Popkolumne, Folge 65

Von Bokelberg nach Haiyti: Volkmanns Popwoche im Überblick – verschwört Euch (aber richtig)!


In unserer Popkolumne präsentiert Linus Volkmann im Wechsel mit Paula Irmschler die High- und Lowlights der Woche. Welche Künstler*in, welche Platte, welcher Superheldenaufguss lohnt sich (nicht mehr) – und was war sonst noch so los? In der neuen Folge zur KW 19/2020 erzählt Nilz Bokelberg von seiner heimlichen Liebe und einer vom Aussterben bedrohten Spezis: dem Blödelbarden. Außerdem geht es um Haiyti, Alpentines und andere Verschwörungstheorien. Zieht die Nase hoch und putzt endlich mal wieder die Fenster: Die Popwoche ist hier!

LOGBUCH KW19/2020

Der Rückbau der Corona-Maßnahmen, das ist jetzt gerade vorherrschendes Thema. Als vor knapp zwei Monaten die Ausbreitung des Virus in Europa Fahrt aufnahm, habe ich mich verunsichert in den Panic Room namens Wohnung zurückgezogen. Doch bei allem Lockdown fühlte ich mich in jenen Tagen nicht allein. Denn ganz vielen ging es so, trotz Isolation konnte man das Klima daher auch irgendwie als solidarisch erleben. Solidarischer als sonst zumindest.

Heute nun erodiert der Glaube an den Weltuntergang bei Politik und Gesellschaft zusehends. Doch so gemeinschaftlich der Weg in die soziale Distanz war, so wenig solidarisch ist nun der, der aus ihr hinaus führen soll. Der Blickwinkel verschiebt sich weg vom Virus auf Jobs, Wirtschaft, Lagerkoller, Shoppen, Biergartenöffnungen – dazu noch dieser Dauer-Flashmob von Quartalsirren, die den Handelnden tatsächlich die ausgebliebene Todesfälle in Deutschland vorwerfen (#warjagarnix).
Der deutsche Toilettenpapierplanet kehrt nach dem Schock also zurück in den Ring. Trotz Masken im Supermarkt sieht er sich noch erschreckend ähnlich.

VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN DER WOCHE

Corona ist eine Erfindung der Geheimdienste, Stuttgart 21 bloß Vorwand, unterirdische Tunnelsysteme für entführte Kinder zu bauen – und beim Impf-Wahn handelt es sich um eine gesundheitsgefährdende Taktik, die Menschheit mit Computer-Chips zu versehen. Das dürfte ja alles bekannt sein.

Wir haben uns Eva Hermans „Interview“ mit Xavier Naidoo in voller Länge gegeben – und es ist genauso gaga, wie Ihr denkt

Xavier Naidoo, Ken Jebsen oder das große Spaghetti-Monster sind dabei glaubwürdige Stimmen im Kampf gegen die geheimen Mächte. Auch schadet es nicht, sich immer mal wieder auf komplett geisteskranken Webseiten umzuschauen.
Die Popwoche hat nun die drei nächsten Verschwörungstheorien parat:

01. Dass die Regierung der BRD GmbH uns mit Chemtrails manipuliert – alter Hut.

DIE NEUE ENTHÜLLUNG: Hundefutter enthält dieselben Stoffe, durch die Pupse von unseren vierbeinigen Freunden gelangen sie in unsere Atemwege. Um dies zu vertuschen, stellen die System-Schergen überall sogenannte Hundkotbeutel-Spender auf, damit niemand ihrem Treiben auf die Schliche kommen kann. Und die Schlafschafe vernichten so tagtäglich selbst die Beweise. Wacht auf!

02. Bielefeld gibt es nicht, das ist wissenschaftlich längst erwiesen.

DIE NEUE ENTHÜLLUNG: Auch Berlin ist eine Lüge. Es handelt sich lediglich um Kulissen aus Babelsberg und Schauspieler, die den Marionetten, (mehr schlecht als recht) eine intakte Hauptstadt vorspielen. In Wahrheit ist das Territorium längst ein großer Vergnügungspark für die Bilderberger. Beweis: Da die einheimischen Schauspieler zu teuer wurden (#Gewerkschaft), hat man sie schleichend durch preiswerte sogenannte „spanische Touristen“ ersetzt. Die in Wahrheit wiederum aus einem Klonlabor in Paraguay stammen.

03 Attila Hildmann hat uns die Augen geöffnet: Am 15.05. beginnt mit dem im Inkrafttreten des Impfgesetzes die neue Weltordnung (NWO) – und man sollte sich dringend bewaffnen.

DIE NEUE ENTHÜLLUNG: Attila Hildmann ist im echten Leben Claudia Roth in einer komplexen Latex-Verkleidung, nur um uns Truther zu diskreditieren. Lasst euch nicht länger verschaukeln!

DAS KLEINSTE INTERVIEW DER WOCHE: NILZ BOKELBERG

Er war der Jürgen Klinsmann der Generation VIVA: Nilz Bokelberg. Ein freches, unbeschwertes Kerlchen, das auch lange nach dem Ende von Musikfernsehen im Allgemeinen und VIVA im Besonderen immer noch im Popzirkus auftaucht. Vom eigenen Podcast („Gästeliste Geisterbahn“) bis zu Rummelplatz-Drehs für Pro7. Im Zuge von Corona reanimierte er mit dem Instagram-Song „Die eigene Kneipe“ das Genre des Blödelbarden. Ich habe mit ihm das kleinste Interview der Woche geführt.

Nilz, wie geht es dir aktuell mit dem Lockdown? Noch voll drin in der Isolation oder spürst du schon einen gewissen Fadeout auch bei dir?

NILZ BOKELBERG: Ich bin noch voll drin, im Isolationsbusiness, aber es wird immer anstrengender. Jedoch: Ich werde nächste Woche heiraten, insofern hab ich eine sinnvolle Aufgabe, mit der ich mich beschäftigen kann. Nämlich alle Pläne umwerfen und eine Lockdown-Hochzeit improvisieren.

„Fritten und Bier sind das Geburtstagsgeschenk an mich selbst“ – Nilz Bokelberg im Interview

Acts wie Max Giesinger kompensieren den ausgefallenen Festivalsommer mit Autokino-Touren. Wie stellst du dir Konzertbesuche im Wagen vor?

NILZ BOKELBERG: Fürchterlich. Bei SIDO hab ich das neulich schon gesehen und es war okay. Aber ich hab jetzt gelesen, dass auch Hupen und Lichthupe verboten sein soll und ich finde die Vorstellung recht schräg, einfach vor einem stillen, dunklen und trotzdem vollen Parkplatz aufzutreten.

Du hast ja einiges beigesteuert in die Open-Source-Corona-Kulturproduktion der vergangenen Wochen. Jetzt gerade einen „Blödelbarden-Song“. Was hat es damit auf sich?

NILZ BOKELBERG: Ich hab‘ neulich in meinem Podcast „Gästeliste Geisterbahn“ ein ausschweifendes Stegreif-Referat über das Aussterben der Blödelbarden gehalten und da hab ich eines Nachmittags gedacht, ich versuche mal, da aktiv gegen zu steuern. Und das hat echt Spaß gemacht!

https://www.instagram.com/p/B_iBlFBnHWP/

 

ANSAGE DER WOCHE: HAIYTI

Dass Haiyti irgendwie nicht der große Superstar in diesem ganzen Trap-Tumult von vor zwei Jahren wurde, sehe ich immer noch als große Niederlage für deutschen Nachkriegspop. Wer hat da wieder geschlafen? Jetzt kündigt sie für den anstehenden Seuchensommer noch ein neues Album („Siu Siu“) an. Die Video-Auskopplung „Paname“ macht dabei deutlich, kein Wunder, warum hier die O2-Arena nie gebucht werden konnte: einfach zu geil für Deutschland.

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

 

VIDEOPREMIERE DER WOCHE: ALPENTINES

Indie-Ultras – gibt es das überhaupt noch? Oder sind wir bloß noch Versprengte, die unentdeckt zwischen Autotune-Rap und dem ganzen seltsamen restlichen Sound in der Kanalisation leben? Nun, selbst wenn es so wäre, gelöscht ist die Flamme nicht. Und nicht nur Nostalgie hält sie am Laufen. Es gibt immer wieder ergreifende Bands und Alben. Alpentines aus Köln sind dabei eine echte Indie-Supergroup – mit Ex-Mitgliedern von Nerd-Treasures wie Lichter und Voltaire. Das zweite Album „Blackness“ erscheint nun (Unter Schafen) und wer etwas für Scott Matthew, Miserable Rich oder die Magnetic Fields übrig hat, möge schon mal seine Jahrescharts-Kästlein öffnen. Premiere der Single „And The Night“ nur hier in der Popwoche.
Ich find’s komplett wunderbar, bin halt auch bloß ein emotionaler Typ hinter der ganzen Hate-Fassade.

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

 

„SORRY, STAN LEE“ DER WOCHE: Superhelden-Filme? Leck!

Die Probewoche bei Disney+ machte es möglich: Neben den essentiellen Simpsons-Folgen schaute ich zuletzt verpasste Superhelden-Blockbuster. „Avengers – Ultron“ und „Captain Marvel“. Statt kribbeligem Popcorn-Fun leider die Erkenntnis: Dieses Genre ist verelendet.

Der Zugewinn an Digital-Technik scheint zu verhindern, dass überhaupt noch irgendwas außerhalb der Green Screen oder dunklen Räumen gedreht wird. Diese ratlosen Blockbuster sehen daher irgendwie alle aus wie Cut-Scenes von Videospielen. Das einzige, was die visuelle Trostlosigkeit dabei noch unterbietet, sind diese redundanten Sequel-Narrative, die sich längst in einem völligen Nichts verzettelt haben. Eine Kaskade von Muskelpersonen im Anzug, die alle angeblich total haunted und deep sind, perlt an einem ab, bis zum unweigerlichen Showdown, der schon routinemäßig an der 30-Minuten-Marke kratzt. Piff, paff, war was?

Masters of the Universe: Merman // Foto: Autor

MEME DER WOCHE

Guilty oder Pleasure?
(90s-Edition Pt.5)

Die Sache ist ganz einfach: Ein verhaltensauffälliger Act aus dem Trash-Kanon der 90er wird noch mal abgecheckt. Geil or fail? Urteilt selbst! Die Band heute bietet sich einfach zu sehr an. Denn hatte nicht Nilz Bokelberg damals dieses schrille Gruppe Fritten und Bier?

FOLGE FÜNF:
Fritten und Bier

HERKUNFT: Köln
DISKOGRAPHIE: 2 Alben, 3 Maxi-CDs
ERFOLGE: Mit Albumtiteln wie „Kasse Taffee + Bein Rötchen in Full Plusquameffekt“ in die Plattenläden und nicht in Beugehaft gekommen zu sein.
TRIVIA: Für das Video „Heike, bitte knutsch mit mir“ ließ sich Heike Makatsch zum Mitmachen bewegen.

PRO
Das Pro bei Nilz Bokelbergs Popkarriere liegt auf der Hand. Man dachte: Wenn er es mit dieser Musik schaffen kann, dann hat nun wirklich jeder eine Chance. Sympathisch!

CONTRA
Liegt ebenfalls auf der Hand. Denn bald merkte man: Dass es Nilz Bokelberg schaffen konnte, beweist, wie verwirrt das Musikbusiness ist – und dass außer Image und Fame wirklich gar nichts eine Rolle spielt. Erschreckend!

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

Kulturindustrie, Menstruation, Ballermann und One Love: Paulas Popwoche im Überblick

ME