Krise Im Konzertbusiness


„Livemusik“, sinniert Michael Löffler, „wird es immer geben. Die ist weder durch Auftritte im Fernsehen noch durch Live-Alben zu ersetzen, genauso wenig wie Sex selber machen durch Pornofilme.“ Was aber nicht bedeutet, daß der Geschäftsführer des Konzertveranstalters Target (Smashing Pumpkins, Garbage) sonderlich optimistisch in die Zukunft blickt. Daß die gesamte Branche sich derzeit in düsteren Prognosen ergeht, ist ihm kein allzu großer Trost. „Die Marktmechanismen werden zu einer noch stärkeren Konzentration führen“, prophezeit Peter Rieger (Genesis, PhilCollins und demnächst U 2). „Letztlich werden nur die überleben, die das nötige Stehvermögen haben / und in der Lage sind, auch mal zu sagen ‚Mit uns nicht'“, ist Marek Lieberberg, einer der Großen in der bundesdeutschen Veranstalterszene, überzeugt. Und: „Wir müssen uns daraufgefaßt machen, daß man sich gegenseitig an die Gurgel geht.“ Ist möglicherweise schon passiert. Das Münchner In der Konzertbranche herrscht Katerstimmung. Die Kosten steigen, die Aussichten auf Profite sinken. Schuld daran, so die Veranstalter, sei unter anderem die Steuer. Wer in den Verdacht gerät, dem Fiskus ein Schnippchen geschlagen zu haben, läuft Gefahr, hinter Gitter zu gehen. Peter Felkel berichtet über die Befindlichkeit einer Branche.

(me sounds report)

Nachrichtenmagazin „Focus“ jedenfalls schrieb nach der Verhaftung von Konzertmogul Marcel Avram (Mama Concerts & Rau): „Matthias Hoffmann (ebenfalls Konzertveranstalter/Anmerkung der ME/Sounds-Redaktion) und Marcel Avram schwärzten sich nach ‚Focus‘-lnformationen… gegenseitig beim Fiskus an.“ Vorwurf in beiden Fällen: Steuerhinterziehung. Wobei Hoffmann, der Luciano Pavarotti, Placido Domingo und Jose Carreras nach Deutschland geholt hatte, gegen eine Millionenkaution wieder freikam. Avram hingegen saß bei Redaktionsschluß immer noch in Untersuchungshaft.

Acht Millionen Mark soll Avram (Jahresumsatz von Mama & Rau: 120 Millionen Mark) am Finanzamt vorbeigeschleust haben. Unabhängig vom Fall Avram läßt sich lediglich mutmaßen, aufweiche Weise derlei illegale Transaktionen getätigt werden. Nach Recherchen von ME/Sounds ist es allerdings gang und gäbe, im außereuropäischen Ausland eine Briefkastenfirma zu gründen und dort pro forma den Star X anzustellen. Der geht dann auf Konzertreise und stellt dem Veranstalter am Ende der Tour eine Rechnung. Das Geld wird dann zu den meist extrem niedrigen Sätzen des Landes, in dem sich der Firmensitz befindet, versteuert — und alle sind zufrieden. Nur die deutschen Finanzbehörden schauen in die Röhre.

Verführerisch scheint dieser Weg vor allem vor dem Hintergrund ständig steigender Belastungen der Veranstalterbranche: Die Stars fordern Phantasiesummen als Festgage, die Produktionskosten explodieren, und auch der Staat langt kräftig hin. lüngstes Beispiel: Seit Anfang 1996 müssen statt fünfzehn 25 Prozent Künstlersteuer abgeführt werden. Hansgeorg Hauser, parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, begründet gegenüber ME/Sounds diese Anhebung mit einer Intervention des Bundesrechnungshofes. Früher, sagt er, wurde unterstellt, daß 70 Prozent einer Gage Kosten sind. Der Rest wurde zur Hälfte vom Finanzamt kassiert. Macht unter dem Strich 15 Prozent. Das Problem — und hier setzte auch die Kritik des Rechnungshofes ein — war, daß besagte „Künstlersteuer“ eben nicht nur für Künstler, sondern beispielsweise auch für Tennisspieler galt. Hauser: „Für die schien ein Kostenanteil von 70 Prozent nicht realistisch.“ Also wurde dieser Satz auf 50 Prozent heruntergeschraubt. Mit der Folge, daß der Fiskus fortan 25 Prozent der Gage einsackte. Eine Michael Jackson-Tournee im Vorjahrwurde daraufhin abgesagt, die Prominanz trat lieber in Prag oder Budapest auf. Einzelfälle, meint Hauser. „Wenn ich mir die Veranstaltungsanzeigen für Konzerte ansehe, habe ich nicht den Eindruck, daß sich die Veränderung des Steuersatzes nachhaltig negativ ausgewirkt hat. Allen Künstlern ist bewußt, daß Deutschland ein hochinteressanter Markt ist.“ Aus Sicht von Jens Michow ist die letzte Umdrehung der Steuerschraube noch lange nicht erreicht. „Ich rechne damit, daß im kommenden Jahr die Künstlersozialabgabe von 2,8 auf 5 bis 6 Prozent steigen wird“, sagt der Präsident des Interessensverbandes deutscher Konzertveranstalterund Künstlervermittler (IDKV). Angesichts der gängigen Besteuerungspraxis, so klagt er, müßten „in Extremfällen ausländische Künstler sogar noch Geld mitbringen, um die Steuerschuld zu bezahlen“. Mit den schon erwähnten 25 Prozent Künstlersteuer allein ist es ja nicht getan. Durch Umsatzsteuer und Solidaritätszuschlag kommen Gruppen auf eine Gesamtbelastung von 28,7 Prozent, Einzelkünstler gar auf 30,9 Prozent. Einziger Ausweg aus diesem Dilemma: „Im Zuge der für 1999 geplanten Einkommenssteuernovellierung darf der Steuersatz nicht nur auf die vorgesehenen 19,5 Prozent abgesenkt, sondern muß weiter heruntergeschraubt werden.“ Und: „Man muß endlich zwischen Äpfeln und Birnen unterscheiden. Eine aufwendige Bühnenproduktion muß anders veranschlagt werden als das Einkommen eines Tennisspielers.“ Den Kern des Problems allerdings ortet Michows woanders: „Die Politik sollte anfangen, Kultur anders zu behandeln als die Automobilindustrie oder andere Wirtschaftszweige. Natürlich handelt es sich auch bei der Unterhaltungsbranche um eine Industrie, in der riesige Geldmengen bewegt werden. Mich stört aber, daß kein Politiker den Stellenwert der Kultur richtig einzuschätzen weiß.“ Das kann Konzertveranstalter Berthold Seliger (Walkabouts, Tortoise, Youssou N’Dour) nur unterstreichen: „Pop-, Rock- und Weltmusik müßten von politischer Seite als zeitgenössische Kultur anerkannt und entsprechend gefördert werden. Aber keine der etablierten Parteien setzt sich damit auseinander. Statt dessen wird nur die sogenannte Hochkultur subventioniert.“ Was laut IDKV-Präsident Michow zu einer „Verrohung der Sitten“ führt, laut Michael Löffler zu „Auswüchsen durch den Konkurrenzdruck“: „Wenn ein Veranstalter 100 Prozent Gewinn bietet, bietet der andere 150 Prozent.“ Bleibt die Frage: Wer soll das bezahlen? Wird der Konzertgänger bald für mittlere Acts wie zum Beispiel die Black Crowes 80 Mark oder mehr pro Ticket hinblättern müssen? Nein, meint Berthold Seliger, „die Preise für kleine und mittlere Acts sind ausgereizt“. No way, sagt auch Peter Rieger: „Die Schmerzgrenze ist erreicht. Es gibt aus meiner Sicht nur zehn Gruppen oder Künstler, bei denen man diese Grenze überschreiten kann. Ein Beispiel dafür

ist Phil Collms: Die Leute murren zwar, aber akzeptieren letztlich den Preis. Andererseits: Wer mit seiner Frau oder Freundin ein Festival besucht, sich womöglich auch noch am Merchandising-Stand eindeckt, der muß mittlerweile so viel bezahlen wie für einen Last-Minute-Urlaub auf Mallorca.“ Im Grundsatz teilt auch Marek Lieberberg diese Meinung. Nur sieht er den Verbraucher in einer „weit günstigeren Situation“: „Er kann nach seinem Geschmack oder dem, was der Geldbeutel hergibt, Prioritäten setzen.“ Zudem hat Lieberberg „gerade bei neueren US-Acts wie Offspring oder Green Day“ ein „gewisses soziales Bewußtsein“ ausgemacht, das sich in Ticketpreisen zwischen „20 und 25 Mark“ niederschlägt. Doch egal ob höhere Preise für den Fan, geringere Gagen für die Stars oder kleinerer Profit für den Veranstalter: Alle drei Alternativen, sagt Berthold Seliger, „sind eine Katastrophe“.

Das finanzielle Tamtam um einige wenige Superstars, für die der Fan angeblich größere Summen aufzubringen bereit ist, geht, so die einhellige Einschätzung, eindeutig zu Lasten unbekannterer Bands. „Bei den Großen weiß ich, daß die nur alle drei, vier oder fünf Jahre kommen. Also muß man da hin. Bei anderen schauen die Leute natürlich aufs Portemonnaie“, sagt Veranstalter Peter Rieger. Deshalb, so glaubt er, hat auch der lange leerstehende WDR-Rockpalast wieder sechs bis sieben Millionen TV-Zuschauer. „Klar, man denkt sich, den Hunderter spar ich mir, und schaut sich das mit ein paar Freunden und einern Kasten Bier im Fernsehen an.“ Billiger, bequemer (Michael Löffler: „Die Veranstalter haben zu lange zu wenig unternommen, etwa was den Komfort bei Konzerten angeht“) geht’s kaum. Nur daß dabei eine ganze Szene einzugehen droht. „Die mittlere Ebene ist uns fast schon verlorengegangen. Heutzutage heißt es nur noch ‚Ausverkauft‘ oder Katastrophe“, resümiert Peter Rieger.

Laut Marek Lieberberg sind Tourneen längst zum Glücksspiel verkommen. Grund: „Es herrscht ein Überangebot. Der Markt sagt nichts mehr aus über wirkliche Popularität. Der Geschmack des Publikums wandelt sich immer schneller.“ Konsequenz: „Weil es nicht mehr möglich ist, einen Künstler über einen längeren Zeitraum hinweg aufzubauen, muß man als Veranstalter ein intaktes Gespür dafür haben, mit wem man über den Tag hinaus zusammenarbeiten kann, und sich vor Strohfeuern hüten, in denen man letztendlich selbst verbrennt.“ Denn: „Der Veranstalter ist doch in der gegenwärtigen Situation der einzige, der ein Risiko eingeht, der wirklich noch investiert.“

Nun könnte man ja meinen, daß Sponsoring-Aktivitäten der Wirtschaft helfen könnten, dieses Risiko zu verringern. So gab Lieberberg-Sprecher Hansi Hoffmann unlängst zu Protokoll, daß die Eintrittspreise für die dreitägigen „Rock im Park/Rock am Ring“-Festivals nur dank „Unterstützung von außen“ bei vergleichsweise günstigen 100 Mark liegen konnten. Mag sein, doch grundsätzlich ist sein Chef der Auffassung, daß „Sponsoring dem Veranstalter wenig bis gar nicht hilft“. Das sei ein Geschäft zwischen Sponsor und Künstler, der Veranstalter „nur noch Erfüllungsgehilfe“. Vollends absurd wird es aus Lieberbergs Sicht, „wenn — wie im Falle Bon Jovi geschehen — VW Werbemaßnahmen zu einem Zeitpunkt startete, als die Konzerte schon längst ausverkauft waren“. Andere Erfahrungen hat Peter Rieger gemacht: „Der Vorteil liegt gerade darin, daß der Sponsor für

die Tour wirbt. Das bedeutet für uns, daß wir unser Budget nicht von Anfang an ausschöpfen müssen. Außerdem ist es dank der Sponsorengelder möglich, die immensen Produktionskosten zu reduzieren und bestimmte Künstler überhaupt erst nach Deutschland zu bekommen.“

Nur bei mittleren Acts, da sind sich die Veranstalter einig, funktioniert Sponsoring nicht. „Wenn jemand eine zehntägige Tournee sponsert und dabei pro Abend 5000 Besucher erreicht, sind das 50.000 Kontakte. Das steht für das Unternehmen doch in keiner Relation zu den Kosten.“ Berthold Seliger zweifelt aus anderen Gründen: „Entweder funktioniert das im ganz Kleinen, wenn sich Veranstalter und Sponsor kennen, oder im ganz Großen. Es mag lächerlich sein, wenn VW Genesis oder die Stones sponsert. Aber da stehen sich wenigstens Gleichberechtigte gegenüber. Unbekanntere Bands laufen dagegen Gefahr, sich in eine gewisse Abhängigkeit zu begeben, denn mit Mäzenatentum haben Sponsoren nichts am Hut.“

VW vielleicht doch: Der Automobilkonzern, so Vorstandsmitglied Dr. Klaus Kocks gegenüber dem Fachorgan „Werben & Verkaufen“, will 1997 ein neues Musikprojekt zur Förderung junger Künstler starten und als „Partner für Newcomer“ Unterstützung durch Sachleistungen gewähren. Jan Runau, Firmensprecher des Sportartikelhersteller Adidas zum selben Thema: „Wir betreiben kein direktes Sponsoring, sondern setzen auf Kontaktpflege und Synergie-Effekte via Merchandising.“ Was bedeutet, daß schon mal die Backstreet Boys ausgerüstet werden, Tic Tac Toe bei einem Streetball-Turnier auftreten oder Hip-Hop-Parties gefördert werden. Dem Konzertgänger allerdings sind derlei Aktivitäten herzlich egal. Ihm geht es darum, möglichst wenig Geld an der Konzertkasse abgeben zu müssen. Doch genau hier ist Besserung kaum in Sicht. Viele Konzertkarten bleiben teuer, und das Geld in den Portemonnaies der meisten Besucher von Rock- oder Popkonzerten bleibt weiterhin knapp. Bis auf weiteres also scheint Marek Lieberbergs Prognose gültig zu bleiben: „Leider muß es wohl weiterhin Flops und Pleiten geben, ehe sich langfristig etwas ändert und die Beteiligten realisieren, daß man nicht beliebig Einnahmen erhöhen und Gagen garantieren kann.“ Und bis auf weiteres wird Veranstalter Löffler auf die Frage, ob ihm sein Job eigentlich noch Spaß macht, wohl auch antworten: „Offengestanden gibt es Tage, da wäre man am liebsten arbeitslos, weil man sich nur rumärgern und Geld mitbringen muß, statt Geld zu verdienen.“