Beim Klassentreffen des Austro-Pop


An drei ausverkauften Abenden im Wiener Gürtellokal rhiz stellt Der Nino aus Wien sein Gesamtwerk vor. Mit dabei sind Mitglieder von Wanda, Ja, Panik und fast jeder, der in der österreichischen Pop-Szene derzeit Rang und Namen hat.

Wenn jetzt ein Feuer ausbricht, bleibt von den Leuten nur ein Häufchen Asche übrig. Dicht gedrängt stehen sie vor der Bühne. Schweiß rinnt ihnen in die Winterjacken. Die Bewegungsfreiheit reicht gerade, um das Bier zum Mund zu führen. Wer eine schwache Blase hat, ist verloren.

Das rhiz unter den U-Bahn-Bögen am Wiener Gürtel ist nicht sehr groß, aber Der Nino aus Wien hat es gleich drei Mal ausverkauft. An drei Abenden präsentiert er seine neue Triple-LP, die Werkschau IMMER NOCH BESSER ALS SPINAT. Vor ein paar Jahren stand er noch ums Eck im Ragnarhof auf der Bühne, hat vor wenigen Leuten seinen ersten Hit „Du Oasch“ ins Mikrophon geraunzt und dafür hauptsächlich Kopfschütteln geerntet. Heute ist er Der Nino ein Local Hero. Der Retter des Austro-Pop und ein Wahrzeichen im Wiener Nachtleben.

Eine zierliche Frau kämpft sich wacker durch die Menge. „Ich muss wirklich dringend durch“, fiepst sie. „Ich muss auftreten!“ Wenig später taucht sie auf der Bühne wieder auf. Das ist Natalie Ofenböck, die bessere Hälfte vom Nino und die andere des gemeinsamen Projekts Krixi, Kraxi und die Kroxn. Atem- und tonlos liest sie aus einer Mappe vor, die sie wie eine Bibel vors Gesicht hält. Sie reiht Worte wie „Zwischenmagen“ und „Zwiebel“ aneinander. Dazu zupft jemand avantgardistisch auf dem Cello. Minutenlange Beat-Poetry zwischen Peter Weibel und Stefanie Sargnagel. Beklommene Gesichter im Publikum.

Als sich der Der Nino mit seiner Gitarre zu Ofenböck gesellt, geht der Vortrag ins Konzert über. „Hallo“, singen die beiden. Eines von mehreren Liedern über den Zweiten Bezirk, die im Programm sind. Dort wohnt Der Nino. Im Stuwerviertel, um genau zu sein. „Das Leben als Musiker im Stuwerviertel ist nicht aufregend“, sagt er. „Aber für neun Strophen reicht’s.“

Das heutige, letzte der drei SPINAT-Konzerte ist der Folk-Abend. Ein bisschen wie bei Bob Dylans 30-jährigem Bühnenjubiläum gibt sich dabei das Who-is-Who der lokalen Popszene die Klinke in die Hand: Raphael Sas und Clemens Denk singen Duette mit Nino, David Wukitsevits spielt Schlagzeug, Lukas Lauermann Cello. Nur pauT, der Bassist mit der Seemannskappe, fehlt.

Ernst Molden, schwer behangen mit Holzketten, erzählt von der Tour, die Der Nino und er gerade hinter sich gebracht haben. In jedem österreichischen Kaff habe man gespielt und dann jeweils ein Lied darüber geschrieben. Molden singt von Werwölfen, die hinter Bäumen hervorschauen, von Jesus, der in irgendeiner Raststätte am Kreuz hängt, und die fahrenden Künstler anfleht: „Nehmt’s mi mit!“ Der Nino antwortet mit einem Lied über lange Autobahnfahrten und Mahlzeiten im Backstageraum. Dort haben Molden und er auch schon neue Coverversionen einstudiert, wie man erfährt. Lieder von Rainhard Fendrich und Stefanie Werger – und natürlich von Wolfgang Ambros: „Baba und foi ned“ und das Dylan-Cover „Denk ned noch“ [„Don’t Think Twice (It’s Alright)“].

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Molden geht. Der Nino gibt noch eine eigene Dylan-Neuinterpretation („Simple Twist Of Fate“) sowie ein paar Nummern aus dem BÄUME-Album zum Besten. Dann schaut er sich um. „Ist mein Star-Gitarrist schon da?“, fragt er. Von links steigt Manuel Christoph Poppe von Wanda im Mantel auf die Bühne. Freundliches Klatschen, keine Hysterie, man ist unter Freunden. Es folgen zwei ausufernde, wortreiche Lieder: „2004“ (ein Song über die Jahreszahl 2004, wie Nino vielsagend erklärt) und „Urwerk“, Poppes Lieblingsstück, das er jedes Jahr zu Weihnachten mit dem Nino spielen darf. Die Freude darüber ist ihm ins Gesicht geschrieben.

Der Nino aber wird ein bisschen quengelig. Der Weiße Spritzer (die Weißweinschorle) ist aus und niemand bringt ihm einen neuen. Immer wieder baut der durstige Sänger spontan den Wunsch nach dem Getränk in seine Texte ein, bis sich sein Manager Stefan Redelsteiner endlich erbarmt und ihm ein volles Glas reicht. So lässt sich’s bis zum Ende des regulären Sets aushalten.

Zur ersten Zugabe kommt Sebastian Janata, in Schwarz und wohlfrisiert, und klatscht die Akkorde zur Worried Man & Worried Boy-Single „Der schönste Mann von Wien“ in die Gitarre. Live wird das Wiener Lied zum Billy-Bragg-artigen Punksong. Dann ist Mitternacht, und Der Nino verspricht, dass das Konzert nicht mehr lange dauern werde, damit wir die letzte U-Bahn noch kriegen.

So eilig haben es die Leute aber gar nicht, zumal jetzt nur noch Hits folgen: die Grant-Ballade „Du Oasch“, der Zuckerbäcker-Schunkler „Schlagoberskoch“ und der „Spinatsong“, Ninos Tirade gegen das ihm verhasste Gemüse, mit der er vor sechs Jahren zum Protest-Song-Contest, einer FM4-Gegenveranstaltung zum ESC, angetreten ist – und den vierten Platz belegt hat. Heute sieht er das mit dem Spinat nicht mehr ganz so eng, sagt er: „Blattspinat kann ich mittlerweile gutheißen.“

Das Schlusslied heißt „Davids Schlafplatz“. Der namensgebende David Wukitsevits kommt ans Mikro und tauscht ein paar seltsam intonierte Verse mit Nino. Auf Platte endet der Song mit der dramatisch wiederholten Zeile „Das hab ich für dich erfunden“. Im rhiz brechen Wukitsevits und Nino unvermittelt ab. Irgendwer schludert „lalalala“ ins Mikrophon. Die Musiker gehen schneller von der Bühne, als man Zugabe rufen kann. „Das perfekte Ende für diesen schönen Abend“, findet Der Nino. Recht hat er.