Hektik, Halloumi und Hassliebe


Kapitän bei Hansa, Model in Manhattan, Debütalbum auf Helium. Marteria hat keine Angst vor Experimenten. Er kennt das Leben. Nun hat er mit den Produzenten von Peter Fox die beste deutsche Rap-Platte seit Jahren aufgenommen.

Die Falckensteinstraße flirrt. Es gibt kaum einen Ort auf dieser Welt, der mehr Faszination und Ekel ausstrahlt als die bizarre Amüsiermeile im magischen Dreieck zwischen Kreuzberg, Friedrichshain und dem Nirwana. Der mehr lebt und doch so kurz vor dem Kollaps steht. Es ist voll, dreckig, heiß und laut. Und es ist vier Uhr morgens. Peter Fox hat diesem grellen Mikrokosmos aus Hektik, Halloumi und Hassliebe sein „Schwarz zu blau“ gewidmet. Der Rapper Marteria verdankt ihm eine ganze LP, Zum Glück in die Zukunft. „Diese Musik hätte nirgendwo sonst entstehen können“, sagt er. Wie alle anderen hier ist auch er hergezogen vor ein paar Jahren, aus Rostock, über den Umweg New York, wo er eigentlich nur seine Schwester besuchen wollte und dann von der Straße weg als Model verpflichtet wurde. Doch die seltsamen Berghain-Mythen des Easyjetsets interessieren ihn ebenso wenig wie das ewige Gentrifikation-Gemecker der Studentenstammtische. Seine Themen sind: Schlaflosigkeit. Vater werden. Sohn verlieren. Reiche russische Frauen im KaDeWe. Nächtliche Marsexpeditionen mit dem Solarmobil. Das echte Leben eben. Um das, und noch viel mehr, geht es auf Zum Glück in die Zukunft.

Entstanden ist das Album in Zusammenarbeit mit dem Berliner Produzententeam The Krauts, die mit Peter Fox‘ „Stadtaffe“ gerade erst eine der erfolgreichsten deutschen Pop-Platten des Jahrzehnts verbrochen und auch sonst genug zu tun hatten mit der Produktion von Miss Platnum und dem Ablehnen absurder Offerten. Mit diesem Typen aber wollten sie arbeiten. Denn Rapper wie Marteria findet man nicht alle Tage: ein Styler vor dem Herren, mit Charisma, Humor, Eiern, punktgenauen Punchlines und kübelweise kruden Ideen. So verzichteten sie auf den wohlverdienten Urlaub und die schnelle Mark aus der Kriegskasse verzweifelter Majors und steckten stattdessen literweise Herzblut und sogar Eigenkapital in das Projekt eines aufstrebenden Rappers. Eineinhalb Jahre haben sie an dieser Platte gearbeitet: Das ist nicht nur zwei, drei Minütchen über dem Branchenschnitt, sondern auch verdammt teuer.

Die zwölf Stücke haben denn auch wenig zu tun mit handelsüblichem Deutschrap zwischen 90er-Nostalgie und Lederjacken-Romantik. Sie klingen wahlweise nach Dubstep, entrückten Post-Rucksack-Beats oder melancholischem Großstadtpop. Als Gäste sind neben den Edelfans Peter Fox und Jan Delay auch Marterias seltsames Alter Ego Marsimoto zu hören, ein dauerbekifftes Fabelwesen mit Maske, Fußballfetisch und Quäkstimme im Stile des US-Vorbildes Quasimoto. „Ich bin aus tiefstem Herzen Hip-Hop-Fan. Aber zu Hip-Hop haben für mich schon als kleiner Junge auch Daft Punk oder Prodigy gehört. Es gibt einfach diese Platten, die diesen ganz besonderen Vibe haben. Bei denen jedes Element nur deswegen da ist, weil es da sein muss. So eine Platte wollten wir machen.“ Und so eine Platte ist es geworden. „Hip-Hop is dead? Mein Dad ist Hip-Hop.“ So rappte Marsimoto 2008 auf „Zu zweit allein“. Nie hat schlechte Erziehung zu besseren Ergebnissen geführt.

Albumkritik S. 103

www.marteria.com