Noch mal davongekommen


Ohne Zweifel ist Deutschland noch immer das Land, in dem die Sweet ihre grössten Erfolge verbuchen können. Nirgendwo anders als bei uns erreichten ihr Album 'Sweet F.A.' und ihre letzte Single The Six Teens' so hohe Hitparadennotierungen. Dementsprechend erfolgreich verlief auch die gerade beendete Deutschland-Tournee der Sweet. Beinahe wäre diese Tour jedoch ins Wasser gefallen, weil es zwischen den vier 'süssen' Engländern gefährliche Meinungsverschiedenheiten gab. an denen die Gruppe beinahe zerbrochen wäre. Nachdem acht Monate lang alle Auftritte abgesagt wurden, erlebte MUSIK EXPRESS das wichtige Test-Konzert der Sweet in Blackpool (England), von dem es abhing, ob die Deutschland-Tournee überhaupt stattfinden würde oder nicht.

DER GANZE RUMMEL WURDE UNS ZUVIEL!

Die Sweet-Jungs sind wahrhaftig nicht die freundlichste Pop-Gruppe. Oft genug gab es Streitereien und PrOgelein in fast Jeder Stadt und sogar auf der Bühne. Auch Hoteis und Garderoben wurden nicht verschont, Journalisten wurden angeschnaubt und kamen meistens gar nicht zu Wort. Ais wir uns nach London aufmachten, um diese ‚Rabauken‘ zu treffen, waren wir auf’s Schlimmste vorbereitet…

Im legendären Londoner Rainbow Theatre treffen wir die Sweet-Herren, die hier zwei Tage vor dem Comeback-Konzert in Blackpool ihre Generalprobe abhalten. Als wir durch den Bühneneingang das Theater betreten, ist unser Erstaunen gross, denn das, was uns da entgegentönt, erinnert überhaupt nicht mehr an die Funny, Funny-Coco- und Llttle Wlllie-Zelten.

Das ist knallharter Rock! Es hört sich fast so an, als wenn die Who oder Deep Purple am Werke seien. Anfangs denken wir, wir sind im falschen Saal gelandet, aber als wir dann Brian’s blonden Schopf entdecken, wird uns klar, dass sich bei den Sweet einiges verändert haben muss. Mick Tucker bearbeitet verbissen ein gigantisches Schlagzeug, während Andy Scott heulende und zischend« Tone aus seinem Synthesizer herausholt. Bassist Steve Priest untermalt das Ganze mit vibrierenden Basstönen, sodass die nagelneue Anlage arg strapaziert wird.

Das sind wirklich nicht mehr die Sweet, die wir so gut kennen. Abgesehen von ein paar bissigen Worten in Richting Tontechniker, die es sowieso nicht leicht haben, ist es sehr dizipliniert. Auffallend ist vor allem, dass Band-Chef Brian diese Funktion nicht mehr ausübt, sondern das Andy Scott und Mick Tucker die Ro!le von Brian übernommen haben. Wir werden Zeuge des neuen Sweet-Sounds, den sie in Zukunft ihren Fans präsentieren werden. Uns wird sehr schnell deutlich, dass die Sweet wahrhaftig nicht mehr süss‘ zu nennen sind. Nach Beendigung der Generalprobe haben wir Gelegenheit mit Mick Tucker zu sprechen. Brian und die anderen sind schon nach Hause gegangen. Mick erzählt uns von den Auseinandersetzungen innerhalb der Gruppe:

Als wir voriges Jahr Im November das letzte Mal auftraten, war unsere Stimmung auf dem Nullpunkt angekommen. Zu diesem Zeltpunkt wollten wir auch auseinandergehen.

Unser grösstes Problem war, dass wir nicht mehr länger die Songs von Nlcky Chlnn und Mike Chapman spielen wollten. Du musst bedenken, dass wir vor unserer ‚Goldenen Zeit‘ eine reine Hard-Rock-Gruppe waren und dass wir erst später so Sachen wie ‚Funny, Funny‘ usw. gebracht haben. Steve, Andy und ich sind echte Rock-Musiker, während Brian mehr ein Teenager-Idol ist. Dem ging das Funny, Funny-Zeug lange nicht so sehr auf die Nerven wie uns anderen. Es kann einen wirklich deprimieren, wenn man sieht, dass andere Gruppen wie zum Beispiel die Who, Led Zeppelin oder Deep Purple Musik machen, die ihnen gefällt, und die sie gerne auf der Bühne spielen, während unsereins gezwungen ist, Sachen zu bringen, die uns in Wirklichkeit gar nicht gefallen. Wir hatten eine schwere Auseinandersetzung mit Chinn und Chapman, die uns schliesslich auch fallenliessen. Auch mit Brian hatten wir viel Kummer. Wir konnten nicht verstehen, dass er auf Händen getragen wurde, während wir die ganze Arbeit leisteten. Nein, für uns war dieser Winter bestimmt nicht rosig.

ME:

Doch nun habt Ihr euch wieder aufgerafft. Sind jetzt endgültig alle Probleme gelöst?

Mick:

Schau mal, der ganze Rummel wurde uns auf einmal viel zu viel und wir sind ein paar Nächte hintereinander regelrecht in irgendeiner Kneipe versackt. Dabei haben wir dann sehr viel miteinander gequatscht. Brian hat schliesslich begriffen, dass wir keinen Bock mehr auf solche anspruchslose Musik haben, und dass wir etwas ganz anderes aufziehen wollten. Wir verstehen auch, dass Brian eben das ‚Gesicht‘ der Gruppe ist und dass er sehr viele Fans hat. Darüberhinaus ist er auch ein hervorragender Sänger. Wir haben dann eine Art Kompromiss geschlossen, wobei von jetzt an jeder von uns was zu sagen hat. Unser Sound soll viel ‚heavier‘ werden und wir wollen in Zukunft fast ausschliesslich unsere eigenen Nummern spielen. Aber unsere alten Hits sind natürlich noch mit von der Partie. Auch unsere Bühnen-Show wollen wir anders gestalten. So habe ich zum Beispiel einen Film von mir gemacht während ich Schlagzeug spiele. Den lasse ich während des Konzerts laufen und trommele dann mit mir selber im Duett. Andy bearbeitet einen Synthesizer und gebraucht einige Tonbänder, womit er auf der Bühne, ein paar neue Effekte in unsere Show bringt. Ausserdem haben wir eine neue Lightshow und eine neue Anlage.

ME: Es Ist in der Tat ganz schon eindrucksvoll, was Ihr euch da habt einfallen lassen, vor allem dein Schlagzeug-Duett, sowas habe Ich noch nie gesehen. Habt ihr euch das In der achtmonatigen Pause ausgedacht?

Mick:

Ja, aber diese acht Monate waren für uns eigentlich keine freiwillige Pause. Nicht ganz schuldlos an dieser Sache war die Energie-Krise hier in England, die Drei-Tage-Arbeitswoche, die geschlossenen Studios und der häufige Elektrizitätsausfall. Dadurch waren uns praktisch die Hände gebunden. Glücklicherweise haben wir nach all den Krisen die LP ‚Sweet Fanny Adams‘ aufnehmen können, die die erste Kostprobe der neuen Sweet ist. Nach einer Anzahl Test-Konzerte hier in England gehen wir jetzt auf grosse Europa-Tournee, unter anderem auch nach Deutschland. Danach fahren wir rüber nach Amerika. Dort haben wir denselben Tournee-Manager wie die Osmonds. Der wird das Ganze drüben für uns regeln. Mit Chinn und Chapman ist auch alles wieder okay. Unser grösster Wunsch ist, dass alles wieder in geregelte Bahnen kommt.