Girl Power in Neukölln: 7 Eindrücke, die vom „Pop-Kultur“-Festival 2016 bleiben


Nach seiner Premiere im Berghain 2015 ging in Neukölln Anfang September die zweite Ausgabe des „Pop-Kultur“-Festivals über die Bühne. Drei Tage lang gab es Konzerte, DJ-Sets, Workshops und Diskussionen, Newcomer und alte Hasen, Handfestes und weirde Sounds. Unsere Eindrücke vom Festival.

  1. Wie passt das „Pop-Kultur“-Festival jetzt nach Neukölln?

Die erste große Frage des diesjährigen Festivals lag nach den doch sehr optimistischen Plakaten, auf denen Neukölln in eine Reihe mit London, New York und Tokio gestellt wird, auf der Hand: Wie macht sich das Festival in seiner neuen Heimat im Szenebezirk jenseits des Hermannplatzes? Wird hier etwa die vermeintliche Coolness des Stadtteils für eigene, immerhin staatlich subventionierte Zwecke eingespannt? Und werden der Ort und seine Underground-Kultur denn wenigstens angemessen repräsentiert? Die Antwort darauf ist wie immer nicht ganz eindeutig. Einerseits passt dieses Festival mit seinem breitgefächertem, internationalen und durchaus progressiven Programm ja sehr gut in den Kiez, in dem so viele kleine und größere Clubs, Konzerthäuser und Bars so nah beieinanderliegen. Ebenso wie das Musikprogramm des Festivals ist Neukölln ja immer noch (also auch im Zustand der fortgeschrittenen Gentrifizierung) ein Patchwork aus verschiedenen Kulturen, Szenen, Stilen.

  1. Ein Aber gibt es natürlich trotzdem.

Andererseits wirkt das alles natürlich schon ein wenig paradox: Denn was hier vom senatseigenen Musicboard ausgerichtet und mit 700 000 Euro kofinanziert wird, das steht nämlich in direkter Konkurrenz zu anderen lokalen Veranstaltungen – ohne diese sinnvoll einzubinden. Deswegen wurde kurzerhand eine Art Anti-Festival, „Off-Kultur“ betitelt, ins Leben gerufen. Das „Pop-Kultur“-Festival deswegen gleich als „Staatspop“ oder „Subventions-Festival“ zu beschimpfen war dann aber doch zu hoch gegriffen. Dafür bot das Festival zu vielen, sehr unterschiedlichen, auch politischen und queeren Künstlern eine Plattform. Und man muss der Festivalorganisation zugute halten, dass das Programm darauf ausgelegt ist, dass das Publikum nicht nur bereits bekannte Acts sieht, sondern auch viel Neues kennenlernt. Und davon gab es eine Menge.

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  1. Viel zu entdecken

Wer bereit war ein bisschen zwischen den Locations hin- und herzuwandern, konnte man innerhalb weniger Stunden in fünf, sechs verschiedene musikalische Welten eintreten und sich die Ohren von diesem irren Zusammenspiel durchblasen lassen. Da war etwa das iraelische Schwesterntrio A-Wa – es klingt wie ausgedacht, ist es aber nicht: auch sie heißen mit Nachnamen Haim und sind Schönheiten umweht von langen braunen Haaren – das auf Englisch, Hebräisch und in der Sprache seiner jemenitischen Vorfahren singt und dazu Elemente aus Folk und HipHop mischt. In Israel sind sie schon kleine Stars. Da war – mindestens genauso wild und laut– die Band Show Me The Body, die in wütenden HipHop- und Hardcore-Schwällen über ihre „sterbende“ Heimatstadt New York singt (auch hier: Stichwort Gentrifizierung).

A-Wa
A-Wa
  1. Der Gold-Balance-Junge

Und da war der junge Kölner Marius Lauber alias Roosevelt, der am ersten Abend mit Streifenhemd und Wuschelfrisur in der Konzerthalle Huxley’s Neue Welt eröffnet. Gerade ist beim Berliner Label City Slang sein mit einiger Begeisterung aufgenommenes, selbstbetiteltes Debütalbum erschienen. Auf der Bühne mit seinen zwei Begleitmusikern wurde einmal mehr klar, was an seinem Elektro-Pop so bemerkenswert ist: diese geradezu unverschämt goldrichtige Balance zwischen dem Antriggern eines breiten Publikumsgeschmacks (die knackigen Basslines, die eingängigen, melancholischen Melodien) und den Auskenner-Elementen (die vertrackten House-Beats, die Disco- und Yacht-Rock-Einflüsse). Genau in die Mitte zwischen hip und handfest lässt Roosevelt seine Songs fallen. Die Leute tanzten auch in einer noch halbleeren Halle dazu.

Roosevelt
Roosevelt
  1. Und nebenan dröhnen die Gitarren

Überhaupt die Hallen und Club-Floors: Man hatte das Gefühl, auf diesem Festival habe man sich bei der Größe (der Bands und der Räume) mehr als einmal etwas verschätzt. Während Roosevelt eine kleinere Bühne sicher gut getan hätte, platzten die Locations bei anderen Künstlern aus allen Nähten. Sowieso lernte man auch gleich noch: dass ein cooler, wunderbar berlintypisch angeranzter Club wie das zum „Pop-Kultur“-Zentrum auserkorene SchwuZ nicht unbedingt eine gute Festival-Location sein muss. Gerade hier ärgerte man sich immer wieder über Sound-technische Debakel, was wohl vor allem daran lag, dass die drei Floors viel zu nah aneinander lagen. Da wurde etwa am Mittwochabend die Intimität eines Laptop-Konzerts der afrofuturistischen R’n’B-Künstlerin SassyBlack aus Seattle komplett zerlegt. Nebenan im größeren Saal spielte nämlich zur gleichen Zeit ein lautstarker Ezra Furman seinen bunt schillernden Psych-Rock. Und der gab sich natürlich alle Mühe mit ordentlich Feedback-Dröhnen seinem Songtext alle Ehre zu machen: „Teddy, I’m ready to rock’n’roll!”. Das wiederum passt nun mal nicht zu den eher kleinen, feinen Lo-Fi-Gesten von SassyBlack, die ihr Set trotzdem durchzog, als wäre nichts gewesen.

Ezra Furman
Ezra Furman
  1. Wir müssen reden!

Bei all der Musik tat es dann aber auch zwischendurch ganz gut, dass der Konzertteil des Festivals von einigen Talks und Interview-Veranstaltungen umrahmt wurde, in denen man sich zwischen den ganzen Gedanken zur Musik dann auch mal wieder sammeln konnte. Über Medienwirtschaft wurde da gesprochen, über die Freuden und Tücken des Songwritings und über die Popgeschichte. Hendrik Otremba, Sänger der Postpunk-Gruppe Messer, las aus seinem Detektivroman, Richard Hell erzählte vom New York der frühen Siebziger. Und im Prachtwerk, einem kleiner Neuköllner Konzert-Café sprach der britische Musikjournalist Jon Savage über das thematische Terrain seines neuen Buches: 1966 als entscheidendes Anstoßjahr in der Popkultur – über die Rolle des Soul, über Reagan und „Good Vibrations“. Natürlich hatte er ganz Recht, wenn er konstatierte, dass die Leute sich damals, in diesem wichtigen Jahr für die Popmusik, sicher gewesen wären, dass das mit dem Pop nur wieder ein vorrübergehender Trend sein werde und in ein paar Jahren vermutlich aus der Mode. „And here we are, 50 years later, still talking about it.“

Es ist aber auch ein besonderer Spaß: Besonders wenn man wie beim Gespräch zwischen Colin Newman, Sänger und Gitarrist der 70er-Postpunk-Band Wire, und Ronald Lippok, einst Teil der Ostberliner Musikavantgarde, später Mitglied von to rococo rot und Tarwater so vielen schönen Krautrock-Anekdoten lauschen konnte, in denen die besondere Beziehung zwischen britischer und deutscher Popmusik in all ihren wunderbaren und seltsamen Formen auslebte. Zum Beispiel erzählte Lippok von seinen ersten Kraftwerk-Konzert 1981 in Budapest (Kraftwerk im Ostblock? Hatte man auch noch nicht gehört!) und davon wie ihm, dem Ostberliner Jungen, mitten im Kalten Krieg die Spucke wegblieb, als da plötzlich zu den Computerstimmen keine Körper auf der Bühne waren (der alte Kraftwerk-Trick). Wie befreiend diese Nichtachtung bekannter Pop-Gesetze gewesen sein muss, kann man heute nur noch erahnen.

Abra
Abra
Selda Bağcan
Selda Bağcan

 

  1. Girl Power, wohin das Ohr sich wendet

Gut, dass es sie dann doch noch gab auf dem „Pop-Kultur“-Festival: Diese ein, zwei richtig großen Pop-Momente, in denen man sich getrost mal wieder der Gegenwart zuwenden kann. Auffallend war auch hier – wie gerade fast überall im aktuellen Popjahr: Die richtig aufregende Musik kommt gerade fast durchweg von Frauen. Von der wunderbar lauten und rotzigen „badass girl gang“ Skinny Girl Diet aus Nordlondon etwa: geliebt von Viv Albertine und Iggy Pop und gerade immer wieder Thema, wenn man in England über das Comeback feministischer, an die Riot-Grrrl-Bewegung angelegte Rockmusik spricht. Oder einmal mehr: Fatima al Qadiri aus Kuwait mit ihrem effektvoll zusammengemischten Post-Globalisierungs-Partikeln aus Schredder-Elektro, R’n’B und arabischer Musik. Die türkische Psych-Rock-Legende Selda Bağcan, die wegen ihrer politischen Überzeugungen in ihrer Heimat jahrelang nicht auftreten durfte, sang vor frenetisch mitgrölendem Publikum. Für den Höhepunkt sorgte dann aber am Freitagabend die junge R’n’B-Sängerin Abra aus Atlanta. Ganz bezaubert und schwitzend beglückt drängten sich bei ihrem Auftritt viel zu viele Leute in dem kleinen, heißen Floor im SchwuZ, um diese tolle Frau – superlässig und superbetörend – und ihre tollen Songs zu bestaunen. Zu 80er-Wave-Beats sang sie ihre heißkalt hingehauchten Balladen – und die viel zu vielen Leute hingen an ihren Lippen. Die Zukunft des R’n’B, sie gehört vermutlich ihr.

Fatima Al Quadiri
Fatima Al Quadiri
Roland Owsnitzki, Pop-Kultur-Festival
Roland Owsnitzki, Pop-Kultur-Festival
Janto Djassi, Pop-Kultur-Festival
Roland Owsnitzki, Pop-Kultur-Festival
Roland Owsnitzki, Pop-Kultur-Festival
Janto Djassi, Pop-Kultur-Festival
Roland Owsnitzki, Pop-Kultur-Festival