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„Always leave them wanting more“ – der Sonntag beim Tempelhof Sounds mit The Strokes und Co.


Griff, Royal Blood, Fontaines D.C., Courtney Barnett und schließlich The Strokes – nur einige Highlights, die am Sonntag beim Tempelhof Sounds für Begeisterung sorgten.

Alles wieder fit am frühen Sonntagnachmittag. Fontaines D.C. machen den ersten größeren Aufschlag. Nach ersten Erfolgen als Darling der Indie-Clubs ist das irische Quintett, wie so viele andere auch, mit Karacho in der Corona-Agonie gelandet. Jetzt rollt der Karriere-Zug wieder. Sänger Grian Chatten im quietschbunten Moto-Cross-Hemd und auch die anderen Bandmitglieder stehen seinem individuellen Style in nichts nach. Vor einem Bühnenhintergrund in floraler Efeu-Optik – passend zum gälischen Titel des aktuellen Albums „Skinty Fia“? – wird nicht lange gefackelt. Die pumpenden Powerbeats ihres 2019er-Debüts „Dogrel“ sind flächiger geworden. Fettere Sounds für größere Festivalbühnen. Post Punk ist nur noch ein unzureichendes Label. Sie haben längst den Status „Band To Watch“ hinter sich gelassen, den sie einst beim SXSW in Austin/Texas verpasst bekamen. Sind sie auf dem Highway to Rockstar.

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Nach einem dramatischen Opener, der nach „Unfinished Sympathy“ von Massive Attack klingt, das Eröffnungsstück von „Skinty Fia“. Ein atmosphärischer Track, der immer lauter wird und sich zu einer triumphalen Woge türmt, passend zum mönchschorhaft anmutenden Titel „In ár gCroíthe go deo“, gefolgt von „A Lucid Dream“. Fontaines D.C. sind bekennende Iren, die auf der Bühne wie ravende Engländer wirken. Hat da jemand Stone Roses gesagt? Der struppige Charme der Anfangsjahre mag etwas verflogen sein. Dafür sind der Tamburin-klopfende Grian Chatten und seine Crew nun bereit für Arena-Shows. Ein Wachmacher-Gig, der standesgemäß mit ihrem neuen Hit „I Love You“ ausklingt.

Brockhoff: Newcomer-Powerpop

Nach dem umjubelten Rock-Getöse von Royal Blood auf der Hauptbühne ist es natürlich keine einfache Sache für Brockhoff, den Schalter in Richtung Newcomer-Powerpop umzulegen. Mit freundlichen Ansagen wie „Hey Berlin; geht’s euch gut?“ schafft sie Nähe und bekämpft vielleicht auch etwas die eigene Nervosität. Die 22-Jährige springt mit einer Bassistin, Gitarrist und Drummer kurzfristig für die US-Kollegin Faye Webster ein. „Das ist die mit Abstand größte Bühne, auf der ich mich je befand …“, sagt Lina Brockhoff mit einem sprachlichen Duktus, als wäre sie bei der Lit.Cologne oder beim Berliner Literaturfestival. Karrierestart. Gitarristin, höflich geflasht.

Big Thief: Ungestüm und ein wenig akustisch

Wenige Bands können dagegen gerade so aus dem Vollen schöpfen wie Big Thief. Nach einer Reihe gefeierter Alben haben sie in diesem Frühjahr ein Doppelalbum veröffentlicht, von vielen als ihr Meisterwerk bezeichnet. „Dragon New Warm Mountain I Believe in You“: 20 Songs, 80 Minuten. An diesem Sonntagnachmittag haben sie nur einen 45-Minuten-Slot, viel zu wenig natürlich für diese Band, die so viele Klangfarben zeigen kann. Die New Yorker entscheiden sich für ein elektrisches Set, ein lebendiges, leidenschaftliches, hartes Set, das Songs all ihrer Alben umfasst und den Bogen ihrer Karriere spannt. Adrianne Lenkers ungestümes Gitarrenspiel findet seinen emotionalen Höhepunkt im verzerrten Solo des Standout-Tracks „Not“. Phänomenal!

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Ein wenig schade aber, dass ihre Gitarre so dominant gepegelt ist; die schönen Verzierungen des Lead-Gitarristen Buck Meek sind kaum zu hören. Wunderbar harmonisch ist der Sound erst ganz am Ende, als Lenker für die letzten beiden Songs zur Akustikgitarre wechselt. Jetzt erst kommen sie zum neuen Album, spielen „Certainty“ und „Spud Infinity“ (mit Maultrommel!), zwei tolle Folksongs, und man wünscht sich, es ginge noch mindestens eine Stunde so weiter – genug gutes Material hätten sie! –, aber dann ist es schon vorbei. Vorbildlich übrigens, wie die Band eine potenziell gefährliche Situation gemanagt hat. In der Nachmittagshitze erlitt eine Person im Publikum offenbar einen Schwächeanfall. Die Band rief über die Mikrofone nach Sanitätern, dirigierte das Personal zur Stelle, und wartete mit dem nächsten Song, bis sich die Situation geklärt hatte.

Pop-Sensation Griff

Im überwiegend rockigen Umfeld des Tempelhof-Tableaus gibt es dann auch eine Pop-Sensation zu besichtigen: Griff aus London. Auch wenn angesichts des Namens Assoziationen mit Public Enemy hochkommen: Mit HipHop der klassischen Ausrichtung hat Griff eher weniger zu tun, gleichwohl ihr Debüt „One Foot In Front Of The Other“ Club-kompatibel als Mixtape erschienen ist. Ihr Begleit-Instrumentarium besteht aus einer Keyboard-Batterie und einem kompakten Schlagzeug. Sie selbst singt, rappt zuweilen und spielt zwischendurch eine Art Mandoline. Typ: Multitalentierte Entertainerin auf sympathisch hohem Niveau! Dass sie zur gewinnenden Bühnen-Präsenz auch noch Sound-Produzentin und Designerin ist, verwundert nicht. Ihr pulsierender Track „Black Hole“ ist bereits an den britischen Top Twenty vorbeigeschrammt. Beiläufig verkündet sie, dass sie eigentlich ziemlich „tired“ sei. Die Müdigkeit kommt womöglich daher, dass sie über zwei Monate mit Dua Lipa auf Tour war.

Die Sunday Times notierte zu ihrem Debüt: „Ist der Hype gerechtfertigt?“ Wenn man sich Songs wie „Heart of Gold“ anhört, mit all seiner Stakkato-Schubkraft und Billie-Eilish-artigen Introspektion und Verletzlichkeit, oder „Remembering My Dreams“, mit seiner schönen, flötenden Melodie, entwaffnend offenen Texten und gefühlvollen Akkordfolgen, gibt es darauf nur eine Antwort: YES! Auf der sonntäglichen Berliner Vorabend-Bühne wird daraus ein heiter gestimmtes R’n’B-Pop-Set, teils mit karibischer Note und katzenhaften Dance Moves. Griff kann was – und davon wird man sich in den kommenden Monaten und Jahren mit Sicherheit noch in angemessener Breite überzeugen können.

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The Strokes: Grande Finale beim Tempelhof Sounds

Die wichtigste Regel im Show-Business: Always leave them wanting more. Diese Regel haben The Strokes befolgt. Denn ihr fantastischer Headliner-Auftritt am Sonntagabend ließ „Last Nite“ vermissen, der Song, auf den, wie den ganzen Rufen zu entnehmen war, viele im Publikum gewartet haben. Er kam dann nicht. Das mag für Gelegenheitshörer enttäuschend gewesen sein. Für Fans, die mit diesem größten Hit der Band vielleicht gar nicht so viel anfangen können (anekdotische Evidenz), gab es aber allerhand deep cuts und selten gespielte besondere Tracks: „Under Control“ zum Beispiel, oder, als letzten Song sogar, „What Ever Happened?“.

Einige Klassiker des epochalen ersten Albums – „Someday“, „Hard to Explain“, „New York City Cops“ – spielten sie schon, zudem mit Energie und Verve. Die Chemie dieser häufig volatilen Band scheint gerade zu stimmen. Auffällig, welch großen Raum das aktuelle Album „The New Abnormal“ einnahm. Und überhaupt nicht verkehrt: Das Album ist gut, ein eindrucksvolles Statement, dass diese middle-aged New Yorkers kein Retro-Act sein wollen. Das Konzert war die Bestätigung, dass sie es nicht sind.

Julian Casablancas, der sonst nicht zu den Sängern gehört, die gerne mit dem Publikum sprechen, alberte die gesamte Dauer des Konzerts herum, sprach ein Fake-Deutsch-Kauderwelsch (und interviewte in diesem Fantasie-Deutsch seinen Bassisten, offenbar ebenfalls der Sprache mächtig), sang einem überdimensionalen Stofftier-Dinosaurier im Publikum ein Liebeslied, bewertete und kommentierte die Klatsch- und Mitsingskills der Crowd wie ein strenger Lehrer, warf sich auf den Boden, rollte herum. Was will man mehr? Gut, „Last Nite“ vielleicht. Aber sonst?

Text: Jan Jekal, Ralf Niemczyk, Kristina Baum

+++Dieser Artikel erschien zuerst bei rollingstone.de+++