Muse live in Berlin: Zwischen Nostalgie und Kitsch


Wir haben unsere Autorin, einen ehemaligen und derzeit schwer enttäuschten Muse-Fan, zum Konzert in Berlin geschickt.

Mein erster Kontakt mit Muse war eine Verkettung von Zufällen: Ich hatte mich aus mir nicht mehr ersichtlichen Gründen im Alter von 13 oder 14 Jahren für die Theatergruppe meiner Schule eingeschrieben und saß dort jeden Freitagnachmittag fest – ausgerechnet am Freitag. Einer dieser Freitage hat jedoch meinen Musikgeschmack geprägt. Eines der cool kids aus der Oberstufe hatte eine Single mitgebracht: „Time Is Running Out“ von dieser britischen Band namens Muse. Da war es dann um mich geschehen.

Kurz darauf stand ich im örtlichen Musikgeschäft und kramte in der Sparte „M“ nach ABSOLUTION. Zu meiner Entzückung stellte ich fest, dass es da noch zwei andere Alben zu entdecken gab – denn nein, ich war nicht vorher auf die Idee gekommen, im Internet nachzusehen. Damals war der Plattenladen der Hüter aller wichtigen Informationen und der Typ an der Kasse der wichtigste Ansprechpartner.

Während sich ORIGINS OF SYMMETRY mit Leichtigkeit zu einer meiner Allzeit-Favoriten mauserte und ich mich noch mit der kommerzialisierten Variante von Muse auf BLACK HOLES & REVELATIONS anfreunden konnte, war das 2009er-Werk RESISTANCE ein verschwurbelter, abgehobener Schlag ins Gesicht. Danach ging es für mich persönlich nur noch im freien Fall ins Nichts weiter. Jede neue Veröffentlichung schmerzte und man klammerte sich um so mehr an die ersten drei Alben.

Ein wenig Liebe für Muse bleibt

So fand ich mich am 3. Juni in der Mercedes-Benz Arena wieder, im Rahmen der DRONES-Tour hoffte ich, Muse würden mein Herz wieder zurückerobern. Ein wenig hatten sie das schon beim letztjährigen „Rock im Revier“ getan, doch bei einem Festival-Auftritt fahren Muse ja meist nicht all ihre Geschütze auf. Ich war also gespannt.

Vor mir erstreckt sich ein wunderbarer Ausblick auf die gesamte Arena, die 360-Grad-Bühne, auf die tausenden von Fans – während ich selbst an einem Tisch sitze, vor mir eine Steckdose und ein LAN-Kabel. Ein bisschen wie beim Nachsitzen am Freitagnachmittag. Und am Ende des Konzerts werden die Berichte eingesammelt und benotet. Meine Nachbarn: Ganz vorbildlich mit Papier, Stift und Smartphone ausgestattet.

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Neidisch schiele ich also auf all diese begeisterten La-Ola-Wellen-initiierenden Fans im Innenraum, während das Licht ausgeht, der Sound anschwillt und sich ein sakraler Gesang von Bellamy & Co. einstellt. Der Sänger und seine Kollegen Dominic Howard und Christopher Wolstenholme erheben sich auf Podesten aus der Bühne und legen standesgemäß mit „Drones“ los. Ich muss Muse ein wenig Zeit lassen, das weiß ich, also erstmal abwarten. Doch schon beim dritten Song tut sich ein Dilemma auf: Die Briten packen den ersten wirklich hörenswerten Song – „Plug In Baby“ – aus und in mir wächst die Lust nach unten zwischen die tanzenden und singenden Fans zu springen. Ersatzweise trommle ich den Takt auf dem Tisch mit, was für wenig Begeisterung bei meinen Journalisten-Kollegen sorgt. Nach wenigen Songs merke ich: Klatschen ist im Pressebereich auch nicht angebracht. Nun gut.

Doch bei „Citizen Erased“ liege ich nach vorne gebeugt über dem Tisch und wippe mit. Es ist einfach nicht zu verhindern. Dieser Rest-Funke an Liebe, die ich mal für diese Band hatte, erwacht bei der mitreißenden Performance einfach wieder zum Leben. Spätestens zu diesem Zeitpunkt habe ich es mir verscherzt mit den Kritiker-Kollegen.

https://www.youtube.com/watch?v=iuJS5ZhCQKg

Am Rande der Bühne, die sich durch die Arena der Halle von einem zum anderen Ende erstreckt, haben sich Freiräume gebildet und Fans tanzen dort wild und ausgelassen. Das Bier schwappt aus den Bechern, soweit ich das aus der Entfernung beurteilen kann. Hach, wie schön.

Muse lassen nichts aus: Pathos, Drama, Kitsch

Schön und mitreißend sind letztlich doch einige Momente dieser durchdachten Show. Da fliegt die obligatorische Drohne umher, riesige Bälle umtänzeln Bühne und Band, auf den Gaze-Vorhängen, die sich ab und an absenken, sind Animationen und Live-Bilder zu sehen. Da kann ich glatt drüber hinwegsehen, dass Muse mir unentwegt irgendeine politische Botschaft vermitteln wollen. Manche Aufrufe zum Handeln haben fast schon etwas sektenhaftes.

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Mit Kitsch und Drama lassen Muse das Konzert ausklingen, um für eine Zugabe zurückzukommen und noch eine Schippe draufzulegen. Bei „Mercy“ versinkt die Arena in einem Meer aus Konfetti und Luftschlangen. Das lässt auch meinen Sitznachbarn hochschrecken, der friedlich eingeschlummert war. Kann schon mal passieren, wenn Bellamy und Wolstenholme mit ihren Riffs loslegen.

Auch ich kann nicht leugnen, dass „Knights of Cydonia“ für einen eindrucksvollen Abschluss sorgt. Ein wenig pathetisch, doch die glücklichen Fans – übrigens bunt gemischt von jung bis alt – scheint das nicht im Geringsten zu stören.

Ein Wunsch wird mir aber an diesem Abend nicht vergönnt: Selbst in der freudetrunkenen Menge zu stehen, die Hände gen Himmel gestreckt lauthals „Hysteria“ mitzusingen. Schade. Vielleicht ja dann nächstes Mal.

Die Setlist von Muse am 3. Juni 2016 in Berlin:

Drones
Psycho
Reapers
Plug In Baby
Dead Inside
Citizen Erased
The 2nd Law: Isolated System
The Handler
Supermassive Black Hole
Prelude
Starlight
Munich Jam
Madness
Map of the Problematique
[JFK]
Defector
Time Is Running Out
Uprising
The Globalist
Drones
Zugabe:
Take a Bow
Mercy
Knights of Cydonia