Diese Band ist der Healer


Die Vorhölle liegt im fünften Stock des Kölner Hotel Maritim. Der Weg führt durch einen Flur mit Promi-Fotos ins „Restaurant Bellevue“. 90er-Jahre-Jugendzimmer-Bodenbelag, Stühle mit apricot lackierten Rahmen und türkisen Eisdielen-Bezügen. Von irgendwo mulmt mintfarbene Kaufhaus-Muzak. Was auch immer mit dem Rock’n’Roll passiert sein mag – hier kann er sich unmöglich aufhalten. Nick Jago, Schlagzeuger des Black Rebel Motorcycle Club, hat seine eigene Methode, um sich von diesen Scheußlichkeiten nicht beeindrucken zu lassen. Er zeichnet. Porträts der Interviewer, mit Kugelschreiber auf einem karierten Block. „Früher habe ich ständig gemalt, es aber irgendwann drangegeben „, erzählt er. „Wenn ich genug Sachen zusammenhabe, werde icheine Ausstellung machen und all meine Freunde einladen. Das wird cool.“

Es ist eine Mischung aus schüchternem Ernst und sprudelnder Begeisterung, mit der Nick über etwas spricht, das für ihn mehr ist als nur ein wiederentdecktes Hobby. „Das Zeichnen gibt mir Halt, hilft mir, meine Mitte zu finden. Und die Band. Vor allem die Band. Manchmal denke ich, sie istfür mich die einzige Chance. Ich habe da etwas in meinem Leben, das mich ernährt und mir hilft, mich auszudrücken. Lange wußte ich das einfach nicht genug zu schätzen.“ Und er erzählt, wie Robert und Peter ihm gegen Ende der Produktion ihres zweiten Albums 1000 Dollar in die Hand gedrückt haben. „Ich sollte mir Pinsel und Farben kaufen und das Coverfür die Platte malen. Ich habe das Geld dann versoffen.“

Von Sex, Drugs und Rock n Roll ist wenig zu spüren, wenn Nick von der schwierigen Phase erzählt, die 2004 zu seinem Rauswurf geführt hat. „Alkoholmißbrauch“, erklärt er knapp und amtlich. „Irgendwann kamen dann Koks-Partys dazu.“ Nach einem Streit Nicks mit Sänger Robert Turner in Edinburgh kam es zum Bruch. Doch: JDie Tür steht ihm immer offen „, hatte Robert damals sogar auf der Homepage der Band versichert. Und so verpflichteten Türner und Hayes auch keinen festen Schlagzeuger, als sie für die Aufnahmen zu einem neuen Album ins Studio gingen, howl heißt es, nach dem gleichnamigen Gedicht von Allen Ginsberg. „Ichfinde, der Titel paßt perfekt zu uns. Die Beatniks waren Anti-System, genau wie wir. Und sie erinnern dich daran, daß es Rock’n’Roll schon vor dem Rock’n’Roll gab.“

Rock’n’Roll vor dem Rock n Roll, das ist denn auch die beste Formel für das, was BRMC auf ihrem dritten und bisher amerikanischsten Album machen. Statt undurchdringlicher Gitarrenwände Akustik-Gitarren, Orgel, Klavier und Slideguitar, statt Shoegazer-Rock Country, Blues, sogar Gospel. Musik, mit der Peter aufgewachsen ist: „Ich bin in Minnesota auf einer Farm groß geworden. In der Kirche wurden jeden Sonntag Gospels gesungen. Und wie sich da irgendein brummender Baß mit der hohen Stimme einer alten Lady vermischte, das hat mich schon damals fasziniert. Sogar die falschen Töne haben irgendwie funktioniert.“

Mit ihrer alten Plattenfirma hätten die Rebeis diese Platte nicht machen können. Als das Gespräch auf die „künstlerische Kontrolle“ der Band kommt, verläßt Peter zum ersten Mal die zurückgelehnte Sitzhaltung. „Künstlerische Freiheit?“ Verächtliches Schnauben. „Ich warne-jede – Band- davon auch nur ein Wort zu glauben. Vielleicht lassen sie dich erstmal machen. Aber wenn es ihnen nicht gefällt, lassen sie dich das deutlich spüren.Dann gibt es plötzlich keinen Tour-Support mehr. Oder sie kümmern sich nicht darum, ob deine Platte überhaupt in den Läden steht.“

Leicht hat es sich die Band bei der Suche eines neuen Labels für howl denn auch nicht gemacht. „Wir wollten diese Platte mit Respekt behandelt wissen. Es gab einige Labels, die sie veröffentlichen wollten. Aber dann hieß es: „Seid ihr bereit, die Songs nochmal aufzunehmen oder neu zu mischen? Nein? Okay, danke, Wiedersehen.'“

Auf dem Weg zum Lift bleibt Nick vor den Promi-Fotos stehen: Hoteldirektor mit Rudi Carrell, Hoteldirektor mit Harald Schmidt usw. „Gott, wer ist das denn?“ „In dem komischen Anzug? Thomas Gottschalk. Er moderiert TV-Sendungen, auch über die Geschichte des Rock’n’Roll.“, „Ach ja?“ Kopfschüttelnd geht Nick weiter. Whatever happened to Rock’n’Roll? www.blackrebelmotorcycleclub.com