ME-Interview

„Wie ‚Brokeback Mountain‘ auf der Schweizer Alm“: Das sagen Dagobert und Kay Shanghai über ihr Liebesduett „Weihnachten zu zweit“


Wir haben den Chansonnier und den queeren Rapper zum Interview getroffen. Dieser Text bietet die Geschichte eines Duetts, das aus Einsamkeit und Freundschaft geboren wurde.

Freue dich, Christkind kommt bald: Der vergangene Sonntag hat den Advent eingeläutet. Dagobert und Kay Shanghai begingen jenen Anbruch der Vorweihnachtszeit mit der Veröffentlichung ihres Duetts „Weihnachten zu zweit“.

Ein Duett, geboren aus Einsamkeit und Freundschaft

Dabei liegt die Entstehung dieses Liedes fast eineinhalb Jahrzehnte in der Vergangenheit. Dagobert schreibt es 2008 in einem „undenkbar fortgeschrittenen Stadium der Vereinsamung, kurz vor einer zweijährigen kreativen Blockade, die einherging mit einer schweren Depression“. Ursprünglich ist das Stück weder als Duett geplant, noch zur Veröffentlichung bestimmt.

In diesem Jahr gehen die Herzensbrüder Dagobert und Kay Shanghai schließlich auf Konzertreise. Gemeinsam bespielen ein Chansonnier und ein schwuler Rapper weit über ein Dutzend Bühnen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Als Dagobert seinem Intimus Kay Shanghai das Lied vorspielt, ist dieser hin und weg – ergriffen von der „Intimität und Einfachheit“ dieses Titels.

Die beiden Freunde entscheiden sich, es gemeinsam mit dem Produzenten Konrad Betcher als großes Rührstück zur Reife zu bringen. Das Lied derart groß aufzuziehen, war für ihn die logische Konsequenz: „Es stand nie zur Debatte, ob das Kitsch ist oder nicht, denn es ist ein Weihnachtslied. Vor allen Dingen mit diesem Duett-Charakter hatte es etwas sehr Romantisches.“

Kaminfeuer, die Schweizer Alpen und eine Promenade

Am Ende mangelt es nur noch an einem Musikvideo – und so engagieren die beiden Musiker den Regisseur Moritz Hofmeister. Die Kulisse bietet das Berner Oberland, wo Dagobert aktuell die meiste Zeit seines Lebens verbringt. Für das monumentale Szenenbild sorgen die verschneiten Schweizer Westalpen, die behagliche Atmosphäre liefert das Restaurant Fang auf dem Rinderberg und in Promenierlaune versetzt ein Bummel durch das mondäne Winterdorf Gstaad.

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So viel zur Geschichte dieses Weihnachtsduetts. Für alle, denen nun immer noch offene Fragen auf ihrer Zunge brennen, haben wir Dagobert und Kay Shanghai zum ME-Interview getroffen.

„Ich würde Jesus niemals über Micky Maus stellen“

MUSIKEXPRESS: Euch verbindet seit vielen Jahren eine enge Freundschaft. Hat Eure platonisch intime Beziehung dabei geholfen, ein solch inniges Liebeslied zu singen?

Dagobert: Kay hat diese Perle aus meiner Vergangenheit quasi wiederentdeckt. Und tatsächlich ist es sein Beitrag und seine Interpretation, die dem Song diese besinnliche Festlichkeit verleiht, welche es von meinen anderen Liebesliedern unterscheidet. Er ist der bestmögliche Duettpartner.

Kay Shanghai: Mit Sicherheit hat mir Dagoberts entgegengebrachtes Vertrauen geholfen. Schließlich bin ich bisher eher als Rapper zu hören und es ist auch nicht wirklich leicht, mit ihm stimmlich mitzuhalten. Ich kann mich an die erste Demoaufnahme in seiner Berghütte erinnern. Intimer kann man nicht recorden und ich meine, man hört dieses Knistern auch heraus.

MUSIKEXPRESS: War es eine Herausforderung, deine musikalische Welt mit dem Chanson- und Schlager-Ansatz von Dagobert zusammenzubringen?

Kay Shanghai: Ich liebe Dagoberts Bilderwelten und finde mich dort eigentlich gut aufgehoben. Ich war nur froh, dass er keinen Rap-Part über den Song erwartet hat – das hätte die Stimmung eher zerstört. Und hey, das ist Dagoberts erstes Liebesduett und dann geht es noch gleichermaßen romantisch, wie auch erotisch zur Sache. Quasi „Brokeback Mountain“ auf der Schweizer Alm.

MUSIKEXPRESS: Dagobert, eigentlich scherst Du Dich nicht um alljährliche Festtage – ganz gleich, ob weltlicher oder geistlicher Natur. Weder begehst Du Deinen eigenen Geburtstag, noch feierst Du das Wiegenfest Christi. Warum war es Dir dennoch ein Bedürfnis, der Weihnachtszeit ein Lied zu widmen?

Dagobert: Es gibt viele Weihnachtslieder, die mir sehr gefallen. Genauso, wie es viele christliche Lieder gibt, die mich ansprechen – auch wenn ich Jesus niemals über Micky Maus stellen würde. Beim Weihnachtsfest fällt es aber deutlich leichter, die Thematik frei zu interpretieren und überhaupt – eigentlich ist es ja ein reiner Sex-Song. Quasi ein akustischer Weihnachtsporno. Dank Kay jetzt in schwul.

MUSIKEXPRESS: In der zweiten Strophe besingst Du eine bestimmte weihnachtliche Essgewohnheit: „Ich schieß’ dir einen Truthahn / Und stopfe ihn mit Lauch“. Ich frage Dich als bekennenden Veganer: Rechtfertigt die Liebe – um die es in diesem Lied ja geht – gar den Fleischverzehr?

Dagobert: Ich bin Metzgersohn und kein Moralist. Wenn man sich der Tradition verschreibt, ein Weihnachtslied zu komponieren, liegt es nahe, mit Bildern zu arbeiten, die schon in den Köpfen der Menschen sind. Mich persönlich schockiert die Zeile mit dem Truthahn genauso sehr, wie es der Weihnachtsbrauch an sich tut, wenn ich mir überlege, worum es dabei eigentlich geht.

MUSIKEXPRESS: Gemeinsam mit Eurem Produzenten Konrad Betcher habt Ihr den Song als großen Schmachtfetzen arrangiert – besinnlich und hymnisch zugleich. Angst vor Kitsch scheint Euch gänzlich fremd zu sein.

Dagobert: Als Teenager schämte ich mich eine Weile dafür, die Scorpions zu lieben. Das könnte man Angst vor Kitsch nennen. Seither bin ich aber vollkommen angstbefreit und empfinde alles als gut, was sich gut anfühlt.

MUSIKEXPRESS: Kay, ich weiß, dass Dir Dagoberts Musik die Welt bedeutet. Was fühlst Du bei dem Gedanken, nun mit ihm ein Weihnachtsduett veröffentlicht zu haben?

Kay Shanghai: Ich bin ganz beseelt von dem Gedanken, dass es nun einen gemeinsamen Song gibt, der sozusagen unsere Liebe manifestiert. Seine Liebe ist eh das größte Geschenk.

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