Die Magie des ersten Mals


Blitzblanke Hochglanz-Songs, die in einem Rutsch aufgenommen wurden: Phoenix und ihr neues Album alphabetical.

„Keine Ahnung, wie viele Handclaps auf alphabetical zu hören sind“, sagt Laurent Brancowitz, und dann sagt er eine gute Minute lang nichts. Das aber in aller Ausführlichkeit. Sein Blick verfängt sich in dem auf dem Tisch drapierten Gebäck. Dann greift er berherzt in die Obstschale: Ein Scheibchen Melone soll es sein. Während Laurent, Gitarrist von Phoenix, mit der Vitaminzufuhr beschäftigt ist, springt Bassmann Deck d’Arcy ein. „Ja, man kann schon behaupten, dass wir Handclaps mögen. Nach unserem Debütalbum United waren wir über ein Jahr auf Tour, und dabei haben wir unterwegs immer wieder viele perkussive Sachen gehört. HipHop querbeet, Oben uns von ihm inspirieren lassen.“

Nach der langen und ohne Frage informativen Rede fällt Deck regelrecht ein bisschen in sich zusammen; mit stolz geschwellter Frisur Reklame in eigener Sache machen sieht anders aus. Aber diese Hälfte von Phoenix – die andere besteht aus Thomas Mars, Gesang, und Christian Mazzalai, Gitarre – steht keineswegs im Verdacht, Promo-Plauderei oder gar Geschwätzigkeit anheim zu fallen. Erzählt wird nur. was x-mal durchdacht ist – und wahrhaftig.

Dabei könnte man fürALPHABETiCAL, den Nachfolger des 2000er-Debüts united guten Gewissens mit ganzer Kraft die Werbe-Fahne schwenken. Denn mit der kurzen I anasnielDlatte – zehn extrem groovende und niemals bollernde Songs in flotten 37 Minuten – schafft man es locker, jede Menge Mädchen hüftschwingend und powackelnd von der Straße zu locken. Die passgenau ins Songwriting eingearbeitete Melancholie animiert zudem sensible Menschen ohne weiteres, den Bandnamen in Parkbänke zu schnitzen. Und weil Phoenix auch noch in einer Schönheitsoperation die Rock-Reste aus ihrem Klangbild kosmetisch entfernt haben, möchte man mit der Band sofort nach Südfrankreich verreisen, cruisen und Baguette knuspern.

Laurent BranCOWitZ, jetzt mit Weintrauben beschäftigt, lässt die nächsten Sätze frei, die der Band wichtig sind. „Wir hoben die Platte in unserem eigenen Studio aufgenommen. So brauchten wir nicht aufs Geld zu achten und konnten uns ewig Zeit lassen. Wir haben die Songs unglaublich oft geprobt, aber wenn wir uns einmal entschieden hatten, ein Lied aufzunehmen, haben wir immer den ersten Take fürs Album genommen. Die Magie und die Wahrhaftigkeit des ersten Mals ist uns sehr wichtig, und damit sind wir den emotionalen Pfad unserer Musik auch weitergegangen als beim Debüt.“

Wer alphabetical drei, vier Mal gehört hat, hier und dort immer noch einen neuen Ton, ein Plinkern und noch ein Schlenkern entdeckt und der Platte beim Wachsen zuhört, mag kaum glauben, dass es die Songs im Rutsch der ersten Aufnahme auf die Platte geschafft haben – so sensationell, brillant und mit Hochglanzpoliturversiegelt sind die Lieder auf alphabetical. „Ist aber so“, sagt Laurent mit treuherzigem Blick. Und erst die Produktion: Selbst ein so detailverliebter Mischpult-Magier wie Paddy McAloon von Prefab Sprout könnte sich von alphabetical noch ein Scheibchen Perfektion abschneiden – nicht ein einzelner Ton, über den Produzent Tony Hoffer zusammen mit der Band nicht noch mindestens fünfmal drübergebürstet hätte.

Überraschenderweise völlig obstfrei ist Deck d’Darcy wieder im Erklärungsrennen: „Unser Freund Philippe Zdar, der mit Motorbass und Cassiusja schon vor Jahren den Bogen raus hatte, was einen feinen Groove angeht und auch für den Mix von united verantwortlich war, hat uns dieses Mal nur beroten.“ „Und Tony Hoffer aus Los Angeles hat den ohnehin schon sehr fetten Sound-Ballon sehr hübsch bis zum Gehtnichtmehr aufgeblasen“, fährt Laurent Brancowitz fort, und dabei huscht ihm doch tatsächlich ein Lächeln übers Gesicht. Feistes und breites Grinsen wäre auch drin, ja sogar: angebracht. Denn mit alphabetical haben sich Phoenix nach allen Regeln der Referenzkunst weiterentwickelt. Auf united war ihre Affinität zur 70er-Jahre-Disco, zur überkandidelten Produktion der Achtzigerund ihr Händchen für eine warme, weiche Mischung aus Folk, Pop und Soul immer so geraten, dass alle in einem Sound-Bettchen schliefen. Kuscheln ja, aber Sex: Fehlanzeige. Wer jedoch mit wachen Sinnen Songs wie „Love For Granted‘ lauscht oder die nicht ganz beulenfreie Kollision von HipHop-Beats und Wandergitarre in „Victim Of A Crime“ hört, weil: Auf alphabetical wird auch gepoppt, Diesem Gedanken können auch Laurent Brancowitz und Deck d’Arcy bei aller Interview-Schüchtern- und Bescheidenheit einiges abgewinnen.“.Sex is alwoys gaod“, sagt der Bassmann so englisch wie möglich und so französisch wie angeboren. Und dann lachen sie. Alle beide. Was dann genauso unglaublich ist wie dieses Stück hochartifizielle Musik, das bei aller Kunst und Künstlichkeit trotzdem auf eine sehr eigene Weise natürlich klingt.