DIE SINGLES

Stehen zwei Stammkunden an der Theke des NORMAL, eines wunderbaren Plattenladens in Köln. Sagt der eine zum anderen: „Also ich hab eine Bekannte, die erst vor kurzem aus dem Ausland zurück gekommen ist, und als wir uns das erste Mal wieder getroffen haben, sagt die zu mir: Ist ja’n Ding, daß der Willy Milosevic gestorben ist.“ (NICHT erfunden, Albert!) Ist es, keine Frage. Auch wenn der Satz so nicht ganz stimmt – es ist jedenfalls einer, bei dem der olle Freud heftig in der Gruft rotiert. Wenn er damit fertig ist, wenden wir uns fix wieder Willy zu, diesmal aber dem richtigen, dem Millowitsch. Über den stand nämlich ein wunderbarer Satz in einer Kölner Tageszeitung, der auch noch dem größten Schwachmaten verklickert, was der ewige kölsche Jung – neben seinem Job als Volksschauspieler – vor allem war: ein Familientyrann. Hier ist er, der Satz: „Und im übrigen liegen die Zeiten noch nicht allzu fern, als Millowitsch spät abends aus seinem Theater kam, hungrig – und Gerda Frau!] ihm stets noch ein kleine Stärkung, meist Frikadellen, servierte.“ So prägnant, so verknappt, so großartig. Noch großartiger ist da nur ein Satz, der über Schumi in der Tagespresse zu lesen war: „Im Vordergrund ein Esel aus dem Streichelzoo, im Hintergrund das Familienglück. Zärtlich umarmt Schumi seine Corinna.“ Wie Schumi ja überhaupt in letzter Zeit ziemlich zärtlich unterwegs ist. Dem Papst hat er zum Beispiel innig die Hand geküßt, und der Heilige Vater hat ein paar Tage später in postseniler Demenz behauptet, daß gewisse Sexualpraktiken Krebs erzeugen. Womit wir dann – hat da einer „endlich“ gerufen? – nicht ganz so zusammenhangslos bei Michael Hutchence gelandet wären. Den INXS-Sänger hat es ja bekanntlich im November’97 bei nicht näher definierten autoerotischen Spielchen dahingerafft, Hutchence ist also mausetot, seine Stimme ist es auf „A Straight Line“ (V2/Zomba) nicht: Die knödelt zu schmockigem 80er Jahre-Funk, ein geslapter Baß ist auch mit dabei – huhu.

Mark King! – und selbstverständlich trätet auch ein Saxophon. Allein – was bei dem Song fehlt. ist die Schlagzeile, die den Tod von Michael Hutchence endlich mal schwer spekulierend in fünf Worte packt: „Er ging, als er kam“. 1 Stern

Kommen wir zu erfreulicheren Dingen, wie es überhaupt in diesem – zugegebenermaßen doch schon prä-weihnachtlich gestimmten Singleskasten ab jetzt nur noch friedlich und mild zugeht. Zwischen der ganzen Plätzchenbackerei und dem heillosen Durcheinander aus Zimt, Zucker und Anis ist da zunächst einmal „Major Leagues“ (Virgin), die neue Single von Pavwnwrt. Ein hübscher Song, bei dem Stephen Malkmus und Kollegen ausnahmsweise hemmungslos auf Harmonien machen. Der eigentliche Knaller auf dieser kurzen CD mit sieben Stücken ist aber „Killing Moon“, ein Cover von Echo & The Bunnymen: sehr schluffig, sehr zerdehnt und auch sehr schön gespielt. 5 Sterne

Weiter mit den Singles-Tipps, (Rechtschreibreform, Albert, gib dir einen Ruck,) um nicht zu sagen: uneingeschränkten Kaufempfehlungen. Die nächste geht raus an Tocotronk und ihr Jackpot“ (L’Age D’Or/Motor). Weil die drei Sympathicos aus „Hamburg-City“ (O-Ton Jan Müller) damit ein Lied hingekriegt haben, daß den Unbillen des Alltags mit dem etwas anderen Optimismus trotzt: „Wir sind raus, und wir sind stolz darauf“. Und natürlich, weil die drei Remixe auf der Single allesamt relevant sind: Die Herren Dettinger und Thomas von der Kompakt-Mannschaft Köln machen aus Jackpot“ quietschvergnügt hüpfende 80er-Electronica, Schorsch Kamerun zerschneidet „Let There Be Rock“ waidgerecht und Turner stellt den Tempomat bei „Das Geschenk“ ein bißchen höher. 6 Sterne

Die reine Freude ist auch das, was Wolfgang Voigt, der Spielführer und große Guru von Kompakt, diesmal als Studie 1 vom Stapel läßt: „Keep On Rockin“ (Profan/ Kompakt) schert sich einen feuchten Kehricht um normative Regeln von gestern und zappelt demzufolge mit etwas los, was früher verboten war: der Snare. Dazu kann man mit den Tanzbeinen mal ordentlich Gassi gehen, und ein richtiges Bild auf dem Cover hat die Platte auch noch. Revolution im Maxiformat, kann man auch dazu sagen. 5 Sterne

Daß Revolution nicht zwangsläufig mit etwas Neuem zu tun hat, beweisen Appllanc«. Die drei Briten betätigen sich gerne als Jäger und Sammler, stöbern auf Flohmärkten gerne nach analogen Synthies und anderen Geräuschmachgeräten, und Bassist Michael Parker ist außerdem ein findiger Schrauber: Er friemelt die Dinger 50 zusammen, wie sie nicht unbedingt zusammengehören. Was unmittelbar zur Folge hat, daß „Pacifica“ (Mute/Intercord), 5 Sterne, viele schöne repetitive Momente und einiges von der Düsseldorfer frühsiebziger Band Neu! hat. So, eine noch, dann ist der Singleskastenschreiber für diesen Monat durch die Tür. Die eine ist „bobby r.“ (gold & liebe tonträger / neuton) von Dietmar Lehner und Thomas Biebl, diese Herren betreiben im österreichischen Linz einen Plattenladen mit dem Namen „kon.trust“ und sind ansonsten blühende Spättwens, die ihre eigene musikalische Sozialisation clever verwursten: denn „bobby r.“ hat ein Sample aus Visages „Fade To Grey“, und die Gitarrenlicks aus Pink Floyds „Another Brick In The Wall (Ft. 1)“ sind in beschwingte Electronica locker reingeschraubt. Und nun. ein letztes Mal alle zusammen: „Wir sind raus, und wir sind stolz darauf.“ 5 Sterne

Martin Weber

Mooooment. Was der Weber nicht wissen kann, weil er in vorweihnachtlicher Euphorie zu früh raus war: Garbage haben den Titelsong zum „neuen Bond“ eingespielt. „The World Is Not Enough“ (MCA/Polydor) ist ein wie immer von David Arnold geschriebener und orchestrierter streicherüberladener Schmachtfetzen (leider ohne Dettinger-Remix) mit nur leicht Garbage-esquem (schönes Wort, gell: „garbetschesk“) elektronischem Schnickschnack und einer Shirley Manson, die vokal irgendwie verloren in der Orchestersülze watet, um so wie Shirley Bassey zu klingen, was ihr allerdings nicht so recht gelingen will. 3 Sterne