Björk über das Loslassen


Als Fortsetzung ihres multimedialen Gesamtkunstwerkes Biophilia überlässt Björk ihre Lieder anderen – für das Remix-Album Bastards. Für sie kein Problem. Künstler sollten sich von ihrem Werk trennen können.

Findest du, dass es notwendig war, Biophilia zu verbessern?

Mich hat es interessiert, eine andere Seite der Musik zu erleben und die Bilder zu sehen, die sie in anderen Künstlern hervorrufen würde. Biophilia handelt von elementaren Dingen der Natur und der Wissenschaft, es geht um Erdbeben und Blitze und solche Dinge. Und die Natur ist schließlich auch ständigen Veränderungen unterworfen. Manche Titel sind eigentlich sehr zärtlich und weich, und im Remix klingen sie plötzlich … hardcore.

Wie hast du entschieden, in welche Hände du die Titel von Biophilia gibst?

Es war mit jedem Künstler eine jeweils andere Geschichte. Den deutschen Techno-Künstler Carsten Nicolai alias Alva Noto beispielsweise kenne ich seit zwölf Jahren, und mit seinen komplexen musikalischen Architekturen passt er sehr gut zu diesem Projekt. Omar Souleyman ist offensichtlich eine völlig andere Persönlichkeit. Ein syrischer Popstar, dessen Platten ich seit zwei Jahren höre. Er hat „Crystalline“ und „Thunderbolt“ in etwas Orientalisches verwandelt.

Ist ein Album denn jemals „fertig“?

Ich vermute nicht. Das liegt bei mir vielleicht daran, dass ich immer eine Live-Musikerin gewesen bin. Live klingen Songs immer anders, wie lebendige Geschöpfe, die ihr eigenes Ding machen. Ich wollte daher immer, dass meine Lieder erst einmal als Studioversion fixiert sind, um sie dann loszulassen – indem ich sie mit unterschiedlichen Arrangements oder Instrumenten selbst veränderte, oder eben durch einen Remix.

Wann weißt du im Studio, dass ein Lied wirklich fertig ist?

Rechtzeitig. Der Song teilt es mir mit. Manchmal ist es schwer, die richtigen Arrangements zu finden, aber wenn alles da ist, die Dinge automatisch an die richtige Stelle fallen, dann ist es Zeit, die Musik zu lassen, wie sie ist.

Ist es nicht schwer, loszulassen?

Das kommt darauf an. Ich habe zehn Jahre in Bands gespielt, und dabei verwandelten sich die Songs auf der Bühne jedes Mal ein kleines bisschen, bis wir sie am Ende des Jahres aufnahmen. Dann waren sie fertig. Diesmal wollte ich diesen Prozess umkehren, also die Geburt des Songs auf Platte bannen, um ihn danach loszulassen, damit mit ihm all diese Dinge passieren können – ein Cover, ein Remix, dass er rückwärts abgespielt wird oder was auch immer. Dieser Gedanke liegt dem Album zugrunde, deshalb ist das Loslassen in diesem Fall nicht schwer gewesen.

Hast du die Remixe abgesegnet?

Nein. Nein, nicht wirklich. Nein. Das ist der Witz beim Remix, dass er mir nicht gefallen muss, dass ich meine eigene Musik loslasse und andere Leute ihre Version, vielleicht sogar ihre Vision auf meiner Grundlage entwickeln. Ich mag das.

Kommt es vor, dass dir ein Remix etwas Neues über deinen eigenen Song verrät?

Es ist schön, wenn das passiert, muss aber nicht notwendigerweise sein. Es gibt niemals eine korrekte Version, wohl aber Varianten, die irgendwie kompletter oder einfach besser klingen als das Original, endgültiger.

Muss der Song losgelassen werden, damit er sich auf den Weg zur Perfektion machen kann?

Nein, er muss vor allem auch nicht perfekt sein. Das ist ja gerade das Schöne am Remix als Kunstform: Der Remix ist immer frei und respektlos. Er ist auch unbeschwert, weil er ja im Grunde nur eine Bearbeitung existierenden Materials darstellt. Ein Remix ist also ein wenig wie Urlaub von der eigenen Arbeit, der eigenen Kreativität. Ursprünglich war er ein Marketinginstrument, und daraus hat sich ein künstlerisches Statement von eigenem Recht entwickelt. Es hat etwas Befreiendes.

Unterscheidet sich ein Remix von einem Cover?

Unbedingt! Es ist ein wenig wie mit Jazz-Standards. Ein Song wie „My Funny Valentine“ wird ja auch von vielen Leuten gecovert, die alles anders machen. Wenn beispielsweise Miles Davis den Song bearbeitet, obwohl ich nicht weiß, ob er das getan hat, ich kenne mich mit Jazz nicht aus, dann nimmt er die Melodie und führt sie ganz woanders hin. Vielleicht zur Vollendung, vielleicht nicht. Es gibt auch Musiker, die dem Original sehr treu sind.

Es gibt auch Musiker, die dem Original Gewalt antun.

Definitiv. Aber die gibt es eben nicht nur unter den Remixern, sondern auch im Jazz. Und vielleicht steht das dem Original ja ganz gut.

Spürst du manchmal so etwas wie ein kreatives Feedback, wenn du einen Remix hörst?

Meinst du, dass andere Leute versuchen, wie ich zu klingen?

Nein, umgekehrt, dass sich eine Konversation entwickelt zwischen dem Remixer und dem Urheber.

Es ist immer gut, wenn ein Musiker viele Rollen spielt. Mal bist du der Songwriter, mal der Arrangeur, mal der Remixer, mal spielst du auf der Bühne ein Instrument. Das ist wichtig, damit du nicht stagnierst.

Björk Guðmundsdóttir, 1965 in Reykjavík geboren, begann ihre Karriere bei den Sugarcubes und setzte sie ab 1993 solo mit Alben wie Debut, Post oder Homogenic fort. Ihr bisher ehrgeizigstes Projekt war das multimediale Biophilia (2011), dem nun das Remix-Album Bastards folgt. Auch als Schauspielerin konnte sie Erfolge feiern, so etwa in Lars von Triers Musical „Dancer In The Dark“, für das sie auch die Musik komponierte. Björk lebt mit dem amerikanischen Medienkünstler Matthew Barney zusammen und hat zwei Kinder.