Justice

Audio, Video, Disco

Ed Banger/Warner VÖ: 25.10.

Prog-Rock-Disco: Xavier de Rosnay und Gaspard Augé schalten mindestens zwei Gänge herunter auf der Skala der Atemlosigkeit. Damit gelingt ihnen das bestmögliche Nachfolgealbum zu ihrem Debüt †.

Es kann nicht oft genug gesagt werden: Die Vereinnahme von Teilbereichen einer Subkultur durch den Mainstream ist das Salz in der Pop-Suppe. Wenn die Subkultur Mainstream wird, müssen sich die Entdecker und Bescheidwisser beleidigt von ihr abwenden und etwas ganz Neues finden, das eine Saison später dann auch wieder vom Mainstream aufgesaugt wird und so weiter und so fort. So verhielt es sich im Jahr 2007 mit †, dem Debütalbum von Justice. Da wurde eine Musik, die irgendwie elektronisch war, auch von Menschen gehört, die so etwas normalerweise nicht tun. Und das geht ja mal gar nicht.

In einem Interview mit einem hier hoch geschätzten Fachmagazin für „elektronische Lebensaspekte“ äußerte sich Jörn Elling Wuttke vom hier auch hoch geschätzten Electronica-Duo Alter Ego negativ über das Debütalbum von Justice. Wuttke damals: „Die sind jetzt sogar ,Platte des Monats‘ beim Musikexpress. Das Fachblatt schlechthin. Fehlt nur noch die ,Rolling Stone‘-Titelseite.“ Wir sehen, die Wertschätzung beruht nicht unbedingt auf Gegenseitigkeit, wir sehen aber auch, dass Justice mit ihrem zweiten Album Audio, Video, Disco wieder „Platte des Monats“ geworden sind beim Fachblatt Ihres Vertrauens.

Trotz mancher Sympathien für manche der Beleidigten, muss konstatiert werden, dass es leicht starrsinnige Züge trägt, die hohe Musikalität des Justice-Debüt­albums nicht erkennen zu wollen, die sich hinter verzerrtem und durch die Filter gejagtem Lärm und scheinbar richtungslosen Songstrukturen verbirgt. Und jetzt kann sich als Ignorant beweisen, wer nicht verstehen will, dass Justice mit Audio, Video, Disco das bestmögliche Nachfolgealbum zu † gelungen ist. Eines, das erst gar nicht versucht, so zu sein wie das erste. Xavier de Rosnay und Gaspard Augé schalten mindestens zwei Gänge herunter auf der Skala der Atemlosigkeit und tun sich, ihrer Musik und ihrem Label Ed Banger damit einen großen Gefallen. Nach fast zehn Jahren der Banger-ismen finden die Diskurse über (elektronische) Musik freilich längst ganz woanders statt. Was nicht bedeutet, dass auch auf einem abgeernteten Feld noch ein zartes Pflänzchen gedeihen kann. Audio, Video, Disco ist näher dran an Rubber, dem leider wenig beachteten Soundtrack-Album von Mr. Oizo & Gaspard Augé vom November vergangenen Jahres als am Debütalbum von Justice.

Rosnay und Augé übersetzen auf ihrer zweiten Platte hymnische, bisweilen augenzwinkernd pathetische Musik in eine Sprache, die an französische Elektroniktraditionen und Siebzigerjahre-Soundtrackmusik anknüpft. Die manchmal barock anmutenden Melodielinien aus dem Prog- und Hard-Rock werden von Analogsynth­ästhetik und Gniedelgitarren flankiert, psychedelische Spielereien inklusive. Die erste Single „Civilization“ mit dem Gesang von Ali Love ist vielleicht der Track des Albums, der noch am nächsten dran ist am Vorgänger. Das halbminütige Interludium „ Canon (Prime)“ ist ein Stück Mittelaltermusik, wie es etwa vom ehemaligen Deep-Purple-Gitarristen Ritchie Blackmore zu erwarten wäre. Im Gegensatz dazu steht der über zehnminütige Titeltrack „ Audio, Video, Disco“, der als Art Conclusio ans Ende dieses Albums gesetzt ist. In einer ausladenden Prog-Symphonie fügen Justice die wichtigsten Bausteine der Musik auf ihrem zweiten Album zu einem einzigen Referenztrack zusammen.

Vor allem aber ist dieses Album ein gigantisches Suchspiel nach Samples und popkulturellen Referenzen. Bezieht sich „New Lands“ auf das gleichnamige Album von Flying Saucer Attack, oder doch auf den parawissenschaftlichen Autor Charles Fort? Der Song, in dem eine Brian-May-Gitarre opernhaft aufspielt, heißt passenderweise „ Brianvision“, „Ohio“ beginnt mit Harmoniegesang, der an Crosby, Stills, Nash & Young erinnert. Wenn das Justice-Albumdebüt † Disco-Metal gewesen ist, so ist Audio, Video, Disco Prog’n’C ock-Rock Disco. Mit elek­tronischer Musik und der reinen Lehre hat das natürlich nichts mehr zu tun. Da haben die Beleidigten vollkommen recht. Key Tracks: „Civilization“, „Brianvision“, „On’n’O n“