R0CK-SPEZIALITÄTEN

Als Vinyl-Freak braucht man nicht unbedingt in dei Vergangenheit zu stöbern, wenn man Schmuckstücke entdecken will: So sollte das Herz eines jeden David Bowie-Fans höher schlagen, wenn er eine englische Maxi-Single in den Händen hält, die Bowle im Duett mit Altmeister Bing Crosby präsentiert. Ort des Zusammentreffens war Bmg’s Weihnachts-Femsehshow anno 1977, und obwohl zwischen Bowie und Bing Welten liegen, vermittelt ihr kurzer Dialog schon genüg weihnachtliche Stimmung, um ihr nachfolgendes Duett („Peace On Earth“/“Little Drummer Boy“) ungeniert genießen zu können. (RCA England, über T1S).

Maxe Bolan, zu früh gestorbener Weggefährte Bowies, kommt heute mit zahlreichen Nachlaß-Platten zu späten Ehren. Besonders erwähnt sei die 10-Inch mit „The Children Of Rarn“, seinem epischen Klassiker, hier erstmals erhältlich in der nur zur Gitarre gesungenen Ur-Fassung plus einem als Fantasy-Comic aufgemachtem Textheft. Nicht nur für die Bolan-Fans ein Muß! (Intercord Import).

Lange Zeit Platz 1 in England die Abschiedssingle von The Jam: „The Beat Surrender“, wieder hervorragender Beat/Soul/Pop mit Nachdruck, Tiefgang und Up-Tempo-Passagen. Ein furioser Abgang!

Bonus für die Jam-Fans: Eine Auflage als Doppel-Single mit drei weiteren Songs, die uns über die verschenkte Zukunft von The Jam als Soul-Band trauern lassen: Drei Soul-Onginale (am besten: „Move On Up“) in tollen Versionen und mit „Shopping“ noch ein ausgefallenes Eigenwerk. Auf die Zusammenarbeit Paul Weller/Nick Heyward (Haircut 100) muß man gespannt sein! (JMS-Import).

Soft Cell beschäftigen sich auf „Where The Heart Is“ mit ihren Kindheits-Ennnerungen, inspiriert von der vergangenen Weihnachtszeit und dementsprechend besinnlich. Nicht hundertprozentig hitverdächtig, doch weich wie ein Federbett und sehr zu empfehlen. Man braucht natürlich die 12-lnch mit der (bei Soft Cell immer lohnender) extended Version (Phonogram/IMS), The Cure haben ihren Bassisten verloren und damit – wie auf ihrer neuen Maxi zu hören – Ballast abgeworfen. „Let’s Go To Bed“ bringt den Abschied der neblig-verhangenen Klänge und klingt wieder fast so lebendig wie ihre Singles vor „A Forest“. Das Duo Smüh/Tolhurst will erstmals alleine bleiben und im Frühjahr neue Tracks veröffentlichen (Metronome).

Im vergangenen Jahr fielen die Blue Orchids mit einer hervorragenden LP auf Ihre neue 12-lneh-EP sticht allein durch ihre Optik ins Auge, denn „Agents Of Chance“ ist inklusive bedruckter Tragetasche erhältlich. Musikalisch bringt die Band um die Ex-Fall-Musiker Martin Bramah und Una Barnes eine Kreuzung aus britischem Folk und Velvet Underground, diesmal angereichert mit ätherischer Winterstimmung, die besonders gut bei den beiden Songs der zweiten Seite zum Tragen kommt. (Rough Trade/DRP).

Ein paar Bemerkungen zur derzeitigen Rückbesinnung auf Country-und Wildwest-Musik. Kapitel I: Mal-colm McLaren. Seine neue Attacke auf die herrschende Kultur basiert auf einem Square Dance-Traditional namens „Buffalo Gals“. das auf der Maxi sogar im Originalton mitgeliefert wird. McLaren polt den ganzen Song um, spielt das Thema als Disco und peppt das Ganze mit schwarzen DJ-Scrafcfr-Techniken auf. Und wie schon früher bei den Pistols fordert er seine Hörer auf, das Scratchen im Do-It-Yourself-Verfahren auszuprobieren. Lustiges Kerlchen! (RCA-England, über T1S).

Kapitel I! Tav Falco’s Panther Bums. Letztes Jahr noch härtester Underground-Rockabilly, jetzt mit Musikern aus der New Yorker Kunst-Szene verstärkt. Vier Songs auf einer Maxi unter dem Titel „Blow Your Top“. Bester Song: „Panther Man“. Härder than the rest, außer: Kapitel III: Shockabilly! „The Dawn Of Shockabilly!“ Erbarmungslos werden die heiligen Kühe der Rock-Geschichte geschlachtet. Angefangen bei „A Hard Day’s Night“ übeT das einmal mehr unbeschreibliche „Tram Kept A-Rolling“ bis hin zum Rasiermesser-Country von „Your Good Girl’s Gonna Go Bad“. Eindrucksvoll! (Kap. II & III über Rough Trade Deutschland).

Die Skinheads von Skrewdriver müssen sich nach dieser Schaffe mächtig anstrengen, um noch unter die Rubrik „gefährlich“ eingeordnet zu werden. Ihre neue Maxi „Back With A Bang“ beschwört zwar den Geist von ’78, bietet aber ansonsten nur Bewährtes (Boots & Braces).

Neues aus Deutschland: Zwei in Berlin lebende Engländer. bringen unter dem Namen Die Unbekannten ihre zweite Maxi heraus, die auch diesmal wieder einen Ohrwurm enthält. „Dorit Teil Me Stones“ mit dem einladenden Chor „aü the good gtils love the bad guys.,.“ setzt sich trotz des düsteren Grund-Sound sofort fest. Auch die restlichen drei Songs haben Klasse. (Monogam). Ebenfalls aus Berlin: Flucht nach Vom und ihre vier rasenden Funk-Stücke mit satten Bläsern, Percussion und Effekten. Nicht umwerfend originell, aber stramm und ohne die typisch deutschen Ausfälle wie schlechte Produktion und krampfiges Spiel. Durchaus empfehlenswert (Super Max/Rip Off).

Zum Schluß sei noch kurz auf die holländische Formation Bazooka hingewiesen, die ihre gerade erschienene Maxi „ä Igor S.“ dem Komponisten Igor Strawinsky gewidmet hat. Wohl darum, weil in den fünf Songs Themen des Meisters aufgegriffen werden. Traumhaft, eisig, nicht von dieser Welt. (Torso/CBS) Kai Falke