Good bye Software


Timbuk 3 war ein Ehepaar plus Computer. Jetzt haben sie die Software gelöscht und zwei Freunde gewonnen.

Chicoree-Blättchen vom makrobiotischen Büffet knirschen unter den müden Zähnen des Ehepaars Mac-Donald. Ausgelaugt und graugesichtig hocken Pat und Barbara auf der Couch in der Garderobe der Kölner Live Music Hall, mummeln Joghurt und biologisches Brot aus garantiert repressionsfrei und basisdemokratisch aufgezogenem Roggen und murmeln mit halbvollern Mund (oder ist’s der texanische Slang?) Antworten aufs Band. „Dabei wollten wir ursprünglich jetzt noch gar nicht nach Europa“, seufzt Barbara, „die Plattenfirma hat uns überredet.“ Schließlich hat sie mit BIG SHOT IN THE DARK gerade ein wirklich erstaunliches Album fertiggemacht, das bei aller musikalischen Qualität dennoch promotet werden will.

Barbara und Pat sind ein seltsames Paar Barbara, das lange blonde Elend, mit Augenlidern auf Halbmast und einem schlaksigen, trägen Charme und dagegen Pat mit seinem Jürgen Prochnow-Gesicht (wahrscheinlich eine harte Pubertät gehabt), zerfurcht und zergrübelt. Als das Ehepaar 1986 von Austin, Texas, aus mit dem Genie-Streich „The Future’s So Bright, I Gotta Wear Shades“ und der dazugehörigen LP GREETINGS FROM TIMBUK 3 den Siegeszug durch die US-Radios antrat, war das Hauptgesprächsthema der Journalisten das dritte Bandmitglied — der programmierbare Musikcomputer, zärtlich „Boombox“ genannt, die Drummer und Bassist ersetzte. Die Box-Jahre sind inzwischen fast vergessen, die Mac-Donalds haben mit Bassist Courtney Audain und Drummer Wally Ingram rhythmische und menschliche Kreativität angeheuert. Dennoch wird das Paar noch immer vor allem auf das Line-Up ihrer Band und nicht auf die neuen Songs angesprochen. Pat bleibt dabei ganz ruhig: „Nein, das kann ich verstehen. Die Boombox brachte uns ein Gutleil unserer Popularität, weil esfiir unsere Art von Musik ungewöhnlich war, sich von einem Computer begleiten zu lassen. Warum sollen wir uns dann beschweren, wenn alle darüberreden, daß wir ihn wieder abgeschafft haben? Schließlich hat uns die Veränderung des Line Ups aus der kreativen Sackgasse herausgeholt. „

Nicht nur aus einer kreativen Sackgasse, auch aus einer starken Popularitätsflaute. Pat: „Seien wir mal ehrlich: die meisten hatten Timbuk 3 doch bereits abgehakt. Eingeordnet in die ,Ganz nett‘-Fraktion, abgelegt unter dem Etikett ,Ewiger Geheimtip‘ — einem Status, wo man nichts Großes mehr erwartet, egal, ob man sich die neue Platte der Band kauft oder nicht.“ Egal ist das nun nicht mehr, denn die ambitionierte, zum Quartett gewachsene Band lieferte mit BIG SHOT IN THE DARK eine stilistische Überraschung mit Knalleffekt ab. Der ohnehin originelle Acid-Folk mit dem suggestiven Lead-Gesang von Pat und Barbara wird jetzt angereichert durch verblüffende Funkausflüge (,.Two Medicines“), unvermutete Ethno-Streicher („49 Plymouth“), knarzender Rock ’n‘ RoU („The Little Things“) bis hin zu treibendem Rhythm ’n‘ Blues („Disneyland Was Made For You And Me“). Nicht zu überhören: Timbuk 3 haben ihre Software-Krise überwunden. „Es war verdammt schwer“, stöhnt Pat, „nach unserer dritten Platte EDGE OF ALLEGIANCE fühlten wir, daß unsere musikalischen Ausdrucksmöglichkeüen ausgereizt waren. Komisch, aber mit der musikalischen und technischen Perspektive schwanden plötzlich auch die Songthemen. Ich merkte, daß ich nichts Neues mehr zu sagen hatte. Der Entschluß, sich von der Boombox zu trennen und mit richtiger Rhythmus-Crew zu arbeiten, hat uns davon befreit. Mit der neuen Art, zusammen zu musizieren, kamen mit einem Mal auch die Songideen wieder zurück. „

Computer sind auch nur Menschen, aber viel zu perfekte. Musik lebt von Fehlern: „Die Unberechenbarkeit des Menschen kann dir keine Maschine geben. Courtney und Wally haben eigene Ideen und eigene Köpfe. Der Computer gehorcht zwar besser, doch Unberechenbarkeil bringt Spannung — und Spannung ist Kreativität. Gehorsam und Präzision langweilen mich inzwischen zu Tode.“

Für die neugewonnene musikalische Potenz spricht auch der selbstbewußte Auftritt in der Live Music Hall am späteren Abend. Trotz widriger Umstände (im Saal verlieren sich gerade 100— 150 Leute) zeigen Timbuk 3, daß sie versierte Improvisationskünstler sind. Gerade die neuen Songs kommen jetzt mit Druck und Drive, darunter auch das hypnotische „Wake Up Little Darlin“, über das Pat noch kurz vorher meinte:

„Ein Song über Alpträume und die Grausamkeit mancher Kinderphantasien. “ Da spricht der Fachmann – Pat und Barbara haben einen vierjährigen Sohn. Doch der ist nicht gemeint: „Nein“, lacht Pat, „obwohl es mich nicht wundem würde, wenn er Alpträume hätte. Bei seinem Einschlafritual: jeden Abend ein Toast mit Erdnußbutter und eine Kassette mit Tom Waits-Musik.“

Ein Prachtbursche, der kleine, seltsame Kauz -— ganz der Vater.