Massen-Hypnose: Pearl Jam


ROTTERDAM. Grunge im Hallenformat macht skeptisch. Fast 10000 Leute faßt der „Ahoy Sportpalast“ am Rande Rotterdams: In dem trüben Allzweck-Neubau begeistern sonst Kollegen wie Prince oder Neil Young routiniert ein Publikum, das Bier aus 0,2 Liter fassenden Fingertüten trinken muß. Klar, daß unter diesen Umständen die Massenmotivaiion nur von der Bühne kommen kann.

Doch die Voraussetzungen für Pearl Jam waren günstig. Seit gut einem Jahr behauptet sich ihr Debüt „Ten“ trotzig weltweit in den Charts, Ende September soll der Nachfolger erscheinen, die eingeschworenen Fans warten gierig auf neues Futter.

Glasperlenbehängte Hippie-Frischlinge, die mit deutschen Kennzeichen auf dem Parkplatz vorfuhren, waren kein ungewöhnlicher Anblick an diesem lauen Sommerabend in Holland.

Seit Pearl Jam nach Nirvana die zweiten Protagonisten des Seattle-Fiebers wurden, analysieren kluge Beobachter die seltene Übereinkunft, die die Band mit ihrem Publikum pflegt. Päpstlichen Kollegen aus dem vermeintlichen Untergrund war ihr Massen-Appeal schnell suspekt. Doch ob Pearl Jam nun Grunge oder gut getarnter Mainstream ist, kümmert keinen mehr, als in Rotterdams Retortenbau das Licht ausgeht. Denn dann macht es sich breit, das Unerklärbare: Eddie Vedder, seelenvoller Frontmann mit einer der eindringlichsten Stimmen der Gegenwart, und dazu eine Band, die wild entfesselt, aber auch voll natürlicher Harmonie alle Pearl Jam-Hymnen von „Alive“ bis „Jeremy“ über die Bühne bringt.

Das Publikum nimmt dankend an, singt Wort für Wort mit, was sind schon 9999 Andere mit fliegenden Haaren und geschlossenen Augen zelebriert jeder Zuhörer sein intimes Pearl-Jam-Privatvergnügen. Ach ja, und eigentlich war man doch gekommen, um neues Material zu hören. Pilgernde Pearl Jam-Fans kannten auch das schon auswendig, schließlich hatte die Band schon ein paar Europa-Termine hinter sich. Bösartige Rock-Attacken wie „Drop The Leech“. aber auch „Jeremy“-ähnliche Balladen wie „Daughter“ gehen eben genauso leicht ins Ohr wie Altbekanntes. Über ein Pearl Jam-Leben nach „Ten“ braucht sich wohl niemand Sorgen zu machen.