BUCH

ABSOLUTE BEGINNERS

von Colin MacInnes

London an der Schwelle zum Pop-Zeitalter: der grandiose Teenager-Roman neu übersetzt.

„Absolute Beginners“ beschreibt die Anfangsphase dessen, was später als Mod-Subkultur bekannt wird. Wir befinden uns im langen heißen Sommer des Jahres 1958, in Londoner Bars röhren neue italienische Kaffeemaschinen, Jazzbands spielen und die jungen Männer tragen keine Hüte mehr.

„Absolute Beginners“ zelebriert den Moment, in dem die Teenager sich ihrer selbst bewusst werden, als eigenständig, zwischen den Kindern und den „Steuerzahlern“. Zugleich erkennen sie, wie sehr die Erwachsenen sie beneiden, einen Teil von ihrem Spaß haben wollen, die Teenager-Welt vermarkten werden.

Weil der im Original 1959 erschienene Roman damit eine Analyse vorwegnahm, die die Soziologie erst Jahre später formulierte, galt MacInnes seinen Zeitgenossen als „dokumentarischer“ Autor. Zumal „Absolute Beginners“ auf die realen Unruhen zwischen schwarzen Einwanderern und Rechtsradikalen in Notting Hill zusteuert. Doch schon die Tatsache, das dem 19-jährigen Erzähler ein 45-jähriger Autor die Worte in den Mund legte, zeigt die Künstlichkeit des Unternehmens.

Die Kunstsprache der „Cats“ und „Numbers“ ernst nehmen wollten die Neu-Übersetzer Maria und Christian Seidl. Die bisherigen deutschen Fassungen seien entweder sinnentstellend gewesen oder ein Schnellschuss anlässlich der Verfilmung von 1986, die den Roman in ein Musical (mit Patsy Kensit und David Bowie) verwandelte und kolossal floppte.

So lässt sich nun der vielleicht erste britische Pop-Roman neu genießen: MacInnes ist ein extrem genauer Beobachter, abschätzig gegenüber dem Alten, oberflächlich vielleicht – und doch ist er zutiefst moralisch, auch wenn er erkennt, dass das womöglich uncool ist. Grundkonflikte des Pop, beschrieben, als es Pop noch gar nicht so richtig gab.

*** Felix Bayer

JUNGE RETTET FREUND AUS TEICH

von Heinz Strunk

Was vor „Fleisch ist mein Gemüse“ geschah: Coming of Age im Stadtteil und Landkreis Harburg.

Heinz Strunk wird oft auf den Humoristen reduziert, der er als Telefonstreichmacher und Fraktus-Knallcharge durchaus ist. Doch sein Debütroman „Fleisch ist mein Gemüse“ erzählte auch eindringlich vom deprimierenden Landleben. Hier knüpft Strunk nun an, genauer: kurz davor. Diesmal heißt sein Held, wie er selbst im Pass, Mathias Halfpape, und wir begleiten sein Leben vom letzten Kindergartenjahr bis in die Pubertät hinein. Mathias wohnt, wie Heinz Strunk in „Fleisch“, im Bispinger Weg 7b, Hamburg-Harburg; die Ferien verbringt er bei einer Nenn-Oma in Todtglüsingen, das in „Fleisch“ als „gebeuteltes Dorf“ auftaucht. Genau in den Orts-und Markennamen, treffend im Kinder-und Dialektton, erzählt „Junge rettet Freund aus Teich“ eigentlich nichts Besonderes. Eine Kindheit halt, mit Glücksmomenten, aber vor allem mit all ihren Ängsten und Unsicherheiten. Auch wenn das eigentlich keine literarische Kategorie zu sein hat: Es ist ein ehrliches Buch über die BRD in den Siebzigern, ein Andenken an eine Mutter, der alles zu wenig ist und alles zu viel wird. Und es ist manchmal sehr lustig.

****1/2 Felix Bayer

SLIME – DEUTSCHLAND MUSS STERBEN

von Daniel Ryser

Deutschland, Punkland: die Geschichte der Punkband Slime.

Der Plot ist gut: Es geht um ein paar Jungs aus Hamburg-Langenhorn, die 1979 eine Streetpunkband gründen. Kein arty Getue, richtig auf die Fresse. Sie kopieren die Straßen- und Demoparolen gegen Staat, Polizei, Kleinbürgertum und liefern neue Parolen für diese Szene. Sie werden Untergrund-Stars, instrumentalisiert, indiziert, des Verrats bezichtigt. Sie werden scheitern. Und immer wieder aufstehen. Die Protagonisten sind fast noch besser: Dirk, der Sänger, ein wilder Hund, der sich zwischen Punk, Fußball und Rockerszene immer neue Beulen holt. Elf, der Gitarrist, der einfach nur rocken möchte. Christian, der viel zu viel nachdenkt. Auch die Rollen der Nebenprotagonisten sind top besetzt: Nicht, weil Leute wie Schorsch Kamerun oder Campino bunte Prominenz ins Buch tragen, sondern weil sie bei der Einordnung des Phänomens Slime beste Dienste leisten und gleichzeitig unterhalten. Dass man am Ende auch noch erkennt, was solche Jungs aus Hamburg-Langenhorn derart radikalisierte und zu welchen Widersprüchen eine solche Radikalisierung unweigerlich führen muss, macht dieses Buch zu einem richtigen Glücksfall.

***** Oliver Götz

ES INTERESSIERT MICH NICHT, ABER DAS KANN ICH NICHT BEWEISEN

von Frank Spilker

Vielschichtiges Romandebüt des Sterne-Sängers.

Thomas Troppelmann ist so eine Art Geschäftsführer einer Grafikagentur in Hamburg, die sich als loses Kollektiv freier Künstler versteht. Aber als es Thomas liebeskummergeplagt vertrottelt, den Mietvertrag zu verlängern, bricht alles zusammen – und alle geben ihm die Schuld. Der Debütroman von Frank Spilker lässt sich an wie eine Abrechnung mit dem Milieu zwischen Kunst und Geschäft, doch dann schickt der Sänger der Band Die Sterne seine Hauptfigur auf eine Reise durch Deutschland, eine Reise in seine Vergangenheit. Was da schemenhaft auftaucht, sind Szenen von Kinderfreizeiten, Andeutungen einer Gehirnwäsche, als die Insel Ameland genannt wird vielleicht sogar ein Raunen von Missbrauch. Doch vieles bleibt unklar, und so kommt er zu dem Schluss: „Ich glaube, es war einfach gut für mich, herauszufinden, dass das Vergangene nicht so wichtig ist, wie man immer denkt.“ Spilker gelingt es, Interesse an seinem Troppelmann zu wecken. Dennoch ist man unzufrieden, dass dieser einem letztlich fremd bleibt – auch wenn das im richtigen Leben wohl ähnlich wäre.

*** Felix Bayer

BIST DU NOCH WACH?

von Elisabeth Rank

Bruchstellen, genau markiert: Elisabeth Rank arbeitet sich am Erwachsenwerden ab.

Wenn man die Inhaltsangabe liest und erkennt, das ist eines dieser Bücher, in denen junge Menschen schwere Päckchen durch Berlin tragen, klingeln erst einmal die Alarmglocken. Es sei jedoch verraten: Man kann sie ruhig ungehört weiter klingeln lassen. Denn auch wenn die Protagonisten dieses Buches sich im Spannungsfeld zwischen Wohngemeinschaft, Werbeagentur und Kunst bewegen: „Bist du noch wach“ ist kein Buch über die Hauptstadt, sie dient lediglich als Kulisse für eine Geschichte, die so überall passieren könnte. Kurz gesagt: Rea wird erwachsen. Nein, anders: Sie ist es. Was sich aber nicht einstellt, ist die Leichtigkeit, die man sich immer wünscht. Die Beziehung ist kaputt. Der Vater liegt im Krankenhaus. Rea küsst Manuel mit den öligen Haaren, und Konrad, der Mitbewohner, der Bester-Freund-Mitbewohner, der irgendwie auch mehr ist, gleitet langsam weg. Er sieht nichts mehr. Das sind Alltagsdinge. Rank erzählt sie aber nicht im Popliteratur-Alltagssprech. Sie verzichtet auf Abfederungen, legt die Bruchstellen frei und schafft erst am Ende Platz für Hoffnung und Versöhnung. Ein schönes Buch!

**** Jochen Overbeck