbst ein wenig übel, konterkariert er wieder einmal alles – und ziert plötzlich den Titel des „db mobil“-Magazins der Deutschen Bahn. The Ig mit Bahncard, Fensterplatz zum Ausgucken und wieder dieser Blick, den man schon von besagten Fotos der Iguanas kennt: Der Typ hat immer einen Sinn. Und wie sieht es mit dem Anschlusszug aus? Diese Zugfahrt endet dort? Oder doch noch mal umsteigen? Iggy Pop antwortet auf seine Art und schleudert mit EVERY LOSER ein neues Album in die Welt, das noch einmal alles auf links dreht, in seiner Wucht allen Gedanken an Abschied und Altersruhesitz den Garaus macht.
Als ersten Vorboten daraus gab es die Single „Frenzy“, ein brachiales Kleinod im Geiste der Stooges, so originär Detroit Rock City, dass es kracht. Und wie lautete noch gleich die erste Zeile: „Got a dick and two balls, that’s more than you all“. Da waren sie also wieder. Ob Königin Silvia den Song wohl schon gehört hat? Klingelingeling…