Helge Schneider über Freiheit


Der Jazzer, Musikclown und Fastallesprobierer hat einen guten Tag. Er mag das Interview-Thema, denn nichts ist ihm so wichtig wie die Freiheit. Auch sein Publikum soll sie spüren.

„Willste auch?“ Helge Schneider mampft und knackt noch ein paar Walnüsse. Mit den festen, fast schwieligen Händen, die beim Handschlag zur Begrüßung nicht den Pianomann verraten, sondern den Handwerker. Sein Studio wird momentan umgebaut. Vielleicht liegt’s ja daran. Deshalb wurde der anberaumte Studiobesuch auch kurzfristig zum anonymen Hotelzimmer-Interview umgebucht. Schade. Aber wirklich schlimm? Nein, gar nicht, weil: Der rustikale, radikal-bürgerliche Gastraum des Hotels Handelshof ist zumindest Helge Schneider ganz und gar nicht anonym. Hier feierten seine Crews die Fertigstellung seiner Filme, hier werden Journalisten getroffen. Und hier wird der berühmteste Mühlheimer Sohn der vergangenen Dekade von der Chefin mit dem grauweißen Dutt gleich in der Lobby begrüßt, freundlich, aufmerksam, aber kein zu großes Hallo weniger wie ein Fernseh-, Kino- und Bühnenstar, eher wie ein Handlungsreisender, der seit Jahren im gleichen Haus absteigt.

Mütze, Schal und Mantel behält Helge Schneider an. Die Füße in den strapazierfähigen Laufschuhen legt er auf einen sicherlich erst kürzlich wieder penibel entstaubten Stuhl. Aber nein, das würde ein Handlungsreisender niemals tun, die Chefin würde es wohl auch nicht dulden. Über Herrn Schneiders Schuhe schaut sie jedoch hinweg und bietet stattdessen noch Mineralwasser an. Die Nüsse und zwei in Zellophan eingewickelte Orangen hat er selbst mitgebracht. Helge Schneider redet, trinkt und kaut. Er tut diese drei Dinge so konzentriert wie beiläufig.

Ich möchte gerne mit dir über Freiheit reden. Deshalb solltest du aber eigentlich auch die Freiheit der Entscheidung haben, ob du nicht vielleicht über etwas ganz anderes sprechen möchtest…

HELGE SCHNEIDER: Stimmt. Da hast du recht. Vielleicht sollten wir auch gar nicht reden. Ich bin auch müde. Außerdem ist mein kleines Kind krank, und die Mutter ist jetzt alleine mit ihm zum Arzt… Wäre ich lieber mitgegangen. Diese Freiheit hätte ich schon gehabt.

Du hast die Schule abgebrochen, das Studium aufgegeben, dich mit Aushilfsjobs über Wassergehalten. Fehlte es dir an Freiheit in diesen Institutionen?

Ja, mit Sicherheit. Ich hatte immer den besonderen Drang, hinauszugehen und herumzulaufen.

Also einen Drang nach Freiheit im eigentlichen, geographischen Sinn ?

Ja, es ging einfach darum, nicht in einem geschlossenen Raum zu sitzen. Um einen unheimlichen Expansionswillen. Ich musste überall hin. Im Rahmen des im Fußgängerischen Erreichbaren.

Lässt sich dein damaliges Ziel – weniger das geographische als dein Lebensziel – so einfach beschreiben: „Machen, was mir Spaß macht“?

Das war nicht mein Ziel. Das war meine Situation. Dabei ging es aber weniger um „Machen, was mir Spaß macht“, sondern um „Das machen, wovon ich meine, was für mich und auch andere Menschen wichtig ist“. Freiheit bedeutet ja nicht, dass man nur Spaß haben will. Freiheit heißt frei denken. Freiheit hat auch etwas mit Vertrauen zu tun: Vertrauen in die Welt und sich selbst, damit man diese Freiheit überhaupt erst nutzen kann. Freiheit bedeutet zum Beispiel nicht, nicht zu arbeiten und den ganzen Tag im Bett zu liegen.

Für dich war von vornherein klar, dass du zwar arbeiten möchtest, ober zu deinen Bedingungen …

Nein, unter gar keinen Bedingungen. Einfach drauflos, damals. Ich wollte etwas anbieten, was ich konnte, wovon andere vielleicht profitieren. Ich wollte nie ein Schmarotzer sein, der sich seine Freiheit einfach nimmt und andere darunter leiden lässt. Meine Freiheit war und ist vor allem im Kopf zu Hause. Ich wollte einfach frei denken … dürfen. Das will ich auch immer noch.

Das geht aber nicht immer so einfach, wohl auch nicht in deiner Position…

Wenn ich das Gefühl habe, dass mich jemand in meinem freien Denken einschränken will, auf eine dumme Art -, dann merke ich immer, dass es schwierig ist, Freiheit wirklich zu leben, unter den Menschen, mit denen man so zusammenkommt. Ich muss immer wieder feststellen, dass es sehr viele Leute gibt, die ihre eigene Freiheit nicht erkennen und auch nicht nutzen wollen – indem sie sich Gesetze machen, die völlig unnötig sind. Das ist völliger Quatsch. Aber das Wort Freiheit beinhaltet natürlich gewissermaßen auch das Wort Gefangenschaft-innere Gefangenschaft. Wenn es solche Grenzen nicht gäbe, die von Geburt an bestehen, hätte der Mensch auch nicht das Bedürfnis, frei sein zu wollen. Dass der Mensch frei geboren ist, wie viele Philosophen behauptet haben, stimmt gar nicht. Er ist überhaupt nicht in Freiheit geboren. Dadurch entwickelt sich dieser Freiheitsdrang erst. An meiner Generation wird das auch deutlicher. Ich bin Jahrgang 55. Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, gibt es Gerüche, die ich als Zwang empfinde. Zum Beispiel Pomade.

Und wie riecht die Freiheit?

Nach Stuyvesant?! (lacht) Nee, das war ja Marlboro. Nee, das kann ich schlecht sagen: so Wiesen, Weizenfelder, typisch halt, Meer, der salzige Geruch. Naturgerüche, Sachen, die nicht beeinflusst sind. In meiner Kindheit hingegen gab es eine unglaubliche Beeinflussung allein und gerade durch Gerüche. Wenn man zu Tante Helmi fuhr, war von vornherein klar: Das riecht total nach 4711. Und man wollte nicht gerne hin. Obwohl: Sie hatte ’ne Wanduhr, da konnte man reingucken, und da stand immer Eierlikör drin. War interessant, aber der Geruch war furchtbar. Und bei meiner Oma (Helge Schneider sagt allerdings „Omma“ -Anm. d. Red.) wusste ich: Dort riecht es nach Markknochensuppe. Man hatte nicht so viel Geld, und so wurde dort jeden Tag Suppe gekocht. Aber wenn ich überlege, würde ich heute lieber bei meiner Oma reingucken als bei Tante Helmi mit dem 4711. Dieses Künstliche habe ich nie gemocht.

In deiner Musik wie auch in deinen Filmen spielt Improvisation eine wesentliche Rolle. Auch die lebt von und steht für Freiheit. Abersteht die auch den Musikern zu, die mit dir zusammen spielen, oder den Schauspielern, die auf deine Anweisung hin agieren müssen?

Dazu muss ich erst mal sagen: Die Musik, die ich mache, hat nur bedingt etwas mit Freiheit zu tun. Es handelt sich nur um die Freiheit, diese Musik zu machen. Der Jazz, den ich so gerne mache, hat ja seine Muster und Schemata, und darauf improvisiert man – und zwar so frei, wie man das möchte. Aber es ist kein Freejazz. Ich glaube auch nicht, dass ich im Jazz Freiheit verkörpere. Ich stehe dafür, als Mensch das zu machen, woran ich Spaß habe, und dazu zu stehen. Und deshalb ist es letztlich auch schwierig zu sagen, wenn der Schneider eine Band hat, haben die anderen ihre Freiheit oder eben keine Freiheiten – denn ich habe sie ja auch nicht. Es ist schon grundsätzlich eine Einschränkung, diese Art von Musik zu machen.

Doch darin, wie du sie machst, wie du sie betextest und aufführst, gilt diese Einschränkung nicht…

Genau, wie ich sie für die Leute darstelle, das ist meine Art von freier Verfügung über die Musik. Ich liebe es, mit Leuten zusammenzuspielen, die ähnlich denken. Doch da gibt s oft Missverständnisse. Zum Beispiel mit Buddy Casino (Schneiders langjähriger Band-Organist bei Hardcore – Anm. d. Red.), mit dem ich ja jahrelang zusammengespielt hatte: Er fühlte sich überhaupt nicht frei. Weil er immer das Gefühl hatte, dass ich das besser kann. Eigentlich wollte ich immer, dass die Leute, mit denen ich zusammenspiele, aus sich raus gehen, dieses Gefühl empfinden, mit der Materie freier umzugehen. Diese Freiheit meint nicht, dass man alles kaputt macht, sondern dass man sich in dem festen Schema etwas Eigenes macht. Doch wenn man meint, in dieser Situation nur immer dem anderen das Wasser zu reichen, kommt man aus dieser Kaffeemühle nicht raus.

Das ist umso ungewöhnlicher, wenn man bedenkt, dass der Jobs des Wasserträgers bei Helge Schneider & Hardcore als Running Gag immer wieder thematisiert wurde da bekam allerdings vor allem Schlagzeuger Peter Thoms die Seitenhiebe ab…

Dabei hat gerade Peter Thoms die Musik sehr stark beeinflusst. Buddy Casino eigentlich auch. Aber da gab’s schon Differenzen – im Laufe der Jahre immer mehr, bis ich dann irgendwann keine Lust mehr hatte. Und er auch nicht.

Aber auch in der großen Bandbesetzung bei der Tour im Jahr 1997 wurde immer wieder der Diktator Helge Schneider in Szene gesetzt …

Das war natürlich ein Spiel mit der Figur Bandleader.

Der du ja auch bist – und der bestimmt nicht immer nur herzlich bleibt…

Damals in der Zeit mit der Big Band stand ich schon sehr unter Stress. Das waren sehr verschiedene Leute. Da waren Leute dabei, die waren nicht so cool. Da waren Leute, die haben sogar Intrigen gegen mich gestartet: Dem wollen wir’s jetzt mal zeigen, das ist ein Arschloch! Bloß weil ich während den Proben herumgeschrien habe: „Busch, lauter!“ Und da kam dann als Antwort: „Ich hab ‚auch noch nen Vornamen.‘ Also wie im Kindergarten. Sachen, die gar nicht schlimm sind, die sich aber verselbständigt haben. Und deshalb war ich dann auch mit einem Kindergarten auf Tournee. Zu dem ich schließlich selbst gehörte – auch als Kind. Und als Kindergärtner. Die Leute sind eben auch verschieden; man lernt ja auch immer dazu. Und was diese persönliche Freiheit angeht: Es ist ja nicht so, dass man einfach, zack, frei ist – so: der „freie Vogel“ -, sondern es geht darum, dass man Grenzen wahrnimmt und überdenkt, ob es möglich ist, diese Grenze vielleicht aufzulösen, zu versetzen, oder ob es sogar besser ist, diese Grenzen näher an sich heranzuziehen – im Zusammenspiel mit anderen. Wenn man das nicht tut: Das ist Egoismus.

An welchem Instrument fühlst du dich selbst am wohlsten oder, um im Bild zu bleiben: frei?

Am Saxophon fühle ich mich, als könnte ich mich da hinein fallen lassen und schön Melodien spielen. Ich bin aber leider dann auf eine Band angewiesen – ohne fehlt mir auch der Antrieb. Aber da ich so ein Gegner des Probens bin – ich will einfach spielen -, fehlt auch das Material dafür. Da wünscht man sich dann Leute, mit denen man spontan spielen und es entwickeln könnte, ohne sich vorher abzusprechen. Dafür braucht es aber ein ganz feines Gehör und ganz viel Gespür. Viele Leute sind dafür viel zu sehr in ihrem Schema drin, das ihnen von außen aufoktroyiert wird. Da gelangt man dann wieder an Grenzen, die man einfach aufreißen möchte, indem man sagt: jetzt hör‘ mal auf mit den scheiß Noten! Hör‘ einfach mal zu, das könnte so und so sein! Ich spiel das doch gerade vor, es ist ganz einfach, mitzuspielen und dabei was Eigenes zu entwickeln! Wohlgemerkt: Die Musik, die ich mache, ist ja nicht „free“. Ich bin ein sehr melodiöser Mensch.

Wo endet deiner Meinung nach die Freiheit des Publikums – oder vielleicht auch: Wo beginnt sie?

Zu gehen, wann sie wollen.

Diese Freiheit nimmst du dir aber auch.

Ja, habe ich auch schon gemacht. Ist aber nicht so schlimm. Vor zehn Jahren war ich noch ganz böse, wenn beim dritten Stück drei Leute aus der ersten Reihe aufstehen und pinkeln gehen. Heute denke ich: Lass sie doch. Oder wenn sie sich Bier holen und die Birne vollkippen.

Gibt es viele Missverstdndnisse zwischen dir und deinem Publikum?

Da habe ich mal darüber nachgedacht, ob ich darüber nachdenken soll. Habe ich dann aber sein lassen.

Nun, ich wurde sagen: Du provozierst solche Missverständnisse ja auch immer wieder – indem du zum Beispiel mit Erwartungshaltungen ständig brichst.

Ich will nur zeigen, dass man nicht glücklich sein kann, wenn man immer Erwartungen hat. Weil: Wenn man ein Mensch ist, der ständig mit Erwartungen lebt, sind diese ja sehr diffizil. Doch was dann eintritt, sind diese Erwartungen minus fünf Prozent. Deshalb sind die Leute alle immer unglücklich. Um ein Beispiel zu nennen: Eine Frau wünscht sich sehnlichst, dass der Mann mal mit Rosen nach Hause kommt. Und dann macht der das mal, aber dann sind das drei weniger, als sie sich vorgestellt hat, oder es sind die falschen, oder sie stinken. Dann ist diese Erwartung erfüllt, aber wie geht’s danach weiter? Wenn der Mann dieser Frau, die sich auf Rosen eingeschossen hat, nun aber Kuchen mitbringt oder Gesellschaft, Freunde, oder er baut ihr ein Regal, dann steht sie vor dem Regal und weiß gar nicht, dass das eine schöne Sache ist – und dass man sich die Rosen dafür auch schenken kann. Wenn sie aber gar keine Erwartungen hat, kommt der Mann und bringt ihr ein Marzipanschwein mit, und dann freut die sich. Das ist eine ganz einfache Rechnung. Ich muss aber feststellen, dass die meisten Menschen Erwartungen haben. Mit anderen Worten: Einer, der Erwartungen stellt, ist von vornherein so unterbelichtet, dass er sowieso zu wenig erwartet.

Die Figuren in deinen… Kann man überhaupt „Sketche“ sagen?

Nee. Du meinst, wenn ich so Geschichten erzähle? Das sind so Ideen, die man von der Straße mitbekommen hat oder vom Arbeitsamt. Ich kenne das ja alles.

Diese Figuren haben auf jeden Fall sehr wenige Freiheiten. Es sind Menschen, die von Institutionen gebeutelt werden. Sie leben – ähnlich wie die Personen in deinen Filmen – in einer engen, muffigen, vielleicht ja nach 4711 stinkenden Umgebung …

Wenn ich diese Figuren hervorkrame, mache ich das, damit man darüber lacht. Dieses Lachen bringt Freiheit, weil: Man lacht da auch über sich selber. Wir alle sind ja so. Wir leben in dieser Welt, in der das so ist. Selbst wenn ich maßlos übertreibe, erkennt man sie wieder. Dadurch, dass ich das übertreibe und verfremde, muss man unwillkürlich darüber lachen. Und dann guckt man nach links und rechts und sieht: Die anderen lachen auch darüber. Wir lachen jetzt alle, mit 1000 Leuten, darüber, also ist das alles wohl doch gar nicht so ernst und nicht so wichtig.

Und du glaubst, das funktioniert? Obwohl in deiner Geschichte da dann der lustige Helge-Arbeitsamtbeamte sitzt und der Helge-Arbeitslose und der Helge-Arzt?

Ja. Das geht aber tiefer. Das geht so tief, das kann man nicht beschreiben. Dieses Lachen über etwas, über das man früher nicht gelacht hat, über eine „normale Situation“, bei der man früher gar nicht drauf gekommen wäre, darüber zu lachen: Das bewirkt etwas. Und zwar: Wenn man wieder in diese Situation gerät, dann empfindet man sie vielleicht für einen Moment als nicht mehr wichtig. Aber eigentlich darf man das alles hier gar nicht erklären. Es geht schon viel zu weit, weil jeder Mensch, der jetzt über mein Vorgehen Bescheid weiß, mit Erwartungen ins Konzert geht: nämlich mit der Erwartung, dass keine Erwartungen erfüllt werden. Verrückt, ne?

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