„Das Ganze ist eine Rockfabrik!“


Was passiert bei Rock am Ring und Rock im Park auf, vor und hinter den Bühnen? Einsichten in das Innere einer eindrucksvollen Unterhaltungsmaschine, von der Björn, Simon und 129.998 andere Musikfans kaum etwas mitbekommen. Weil sie so gut geschmiert läuft.

Björn soll Spaß haben. Björn ist einer von den 130.000 Menschen, die 2003 zu „Rock am Ring“ oder „Rock im Park“ kamen. Er ist 24 Jahre alt, studiert in Köln Maschinenbau, fahrt ein altes Rennrad und trägt ganz gern Kordjackets aus dem Second-Hand-Shop. Und: Björn ist Festivalfan. Er kauft sich seit Jahren das Ticket, zahlt 99 Euro für drei Tage, Zelten und Parken inklusive. „Wird immer teurer!“ befindet er jährlich, aber egal. Am Vormittag holt ihn sein Kumpel Simon mit dem Corsa ab. Die beiden kennen sich noch vom Gymnasium und sehen sich sonst das ganze Jahr nicht, nur diese drei Tage lang. Sie halten an einem Stadtrand-Supermarkt, um in Björns Klappbox Lebensmittel einzuladen: Billigsalami, Brot, Würstchen aus dem Glas, Chips und saure Gurken. Ein Drittel der Einkäufe wird drei Tage später in Müllsäcken landen, genau wie die Campingstühle, die Simon vom Sonderangebotsstapel mitgenommen hat.

Die beiden kommen am Freitagnachmittag an, schwören sich jedes Mal, im nächsten Jahr früher los zu fahren, und suchen im Schritttempo einen Parkplatz. Die Sonne knallt, hunderte Besucher säumen die Straßen. An diesen Freitagnachmittagen, an denen Björn und Simon ins Rockabenteuer starten, ist für andere dieses Abenteuer schon fast wieder zu Ende. Denn das Doppelfestival beginnt schon Monate zuvor, an Konferenztischen. Daran planen die Mitarbeiter der Konzertagentur Marek Lieberberg ihr Festival. Sie entwickeln immer wieder Verbesserungen, „Reformen“ wie sie intern genannt werden. Zum Beispiel 2003 die Trennung von Park- und Zeltflächen bei „Rock am Ring“. Durch gerechnet werden solche Reformen ganz genau, dennoch kann niemand an den Konferenztischen immer vorhersagen, wie gut sie tatsächlich greifen, wenn überhitzte Besucher mit 60.000 Autos einen Parkplatz suchen.

Ein anderer wichtiger Tisch steht in Augsburg. Dort herum sitzen die Mitarbeiter der Firma Stageco, die sich seit Jahren um den Aufbau der Bühnen kümmern. Der wird im Januar in einem Zeitplan abgesteckt. „Der ist eng. Wenn das Gelände noch nicht freigegeben ist oder es beim Aufbau ein Unwetter gibt, kommt alles fürchterlich durcheinander!“, sagt Geschäftsführer Werner Herbst. Während drinnen die Kalender bestückt werden, überwintern im Schneeregen die Bühnenteile, auf denen schon fast alle großen Popstars dieser Welt rumgetrampelt sind. Eine Fläche von drei Fußballfeldern reicht für den Winterschlaf gerade aus, alleine die zwei großen Bühnen bestehen aus etwa n.ooo Einzelteilen. „Lego für Erwachsene! „, nennt das Werner Herbst.

Wenn die zwölf Sattelzüge mit der Hauptbühne aus Bayern am Nürburgringihre Lastabgeladen haben, vier Tage bevor die ersten Besucher anreisen, dann machen sich auch Polizist Dirk Valley und seine Kollegen langsam mit dem Gelände vertraut. Die beiden Rockfestivals beschäftigen insgesamt noo Beamte. Gestellt werden müssen sie von den Bundesländern. „Das kostet schon immens Geld, aber das ist alle zwei Wochen im Fußballstadion ja genauso“, sagt Dirk Valley und zuckt mit den Schultern. Gerne lassen sich die meisten eingesetzten Polizisten noch im Winter freiwillig zum Dienst einteilen. „Das ist für uns eine Abwechslung und meistens herrscht auch eine nette Atmosphäre“, sagt Dirk Valley und erzählt von Kollegen, die unter dem grünen Diensthemd ihr Metallica-T-Shirt tragen.

Vorbereitungen an Konferenztischen braucht die Band Tomte nicht. Für die Musiker

sind die Auftritte wie für viele Bands nur zwei weitere Tourtermine. Trotzdem ändert sich das Bauchgefühl, wenn der vollgepackte, weiße Sprinter aus Hamburg auf die Formel-i-Rennstrecke einbiegt: „Da spielst du erst in einem hautengen Jugendzentrum und am nächsten Tag dann auf dieser großen Open-Air-Bühne, das rauscht schon kurz im Kopf, sagt Frontmann Thees Uhlmann. Auch das Davor und Danach ist anders als sonst. „Da arbeiten alle drumherum wahnsinnig professionell, das funktioniert so automatisch, dass du irgendwann denkst: Das Ganze ist eine Rockfabrik!“ Kurz bevor Tomte an diesem Samstagnachmittag die Alternastage entern, liegen alle noch mal lachend am Boden. Thees erklärt: „Der Bühnenmanager hat gerade gefragt, wann endlich unser Truck mit den Instrumenten und dem restlichen Zeug käme. Er konnte nicht glauben, dass das schon alles ist.“

Bühnenmanager haben es eben nicht leicht. Jacky Jedlicki, einer der Festivalverantwortlichen bei Lieberberg, nickt leidgeprüft. 80 Bands mit 80 Equipments drei Tage lang über drei Bühnen zu lotsen, so dass alle Instrumente auf dem richtigen Platz stehen und liegen, dass keiner überzieht oder sich vernachlässigt fühlt, das ist schlicht: „anstrengend“. Und da kann man eben auch mal verrückt werden: „Wenn fremde Leute auf der Bühne im Weg stehen, die da einfach nichts zu suchen haben und dir dann vor lallen, dass sie der Freund vom Freund vom Bassisten sind…!“ Andere Ärgernisse aber lassen sich nicht einfach von der Bühne verscheuchen, Unwetter zum Beispiel. „Einmal ist ein ganzer Auftritt ausgefallen, weil es ein gnadenloses Gewitter gab. Das ist der GAU, da sind wir machtlos.“ Trotzdem sind das nicht die Vorfälle, die Jedlicki am meisten fürchtet. Die größten Unwägbarkeiten sind seiner Ansicht nach die Menschen selber. „Egos!“ zischt Jacky und das „s“ am Ende, dehnt er sehr lange.

Für Unwetter interessieren sich um so mehr die 70 Bühnenmonteure der Firma Stageco. Jedes Jahr hoffen sie wieder auf gutes Wetter. Auch für eine 50 Meter breite und zoo Tonnen schwere Bühne gibt es einen Aufbauplan wie für ein IKEA-Regal. Ein Bauleiter wacht mit dem Walkie Talkie über die richtigen Handgriffe. Drei Tage lang, dann steht die Bühne. Und zwar richtig gut. „Bis zur Windstärke acht wackelt da nichts. Den Rockstar möchte ich sehen, der bei 75 Stundenkilometern Gegenwind noch auf der Bühne steht!“, sagt Projektleiter Werner Herbst. Sobald der letzte Künstler die Bühne verlassen hat, spät in der Sonntagnacht, machen sie sich an den Abbau. Der dauert tatsächlich nur einen Tag.

An den Abbau denken Björn und Simon noch lange nicht. Ihr Kuppelzelt steht wie eine Eins. „Alte Pfadfinderschule!, lacht Björn. Auch sonst läuft bis jetzt, zweiter Festivaltag kurz nach drei Uhr, alles bestens. Kein Regen, gestern Freudentaumel beim Konzert der Hives und danach noch eine fröhliche Runde am Nachbarzelt mit Grillwürsten und einigen Orientierungsproblemen auf dem Heimweg in den Schlafsack. Heute Mittag bekamen die Kölner sogar eine kalte Dusche. Der zusätzliche Aufbau sanitärer Anlagen findet Anklang.

„Das ist das erste Mal, dass ich mich bei einem Festival geduscht habe. Echt angenehm, beider Hitze!“ Es ist viel zu heiß für einen Bummel über das Festivalgelände. Erst einmal nur chillen, liegend dem Soundbrei aus Autoradios, Kassettenrecordern und Konzertklängen lauschen und den Spielplan studieren.

Der Spielplan ist das wichtigste. Ihn zu erstellen ist eine Arbeit, die viel Fingerspitzengefühl erfordert. Nicht nur, weil die Konzertagentur Marek Lieberberg jedes Jahr auf’s Neue ihrem Ruf gerecht werden will, die ganz großen Stars zu holen. Auch weil es scheint, dass jedes Lieberberg-Telefonat im Vorfeld schon ein Gerücht in die Welt setzt. „Wenn 2004 die Peppers kommen, bezahle ich die Hälfte des Preises nur für die , schrieb so schon am 9. November 2003 ein „Captain Anarchy“ ins Forum der Festival-Fanpage www.ringrocker.de. Mit Argvisaugen werden von der Community Ankündigungen auf der Homepage beobachtet und mit heißen Spekulationen die Zeit bis zum Start überbrückt.

Das Beobachten ist auch der Job von Dirk Valley, wenn er mit einer Kollegin Streife über das Festivalgelände geht. Oberste Regel dabei: „Die beste Polizei ist die, die nicht auffällt.“ Zurückhaltung ist auch gar nicht schwer, bei „Rock am Ring“ 2003, das im Nachhinein einen Friedlichkeitsrekord brechen wird: nur vier Anzeigen wegen Körperverletzung, zehn wegen Sachbeschädigung, eine Handvoll positiver Drogenkontrollen. Allerdings gab es auch noch einen Unfall mit drei Verletzten – Ursache hier: Alkohol. „Die Besoffenen sind die Schlimmsten“, sagt Dirk Valley. Ihr Weg führt die beiden Polizisten auch bei den großen Zelten des Roten Kreuzes vorbei, wo die Sanitäter müde auf den leeren Liegen warten. Auch hier ist nicht viel los: hin und wieder ein Kreislaufkollaps, Schnittverletzungen, abends eben die Betrunkenen-alles im Plan., Aber mit jedem Tag, den das Festival länger dauert, erhöht sich die Unfallrate, die Leute werden erschöpft und unkonzentriert“, sagt einer der Sanitäter. Oben am Himmel kreist der Polizeihubschrauber.

Wieder Unten Sind Thees Uhlmann und seine Bandkollegen von Tomte und zwar von der Bühne. Bevor sie zu Rock im Park weiter fahren, bleibt ihnen noch ein Tag Zeit. Zeit, um backstage das Catering zu inspizieren, mit den anderen Musikern ein bisschen gegen den Ball zu treten oder über den eigenen Auftritt zu lästern. „War typische Festivalstimmung, viel Unruhe im Publikum, aber sonst sehr nett“, resümiert Thees Uhlmann, gibt dann aber zu: „Entschuldigung, oberes ist eben ein Kick, wenn man auf einer Bühne steht und weiß, dass das eigene Gesicht auf der Leinwand gerade fünf mal fünf Meter groß zu sehen ist. Allein deswegen lohnt es sich. Finanziell ist das gar nicht so spannend für uns, wie alle immer denken!“ Spricht’s und macht sich mit einer Bierflasche auf den Weg zum grünen ME-Bus neben der Alternastage, um Autogramme zu geben.

Die Andenken, die Björn und Simon mitnehmen, sind viel persönlicher als Autogramme: Simon hat einen Sonnenbrand und Björn die Telefonnummer von einem Mädchen aus Koblenz. Weil er ihr gestern Abend beim Placebo-Konzert seine Strickjacke geliehen hat. Mit ungewaschenen Haaren und müden Augen werden sie gleich zum letzten Mal zur Centerstage pilgern. „Am dritten Tag geht einem langsam alles ein bisschen auf die Nerven, die Musik, das ewige Laufen, Treffpunkte ausmachen und sich dann doch nicht treffen. Trotzdem: Schön war’s wieder!“, findet Björn. Die Akkus gehen zur Neige, die der Handys, die der Kassettenrecorder, aus denen unentwegt Pearl Jam dröhnt, und die der Menschen auch. Kurz vor Metallica stellt der erste Platzregen des Festivals die Campingzelte noch auf die Probe. „Genau das hat noch gefehlt!“ sagt Björn in das Rauschen. Er meint es wirklich ehrlich.