Blind date


'Für Metallica seh ich keine Zukunft mehr!' Wenn OLLI SCHULZ das sagt, sollte das den Herren Hetfield & Ulrich vielleicht zu denken geben. Dabei haben wir Schulz Metallica nicht mal vorgespielt beim lustigen ME-Liederraten - aber der Hamburger kommt nun mal gern vom Hundertsten ins Tausendste. Ladies & Gentlemen: Olli Schulz. Er hat die Power für den Bibo. Und seine Eltern haben kein Sägewerk.

The Horrors „A New Ice Age“

(ewig langes Intro läuft) Gutes Intro. Ist das Mastodon oder wie die heißen? (Gesang geht los) Ich erkenn‘ die Sprache nicht. Sind das Fehlfarben? Nee, das ist Englisch, ne? Klingt nach Peter Hein, wenn er Englisch singt. Das sind The Horrors. Kommen jetzt ganz groß raus, prophezeit der NME.

Das ist wahrscheinlich so’n Hype, oder? Mittlerweile warte ich bei so Sachen, wo’s heißt „Das muss man unbedingt sofort hören!“ immer erst mal ein halbes Jahr. Wie bei Glasvegas, die alle abfeiern, aber in einem halben Jahr redet keiner mehr über die Platte. Sag ich jetzt mal ganz großkotzig. Außer in England und Schottland vielleicht, wo die Leute halt einfach mehr Bezug haben dazu. Hm. Aufs Erste sind mir die Horrors jetzt viel zu nervig – ich bin heute aber auch über 600 Kilometer Auto gefahren.

Mastodon „The Czar“

Ist das jetzt Mastodon? Prog-Rock, ne? Mit langen Barten und so? (hört zu) Die werden ja wahnsinnig abgefeiert. Ich glaub, das sind gute Musiker und die haben bestimmt auch geile Parts… (hört zu) sehr komplex. Aber irgendwann bin ich selbst bei Tool ausgestiegen. Bis zur/EMMA mochte ich die sehr gern, aber danach … voll öde.

Hörst du denn noch Metal?

Nee. Ich werde immer auf meine Metal-Vergangenheit angesprochen, aber da war ich 16 bis 18! (fuchtelt in Richtung Musikabspielgerät) Mach mal aus, bitte. Ich bin kein Fan mehr davon, wenn Musik besonders komplex ist. Ein guter Song ist ein guter Song, und da ist es egal, ob der nun zehn Minuten lang ist oder drei. Aber bei den zehnminütigen muss man ein Durchhaltevermögen mitbringen, das ich nicht mehr so hab. Ich hör im Auto die ganze Zeit eher Tom Pettv und so Sachen.

Hast du die neue Metallica gehört?

Find ich auch scheiße. Für Metallica seh ich keine Zukunft mehr. Die sind so hoffnungslos verloren zwischen ihren alten True-Fans und „modernem“ Metal, die versuchen, alle glücklich zu machen – das ist ’ne Riesen-Rockband, die durch verschiedene fette Produktionen und großes Aufsehen versucht, am Leben zu bleiben, die aber seit Jahren keinen guten Song mehr gemacht hat. Sag ich jetzt mal. Kann man doch so sagen, oder? Wenn ich so überlege: Der einzige Künstler, der mir überhaupt einfällt, der sich wirklich über Jahre hinweg konstant weiterentwickelt, ist Olli Schulz. Da ist ’ne wahnsinnige Steigerung spürbar, find ich.

U2 „No Line On The Horizon“

Kenn ich, die Stimme. Das ist nicht Kings Of Leon, oder? Aber so ähnlich, (nach einer Minute) Ist es U2? Die soll gut sein, die neue U2. Er singt auf jeden Fall gut. Über U2 kann man ja sagen, was man will, aber denen muss man zugutehalten, dass sie immer wieder mal einen geilen Song raushauen. Ich mag halt Bono nicht mehr, aber wer mag den schon? Und man hat’s auch nicht leicht als Bono, das muss man auch sagen. Ich war mal riesiger U2-Fan, die ersten drei, vier Platten fand ich echt super. Auch THKJOSHIiAH TRKE noch. Eine Band, vor der ich immer noch Respekt habe. Ich muss die nur nicht live sehen und keine CDs kaufen von denen. Aber schön, dass die im Radio laufen. Das ist besser als nur Silbermond und Juli.

Silbermond teat. Jan Delay „Nicht mein Problem“

(nach vier Sekunden) Ach nee. (hört kopfschüttelnd zu) Also, ich sag dir jetzt mal eins kurz dazu, (schaltet ab) Ich hab mir die komplette Silbermond-Platte angehört. Weil ich es doof finde, böse über andere Bands zu reden, wenn man sie nicht gehört hat. Und es ist wirklich so: Alle Themen, die so richtig schön unverbindlich sind, sind in unverbindliche Texte gepackt mit unverbindlicher Musik. Ich hab mich mal mit dem Produzenten von Juli darüber unterhalten, der meinte: “ Die Leute machen das mit dergleichen Leidenschaft, mit der du deine Musik machst!“

Aber was ich dann nicht verstehe, ist: Die sind zehn Jahre jünger als ich, die sind Mitte 20 – und die machen Schlager-Rock und haben keinen Bock, irgendwas Innovatives zu machen! Die haben alle Red Hot Chili Peppers und U2 gehört, können das alles super nachspielen und bauen daraus ihre Songs zusammen. Ich find’s irgendwie erstaunlich, dass die nichts wagen, dass die nur diesen sicheren Weg gehen, weil sie wissen, dass sie damit gut fahren. Vielleicht gibt ihnen der Erfolg Recht?

Genau, da kommt dann immer der beste Spruch von allen:

„Ja ja, Olli. Aber im Gegensatz zu dir machen die RICH-TIG Kohle.“ Da denk ich mir: Ist das da die Lebensaufgabe, „richtig Kohle“ zu machen? Das ist einfach so glatt. Aber vielleicht haben die ja auch so ein glückliches Leben, dass die nie ’nen wirklichen Schmerz in sich gespürt haben … Und dass Jan Delay da mitmacht, ist auch unbegreiflich. Weil der ja immer derjenige war, der so eine Flagge des Stilbewusstseins hochgehalten hat. Dass der jetzt in dieser Udo-Lindenberg-Silbermond-Ecke mitmischt, macht ihn mir wahnsinnig unsympathisch, muss ich sagen.

Die Ärzte „Lied vom Scheitern“

(singt sofort mit) „… trotzdem setzte ich mich zwischen alle Stühle …“

Bela spielt ja in deinem Video mit.

Ja, im Bibo-Video. Der Bibo-Song, der ja von manchen Leuten nicht so verstanden worden ist, wie er gemeint war. Wenn ich das kurz erzählen darf: Ich mach jetzt seit Jahren Musik, und der „Bibo“ war jetzt mein erster Song in den Charts – der stumpfste Song, den ich je aufgenommen hab.

Machst du jetzt RICHTIG Kohle?

Haha! Nee, dafür war er nicht erfolgreich genug. Die letzten Singles von mir waren alles so schwermütige Nummern. Und dann hau ich diese Persiflage auf so Mitmach-Ballermann-Songs raus – und es wird meine erste Chartsnummer. Absurd. In dem Video nimmt Bela sich selber auf die Schippe, und das halte ich auch den Ärzten generell zugute: dass die über die Jahre hinweg nicht nur immer wieder mal gute Songs gemacht haben, sondern vor allem auch über sich selber lachen. Und was die immer noch für einen Output haben — das liegt wohl auch an dem sportlichen Wettkampf, den Bela und Farin immer noch laufen haben. Das Glück muss man erst mal haben, so einen Partner zu finden. Und Rod ergänzt sie schön. Er hat aber die schwächsten Songs auf der neuen Platte geschrieben, find ich. Rod findet mich voll scheiße.

Tut er das?

(gequält) Ja. Ich glaub, der zählt mich zu dieser Hamburger Indie-Szene, die alle nicht Punk genug sind oder so.

The Kinks „Picture Book“

Das ist doch der „Bibo“, oder? Was ist das? (hört zu) Stimmt. Du kennst den Song nicht? Das sind die Kinks. Du hast also, äh, clever die Kinks zitiert, ohne es zu wissen? Hm. Ja, war natürlich absolut nicht beabsichtigt. Vielleicht hab ich’s schon mal unbewusst gehört… Hm. Ich mag von den Kinks (singt) “ Weeee aaare the Village Green … tralala“.

Den Song hier kenn ich nicht.

Ansonsten sind die Kinks auch so eine Band, die ich leider immer noch nicht genug durchgearbeitet hab. Würd ich aber gerne machen, momentan steh ich sowieso voll auf alte Musik.

The Beatles „Taxman“

(nach 0,6 Sekunden) Ja. Was soll ich dazu sagen? Ich geb zu, als ich 18 war, hab ich gesagt:

„Hau ab mit den Beatles!“

Ich bin wirklich erst so vor fünf, sechs Jahren zu den Beatles aufgestiegen, als ich mir die „Anthology“-DVDs angeschaut hab und als danach natürlich alles völlig klar war … Ich kann echt nichts sagen, was nicht schon über die Beatles gesagt worden ist.

Und früher abgelehnt, weil…? Nicht Punk genug? Elternmusik?

Ja. Elternmusik. „Das ist doof, alles.“ Das war die Einstellung.

Jarvis Cocker,. Further Complications“

Klingt gut. Elvis? Costello, mein ich? Klingt fast so. Ist aber Jarvis. Cocker? Aah! Ist das die neue Platte? Find ich gut. Würd ich mir sofort kaufen. Ich find Pulp super, eigentlich alles. Da waren immer auch so’n paar Nerv-Songs dabei, klar, aber das hier klingt richtig gut. Schön rockig.

Produziert von Steve Albini. Gut, ne? Steve Albini, weißte was? Das hab ich nie richtig verstanden, warum der so abgefeiert wird. Ich find die Palace-Sachen ganz gut, die er mit Will Oldham gemacht hat. Aber da hat er, glaub ich, einfach nur auf „Aufnahme“ gedrückt.

Bonnie „Prince“ Billy „Beware Your Onlv Friend“

Hab ich natürlich alles. Alles von Palace, Bonnie „Pnnce“ Billy, alles, was der je gemacht hat. Aber für die Neue hab ich noch nicht den großen Zugang gefunden. Bei den letzten Platten – THE 1.ETT1NG GO. I.AY DOWN IN THE LIGHT und der Neuen – merkt man, dass er den Frieden gefunden hat, den er ja so lange auch in seinen Songs gesucht hat. Er ist immer noch einer der begnadetsten, tollsten Songwriter. Aber das Tiefste, was er mal bei mir berührt hat, das hat er mit den letzten Platten nicht mehr geschafft. Die ersten drei Bonnie-Prince-Billv-Platten 1 SEE A DARKNESS, EASE DOWN THE ROAD und MASTER AND EVF.RYONK sind so komplexe Meisterwerke, die sind einfach nicht zu schlagen. Weil da eine Brüchigkeit, eine Leidenschaft, etwas Verzweifeltes drin ist, was ich einfach unfassbar toll finde. Aber es gibt ja so Phasen, die hat jeder mal mit seinen Lieblingskünstlern, wo man sagt: Jetzt reicht’s mir grad mal ’n bisschen. Vielleicht hör ich mir BE-WARE in drei Jahren an und denk mir: Das ist ja viel großartiger, als ich’s damals empfunden hab!

Bill Callahan „Too Manv Birds“

Das ist aber nicht die neue Bill Callahan, oder? (Callahan fängt an zu singen) Ah! (wohlig) Ach, super. Aaach, ich find die neue Platte so toll. Die trifft mir den Nerv, den die neue Bonnie „Prince“ Billy nicht richtig trifft. Der hat noch etwas in sich bewahrt wahrscheinlich, weil er noch nicht so erfolgreich war und noch nicht mit so vielen prominenten Frauen geschlafen hat. Vielleicht ist er deswegen noch hungrig. Aber auch jemand, der mit seiner Stimme so einzigartig ist, dass man’s nicht ständig … sagen wir so: Wenn du eine Platte von ihm durchgehört hast, möchtest du nicht sofort gleich noch eine hören. Aber die Neue – Wahnsinn. Ganz tolle Platte.

Antony & The Johnsons „Kiss Mv Name“

(routiniert) Ja, klar, Antony & The Johnsons, find ich auch super. Aber wirklich nur immer so ein paar Songs am Stück. Ein ganzes Album ist mir auf die Dauer … doch ein bisschen zu sehr … (zögert) so der kleine dicke Frosch im Nachthemd, der singt, wie unglücklich er ist im Männerkörper. Ein paar Songs erwischen mich total, aber auf Dauer ist es doch ein bisschen … … gravitätisch und schwer? Ja, auch so’n bisschen gewollt schwer. Ob der mal so ’nen Bibo-Song macht, bezweifle ich. Ich glaub, der hat nicht die Power für ’n Bibo. Ja, den Bibo von Antony seh‘ ich auch nicht kommen. Ich hab mich letztens mit einem Musiker drüber unterhalten: Wenn du Sänger von heute hörst, denkst du, die haben alle Probleme, denen geht’s nicht gut. Dann hörst du aber mal aus den 70ern oder 80ern Journey an oder Def Leppard oder was auch immer – das waren alles so Typen nach dem Motto: „Passt mal auf, Leute: Macht euch um mich keine Sorgen, mir geht’s gut. Die Welt ist vielleicht scheiße, aber ich erzähl euch jetzt mal ’ne Story, die euch voranbringt.“

Aber heute – spätestens seit Thom Yorke, sag ich mal, ist es alles so: (weinerlich) „Nimmt mich mal bitte einer in den Arm, ey, ich kann nicht mehr! Die Welt macht mich verrückt!“ Heute sind’s immer so Hilfeschreie, früher war’s so: “ leb geb dir ein bisschen Power von mir ab, weil ich hab so dicke Eier, da kannst du auch noch mitmachen.“ Weißte? (steigert sich zunehmend rein) Heute ist es eher so: “ Meine Eier sind ganz klein, ich hab so Hunger, Durst und meine Mutter und ich haben wahnsinnige Probleme. “ Ja. Und damals war’s so … Zum Beispiel Dennis Wilson, solche Typen. “ Alter, pass mal auf, ich tauch jetzt mal kurz und hol da die Sachen aus’m Grund, und vielleicht ertrink ich dabei“ – lsser ja dann auch -, “ aber auf alle Fälle zieh ich mein Ding durch.“ Und heute so: „Wääh, ich werd wahrscheinlich 100 Jahre alt, weil die Medikamente, die ich krieg als Millionär, mich so alt machen, aber mir geht’s überhaupt nicht guuuut! „… Na, egal jetzt.

AC/DC „Rock’n’Roll Train“

(nach zwei Tönen) Ja, AC/DC, neue Platte, (macht aus) Soll ich dir mal was sagen? Phil Rudd swingt nicht mehr. Vielleicht raucht er zu wenig? Der raucht zu wenig. Weißt du eigentlich, warum der damals ausgestiegen ist? Weil der mit einer Frau aus dem Young-Clan ’ne Affäre hatte und die geschwängert hat, deswegen haben sie ihn rausgeschmissen. Das ist nicht offiziell gemacht worden, aber deswegen musste er sich so acht, neun Jahre verdünnisieren. Und Drogen natürlich. Egal. Was soll ich sagen: Neue Platte – ist wie AC/DC. Fakt ist: Brian Johnson kickt mich nur auf der BACK IN BLACK und auf „For Those About To Rock“. Und „Thunderstruck“ natürlich. Aber ansonsten hör ich einfach immer noch die Bon-Scott-Sachen lieber. Die neue Platte ist auch zu lang. Aber ich find gut, dass es die gibt, und die sind zu Recht in ungefähr allen Ländern der Welt auf Platz eins gewesen.

Faith No More „Epic“

(sofort) Faith No More! Wiedervereinigung!

Eben.

Mike Patton, einer der Geilsten, immer noch. Ein PlaverTyp. Vor zehn Jahren, als ich noch Stagehand war, war ich mal mit dem Thailändisch essen. Er hat mich gefragt, wo’n Thailänder ist, da bin ich mit ihm und Billy, dem Bassisten, Chickenwings essen gegangen auf der Reeperbahn. Das war eins der coolsten Erlebnisse für mich als Kid, werd ich nie vergessen. Er soll ja ein schwieriger Typ sein, aber zu mir war er wahnsinnig freundlich. Ich mag auch Fantömas gerne, Mr. Bungle nicht so. Peeping Tom hab ich nur so halb mitbekommen, Tomahawk fand ich ganz gut. Der macht einfach so viel und ist fern von jeglichem Kommerzdrang, was ihn sehr sympathisch macht. Hat aber auch wahrscheinlich so viel Geld verdient … genau übrigens wie Bonnie „Prince“ Billy, dem ja auch immer hoch angerechnet wird, dass er fernab ist von all diesen Kommerzmechanismen. Aber was auch keiner weiß ist: Die Eltern von Will Oldham sind die Besitzer der größten Sägewerke von Kentucky, und der kriegt, seit er 16 ist, die Schecks zugesteckt.

„Flieg mal schön um die Welt und verwirkliche dich selbst, Papa hat’n riesiges Sägewerk in Kentucky.“ Da heißt’s dann, „ja, so wie Bonnie ,Prince‘ Billy, ne? DAS sind geile Künstler!“ Dann sagste: Ja, Bonnie Prince Billy. Dessen Eltern haben auch ’n Sägewerk, irgendwie. Meine Eltern haben kein Sägewerk. Die haben grad mal ’nen Job. Ha!

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