Heather Nova


Der schöne Schein rührt in die Irre. Allein durch ihr Äußeres hätte Heather Nova im Musikhusiness heste Möglichkeiten. Doch der 27jährigen mit dem Lolita-Charme geht's ausschließlich um ihre Songs

Heather Nova ist sexy. Sehr sexy. Ein Statement, das vielleicht nicht politisch korrekt ist, dafür aber stimmt. Die Supernova ist sogar so sexy, daß ihr der Zeitgeist-Katalog Max unlängst eine sechsseitige Fotostrecke widmete, in der gerade mal in einem Nebensatz auf ihr neues Album eingegangen wird. Das Szenemagazin Visions schwärmte sogar von „der jüngeren Schwester von Cindy Crawford“. Erstaunlich genug, wenn man bedenkt, daß Heather Nova vorrangig Musik macht und nicht über Laufstege tänzelt. Die 27jährige nimmt’s gelassen: „Für die meisten spielt mein Äußeres nun mal die übergeordnete Rolle. Aber ich glaube nicht, daß ich viele Platten verkaufen würde, wenn ich nur gut aussehen würde und meine Musik Müll wäre. Andererseits habe ich mich bis zu einem gewissen Grad damit abgefunden, daß man im Popbusiness bestimmte Spielregeln befolgen muß, wenn man die Menschen erreichen möchte.“

Wobei es für Heather Nova allerdings natürliche Grenzen gibt: „Ich würde nicht so weit gehen, daß ich mich für eine Shampoo-Werbung hergeben würde“, erklärt die Schöne mit dem jugendlichen Charme. Wenn die Kosmopolitin mit dem amerikanischen Paß von sich und der Welt erzählt, vermeidet sie jeden Blickkontakt mit ihrem Gegenüber. Statt dessen zeichnet sie mit dem Finger akkurat die Linien der Tischdecke nach oder errichtet aus Plastikbechern mit Kaffesahne und Zuckerwürfeln kleine Wolkenkratzer. Keine Frage: Die introvertierte Sängerin zählt nicht zu jener Riege rüder Rockfrauen, die mit derben Sprüchen ein ach so starkes feminines Selbstbewußtsein an den Tag legen müssen und dabei in einer männlich dominierten Szene doch nur plumpe Machoposen imitieren. Vielmehr begegnet Heather Nova der ermüdenden Diskussion um die Rolle der Frau im Musikbusiness mit erfrischend natürlichen und doch entwaffnenden Worten: „Du mußt einfach nur sicher gehen, daß sich in deinem Team kein chauvinistisches Arschloch befindet.“ Jäh stürzt das Miniaturgebäude aus Kaffeesahne und Würfelzucker in sich zusammen. „Klar triffst du bei Plattenfirmen und in den Medien immer wieder auf irgendwelche Idioten, die dich einfach in die Schublade ‚female singer/songwriter‘ stecken, ohne auch nur ein Lied gehört zu haben. Dazu kommen dann diese bescheuerten Vergleiche mit anderen Künstlerinnen.“ Wohl wahr: Die Liste

der Leute, mit denen die sanfte und doch überraschend energi-I sehe Nova gern verglichen I wird, liest sich wie das ‚Who is iWho‘ der weiblichen Rockkul-Itur. Das Spektrum reicht von ‚ Patti Smith und Liz Phair über Sinead O’Connor bis hin zu der isländischen Exotin Björk. „Es ist immer das gleiche“, schimpft Heather mit leiser I aber fester Stimme, „Tori Arnos ist die durchgeknallte Spinnerin, PJ Harvey die wilde Hexe, und ich bin das langhaarige Blumenkind.“ Ein Stempel, der Heather Nova gern und oft aufj gedrückt wird. Was Wunder. Hat doch Fräulein Frith, wie sie mit bürgerlichem Namen heißt, eine ausgeprägte Vorliebe für nabelfreie T-Shirts, Samtjäckchen und überdimensionale, orange getönte Sonnenbrillen. Auch die Tatsache, daß Heather Nova die Tochter eines [alten Hippie-Ehepaares ist, [trägt nicht eben viel dazu bei, (vorschnellen Kategorisierun gen den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Geboren in den USA, ver-I bringt die junge Heather ihre ‚ Kindheit auf den Bermudas, einer Inselgruppe im Atlanti-I sehen Ozean. Sobald Heather Nova auf dieses Paradies zu sprechen kommt, gerät sie un weigerlich ins Schwärmen. „Es [ist dort noch schöner als auf all den Bildern, die man oft in Reisebüros sieht. Das Faszinierendste aber ist der Himmel. Er scheint einfach kein Ende zu nehmen.“ Als Heather acht Jahre alt ist, beschließt ihr Va-Iter, dem Bürodasein als Architekt den Rücken zu kehren, um fortan mit seiner Familie – Heather hat eine Schwester und einen Bruder – auf einem Boot zu leben. „Als mein Vater beschloß, das Schiff zu bauen, erklärten ihn auf der Insel alle für völlig verrückt“, erinnert Heather sich heute. Dennoch: Die Eltern nehmen ihre Kinder von der Schule und unterrichteten sie nun in eigener Regie. Eine Erziehung, die — wie Miss Nova erzählt — völlig unterschiedliche Resultate zeitigte: „Ich kann bis heute nicht vernünftig rechnen. Aber ich habe viel gelernt, was normale Schüler nie mit auf den Weg bekommen. Wenn du tagein tagaus nur auf diesem Boot hockst, entwickelst du eine enorme Fantasie. Das Wichtigste aber, was mir meine Eltern damals beigebracht haben, ist der Mut zum Risiko. Man hat nur ein Leben. Deswegen sollte man nach seinen eigenen Vorstellungen leben, nicht nach denen anderer.“

Mit 16 geht Heather von Bord, um in Amerika Filmwissenschaften zu studieren. „Plötzlich unter so vielen Mensehen zu sein, war ziemlich verwirrend für mich“, erinnert sie sich. „Da ich immer nur mit meiner Familie unterwegs gewesen war, hatte ich nicht gelernt, mit einer größeren Zahl von Menschen umzugehen.“ An der Uni verirrt sie sich einmal in einen Lyrik-Kurs und entdeckt ‚ so ihre Faszination für das geschriebene Wort. Zu dieser Zeit unternimmt sie erste Gehversuche in Sachen Songwriting. Als Musiker, die sie maßgeblich beeinflußt haben, nennt sie bis heute Van Morrison, Kate Bush, Patti Smith und die Cocteau Twins. Heathers Entschluß, das Geld auf der Bühne zu verdienen, kam jedoch aus heiterem Himmel: „Es kam plötzlich über mich. Ich wußte mit einem Mal, daß Musik mein Leben ist.“ Das jedoch muß sie zunächst ihrer Umwelt klar machen.

„Ich nahm eine Kassette auf und spielte sie meinem Dad vor. Er war begeistert. Naiv wie ich damals war, marschierte ich daraufhin zur New Yorker Zentrale von Columbia Records und gab das Demo am Empfang ab. Ehrlich, ich dachte allen Ernstes, die würden mich nun eine Platte machen lassen. So ist es eben, wenn du von den Bermudas nach New York kommst.“ Nachdem der Big Apple sich für die blonde Sängerin dann doch als zu große Nummer herausgestellt hatte, zieht Heather zu einer Freundin nach London, wo sie auch heute noch lebt. Aus gutem Grund, denn: „Gemessen an Europa hat Amerika nur eine sehr junge Geschichte. In einigen Städten ist das Einkaufszentrum das geschichtsträchtigste Gebäude am Ort. Außerdem laufen in den USA die Dinge derzeit völlig aus dem Ruder, jeder hat eine Knarre, und die Leute werfen sämtliche sozialen Wertvorstellungen über Bord. Außerdem“, fügt Heather an, „fühle ich mich schon allein deshalb in England wohl, weil es eine Insel ist — und das nicht nur wegen der Nähe zum Meer.“

Die Insel, sowohl als konkreter Ort wie auch als Metapher, taucht bei Heather Nova immer wieder auf: „In dieser Hinsicht hat mich meine Kindheit auf den Bermudas vermutlich

stark geprägt.“ Auch in ihren Songs finden sich zahlreiche Hinweise auf Heathers Herkunft. So trägt einer der Songs von ‚Oyster‘, dem aktuellen Album von Frau Nova, den bezeichnenden Titel ‚Island‘. Auf dessen Inhalt möchte die schüchterne Schöne allerdings nicht eingehen: „Einen Song zu erklären, bedeutet für mich, ihn letztendlich zu zerstören.“ Kein Wunder also, daß Heather Nova sich ganz generell bedeckt hält, wenn es um den Gehalt ihrer Lieder geht: „Ich finde es völlig überflüssig, über meine Musik zu reden. Die Songs sollten für sich selbst sprechen. Wenn ich singe, und die Leute verstehen mich, dann ist das Kommunikation auf anderer Ebene. Einfach nur zu reden ist nicht halb so interessant.“ I Wo andere versuchen, sich wortreich in Szene zu setzen, glänzt Heather Nova durch britische Bescheidenheit. So ist es denn auch England, wo sie sich erstmals einem größeren Publikum präsentiert. Sie spielt im Vorprogramm von Bob Mould und den Violent Femmes und tingelt durch die Londoner Clubs. Wählerisch darf sie dabei nicht sein. Und so kommt es, daß sie vereinzelt sogar in SadoMaso-Bars die musikalische Unterhaltung bestreitet. Dieser Zustand ändert sich, als sie auf einen Herren namens Youth trifft, der sich in der Vergangenheit als Produzent und Bassist der Kultband Killingjoke hervorgetan hat. Youth stellt den Kontakt zum hippen ‚Big Cat‘-Labei her, das auch Cop Shoot Cop, Pavement und die deutschen Untergrundler von Blumfeld unter Vertrag hat. 1992 kommt ihr Debütalbum ‚Glow Stars‘ auf den Markt. 1993 wird der Live-Mitschnitt ‚Blow‘ veröffentlicht. Ende vergangenen Jahres schließlich erscheint ‚Oyster‘ und erntet durchweg euphorische Kritiken. So ortet beispielsweise der englische Melody Maker bei Heather einen „Talentvorrat von der Größe des europäischen Butterbergs“. Doch auch abseits der Insel geht Miss Nova langsam aber sicher in den Steigflug über. Die Deutschland-Tour im letzten Dezember ist fast ausnahmslos ausverkauft, und die Single ‚Walk This World‘ besitzt die besten Aussichten, zu einem der ganz großen Erfolge des Jahres 1995 zu werden. Der große Durchbruch, so scheint’s, ist damit für Heather Nova in greifbare Nähe gerückt. Doch der Erfolg hat seinen Preis. Seit Februar absolviert die zierliche Sängerin erneut eine kräftezehrende Europa-Tournee.

Ende März/Anfang April kommt sie nochmals für zehn Konzerte nach Deutschland. Einmal unterwegs, erweist sich Heather Nova als streßresistenter als viele ihrer Kolleginnen: „Zusammen mit meiner Crew im Bus auf Reisen zu sein ist für mich das gleiche wie damals mit meiner Familie auf dem Boot. Insofern haben mich meine Eltern gut auf ein Leben on the road vorbereitet.“ Dabei gefällt Frau Nova an diesem Dasein längst nicht alles: „Dauernd im Bus zu sitzen und darauf zu warten, endlich auf die Bühne zu dürfen — das kann dir ganz schön auf die Nerven gehen. Inzwischen vermisse ich sogar schon banale Sachen wie Bügeln oder Kochen.“ Trotzdem: Ein Leben ohne Konzerte kann Heather sich schon heute nicht mehr vorstellen: „Singen, las ist für mich wie eine Erlösung. Normalerweise ist es doch so, daß man gewisse Umgangsformen pflegt, wenn man mit Menschen zu tun hat. Das führt dazu, daß du in gewisser Weise nicht mehr ehrlich bist. Denn es gibt eine ganze Reihe von Gefühlen, für die es keine passenden Worte gibt. Und genau diese Gefühle versuche ich, mit meiner Musik auszudrücken.“ Wer an der Aufrichtigkeit dieser Worte zweifelt, sollte sich baldigst um eine Karte für eines der Deutschland-Konzerte von Heather Nova bemühen. Denn sehr bald schon dürften die Tickets zu einer ausgesprochen raren Ware werden.