Beck und Rage Against The Machine


COACHELLA- EINE VERSCHLAFENE ORTSCHAR IN DER MOJAVE Wüste, 20 Meilen entfernt vom Frührentner-Paradies Palm Springs – weist eine einzige Attraktion auf. ein 78 Hektar grosses, akkurat gestutztes Polofeld, Treffpunkt der Millionäre aus dem Umland und an diesen zwei Herbsttagen Schauplatz eines neuen Musik-Events: das erste Festival der USA mit einem Gutteil elektronischer und allerlei anderer in Amerika eher obskurer Acts, eine Alternative zu Massenabfütterungen wie dem unseligen Woodstock ’99-Aufguss. Britische Festivals wie Glastonbury und Reading standen Pate für diese Neugeburt. Das „Große Coachella-Experiment“, wie die LA. Times den Event bezeichnete, wurde mit Spannung beobachtet. Würde es möglich sein, eine Veranstaltung diesen Umfangs mit 50.000 Besuchern in den USA zu etablieren, weitgehend ohne Mithilfe von lärmenden Chartstürmern wie Sugar Ray, Limp Bizkit, oder Kid Rock? Perry Farrell, selbst auf der Hauptbühne vertreten, glaubt an das Projekt: „Musikalisch gesehen ist Coachella ein Sprung nach vorne.“ Anders als das Lollapalooza – seinerzeit als innovativ gepriesen – vereine es „Rock mit Electronica und der DJ-Kultur auf eine viel organischere Art“. So ganz wollten die Veranstalter dann aber doch nicht auf die bewährten Heroen verzichten. 8eck und Rage Against The Machine, beide mit neuen Alben kurz vor der Veröffentlichung und deshalb besonders heiß erwartet, wurden als Headliner verpflichtet.

Sonnabend ist Beck-Abend. Die tagsüber bis zu 40°C Hitze klingen langsam ab, dafür haben die Chemical Brothers mit einer brachialen audio-visuellen Attacke die Stimmung auf den Siedepunkt getrieben – die Zeit ist reif für die Attraktion des Tages. Nachdem eine riesige Discokugel, eine drei Mann starke Bläser-Sektion und zwei Background-Sängerinnen die Atmosphäre für den Gig geschaffen haben, stakst der Meister in glamourösem Fransenshirt, Schal und enger Stretchhose auf die Bühne. Beim Opener,“Novacane“, wenig Neues.“New Pollution“ kommt dann in einer überarbeiteten Version -funky und soullastig arrangiert, beamt sich der Track zurück in die 70er Jahre, „Sexx Laws“ vom neuen Album „Midnite Vultures“ macht sich dort dann richtig breit. Und einmal im sexy-funky-Soulman-mode, ist Beck Hansen nicht mehr zu stoppen. Wild hüftkreisend fegt der Hipster über die Bühne und macht den Prince, wagt sich in Falsetto-Bereiche vor, aus denen bislang keiner außer dem heißblütigen Herrn Nelson heil zurückgekommen ist. Beck, der Showman: melodramatisch weint er mit verschränkten Armen über dem Citarrenverstärker einer Verflossenen nach oder tritt mal kräftig dagegen. Lustvoll schiebt er sein Becken durch die Gegend, legt Spagate und Robot-Dance (beim elektrofunky „Pressure Zone“) hin und funkt, was das Zeug hält: zwei weitere neue Songs „Mixed Bizness“ und „Debra“ schwitzen aus den Boxen, bevor Mr. Loverman mit dem alten „Loser“ und „Beercan“ den einstündigen Set abrundet. Zur Zugabe läuft die Band mit Gorillamasken und Afro-Perücken auf, spielt „Devil’s Haircut“ – und legt dann in einer feedback-untermalten Zerstörungsorgie das Bühneninventar auseinander. Die Show ist zu Ende und in der Luft hängt ein großes „Wow“.

Am zweiten Festivaltag sorgen die zahlreichen Rage Against The Machine-Fans für einen etwas rauheren Umgangston. Sie ignorieren die sonstigen Acts des Tages (darunter Money Mark, Cibo Matto, Di Shadow und Moby) und vertreiben sich die Wartezeit mit Spielchen wie „Kick the other guy’s ass“. Am Abend bekommen sie endlich, was sie wollen: nach Ben Harpers einfühlsamer Performance stürmen RATM die Bühne. Zwar gibt Sänger Zack La Rocha noch schnell bekannt, er leide an einer Kehlkopfentzündung, doch davon merkt man in der Folge wenig: wie aufgedreht springt er durch die Luft und brüllt seine militanten Tiraden aus vollem Leibe, als gelte es, das „Big One“ auszulösen – wir befinden uns hier nicht weit vom St.-Andreas-Graben. Das Publikum rast: schon die ersten Akkorde von „Bombtrack“ lösen eine an eine Massenschlägerei gemahnende Pogo-Explosion aus, bei der es wie ein Wunder erscheint, dass es keine Verletzten gibt. Bühnenabsperrungen gehen in Auflösung über, und irgendwann fliegt eine Rauchbombe auf die Bühne, geworfen von einem übermotivierten Fan, der sogleich „Asshole!“-Rufe erntet. Die Band bricht derweil durch „Guerilla Radio“ und „Testify“ vom neuen Album „The Battle of Los Angeles“. Und verlässt nach nur 40 Minuten die Bühne genauso schnell wie sie aufgetaucht waren. Als Zugabe gibt’s den Klassiker „Killing In The Name“. Und spätestens wenn Zehntausende, von Zack kommandiert, im Chor die Protestparole „Fuck you, I won’t do what you teil me!“ nachbrüllen, fällt es einem schwer die Darbietung noch ganz ernst zu nehmen.