Haim


Drei Schwestern und ihre moderne Interpretation von Westcoast-Rock

Oft sind es die Umstände, die von kommender Bedeutung künden. Als Lana Del Rey Ende 2011 erste Interviews in Deutschland gab, zeigte ein absurd hochgerüsteter Personalapparat von Plattenfirma und Management, der sich in und um die Interviewsuite im Berliner Soho House drückte, dass da etwas passieren würde. Beim ersten Besuch der ebenfalls kräftig gehypten kalifornischen Vocal-Fräuleinwunder Haim war das Rauschen anders. Die Spannung war da, der Zeitplan schon vor dem ersten Gespräch überschritten. Aber der Pressetag roch nicht nach Glamour, sondern nach altem Bier und kaltem Rauch: Er stieg im „Muschi Obermaier“, einer keinesfalls unter Poshism-Verdacht stehenden Kneipe in Berlin-Mitte.

Das sagt einiges aus über die drei Schwestern Este, Danielle und Alana Haim, so wie auch ihr Klamottengeschmack (informeller Hippie-Chic) und die Haare (unverschämt lang, wie seinerzeit bei Pattie Santos von It’s A Beautiful Day) etwas aussagen: Diese Band begreift die Vergangenheit als optische Idee, aber auch als Leitfaden. Haim sind Musikerinnen, ganz klassisch. Mit ihren Eltern betrieben sie in Kindertagen eine Charity-Band, die in und um Los Angeles herum Soul- und Rock-Klassiker zum Besten gab. Im Wohnzimmer der Haims sah es aus wie im Musikalienhandel – Gitarren, Keyboards, drei (!) Drumsets. Vor fünf Jahren fingen sie an, ihren Dreigesang in kleinen Cafés zu präsentieren und sich so eine Anhängerschaft aufzubauen. Ohne YouTube, ohne Facebook, ohne Fernsehen. Bei einem US-Vorgängerformat von „Das Supertalent“ machte schließlich in den 80er-Jahren schon die Mutter mit. „Sie gewann“, sagt Este, als wär’s eine Fußnote.

Die musikalische Sozialisation der drei Anfangzwanzigerinnen fand indes in einer Zeit statt, in der man auf den Pausenhöfen von L.A. nicht die oft als Vergleich herangezogenen Fleetwood Mac hörte, sondern Brandy und TLC. „TLC prägten uns total“, sagt Este. Die Haim-Story beginnt also als Widerspruch, der bei Konzerten funktionierte, sich aber nicht auf Platte pressen ließ. „Wir haben drei EPs aufgenommen, aber die gefielen uns nicht. Die werden nie veröffentlicht. Die Leute hinterm Mischpult erkannten nicht, wo wir hinwollten“, erzählt Danielle, die von der ganzen Sache mehr versteht, als man denkt: Sie entschied sich nach der Schule für den Job der Session-Musikerin, tourte mit Jenny Lewis und Julian Casablancas. 2011 rief dann einer an, der diesen Unmut überwand. Ludwig Göransson schrieb den Soundtrack zur Serie „Community“ und Beats für Childish Gambino. Er lud Haim in sein Studio ein, machte aus dem etwas älteren Song „Forever“ den Hit „Forever“, dieses rollende, Richtung Urban schielende Stück Post-Westcoast. Auch die zweite Single „Don’t Save Me“ produzierte er. Beim Album, das im Frühjahr erscheinen soll, half James Ford von Simian Mobile Disco, zwischen den Aufnahmen tourten Haim mit Mumford & Sons und Florence And The Machine, bei einem Konzert sprang Ryan Adams als Überraschungsgast auf die Bühne. Namedropping? Vielleicht. Aber manchmal erzählt auch der Umgang von kommender Bedeutung.