Hoelderlin


Anfangs galten sie als Studenten-Band für Oberschüler, und ein deutsches Musikheft verlieh ihnen bravorös den Titel „Deutschlands Topgruppe des Romantik-Rock“. Anfangs, das war im Frühjahr 1972, als eine Wuppertaler Band namens Hoelderlin mit der inzwischen vergriffenen LP „Hoelderlins Traum“ auf Anhieb viel Anerkennung bei Kritikern und Fans fand. Jetzt ist Hoelderlin wieder im Gespräch und und im Kommen nach einer längeren Zwangspause, für die ein unseliger Vertrag gesorgt hatte.

Als Hoelderlin sich im August 1971 zusammenfanden, bestand die Band aus den Brüdern Jochen (keyb) und Christian Grumbkow (g) sowie Christoph „Nops“ Noppeney (Bratsche), Michael Bruchmann (dr) und Kassim Käseberg (bg). Einen Teil des Gesangs übernahm damals die gebürtige Holländerin Nanny de Ruig, heute mit Christian Grumbkow verheiratet und Mutter zweier Kinder. Obwohl die musikalischen Interessen der Bandmitglieder eher im Bereich des Rhythm’n‘ Blues, bei Jethro Tull, Traffic und Hendrix lagen (was die Grumbkows vor Hoelderlin auch in ihrer Amateurband gespielt hatten), geriet das Quintett sehr bald auf völlig neuen Kurs: Pentangle.Incredible StringBand oder Fairport Convention weckten Interesse am Folkrock, und es verwundert daher kaum, daß das Debütalbum „Hoelderlins Traum“ von 1972 stark zum Folk und ein wenig auch zum Jazz tendierte. Fast nur mit akustischen Instrumenten – darunter auch Cello, Klavier, Geige sowie Block- und andere Flöten – hatte die Band ein beschauliches Stück entspannter Musik abgeliefert, für das Peter Bursch sogar Sitar zupfte. Die vorwiegend von Christian gedichteten deutschen Texte besaßen Atmosphäre, und alles in allem paßte das Album glänzend in die damals von vielen unserer Rockbands gepflegte Flucht in die Verinnerlichung Aus der Verträumtheit der frühen Jahre wurden Hoelderlin indes schnell geweckt: „Plötzlich waren wir halbwegs bekannt, wurden im Radio gespielt und erhielten Fernsehauftritte“, berichten Christian und Nanny, „und wir wußten gar nicht so recht, wie uns geschah“. Solche neuen Aspekte wurden jedoch besonders von einem gewissen Rolf-Ulrich Kaiser ausgeschlachtet, von dem die unselige Bezeichnung „Kosmische Musik“ stammt und der als Manager und Produzent vieler Bands für manchen Unsinn sorgte. Doch Kaiser verdanken, um es ironisch auszudrücken, eben diese Bands auch die im Musikgeschäft notwendige Kenntnis in Bezug auf Knebelverträge, Rechtsanwaltkosten und künstlerische Einengung. Hier liegt der Grund dafür, daß Hoelderlin zwischen ’72 und ’75 zwar kräftig durch die Lande tourten, Fans und Freunde sammelten, aber keine Platte veröffentlichten – besser: veröffentlichen durften. Und als Kaiser ausgestanden und ein neuer Vertrag bei „Spiegelei“ unterschrieben war, zeigten Hoelderlin mit dem Album „Hoelderlin die neue Richtung an: Durchweg lange Songs mit reichlich Melodien, interessanten Kurven, doch ohne Drehzahlmesser produziert; Joachim und Nops hatten Nanny’s Gesang übernommen, die Texte waren nunmehr englisch, und der Stil….nun, einige hörten dabei Genesis heraus, andere eine vorzügliche Mixtur aus Rock, Jazz, Klassik und Elektronik, doch eigentlich war’s schlichtweg Hoelderlin-Musik, deren Vorteil darin lag (und liegt), dem Hörer alles zwischen Treibenlassen und Loslegen anzubieten.

Mit den beiden folgenden Alben „Clowns & Clouds“ von 1976 sowie „Rare Birds“

ME 11/77) setzten Hoelderlin diesen Kurs fort, ungeachtet einiger Personal Wechsel: Bassist Peter-Kassim Käseberg, dessen Bruder Joachim für den Live-Sound zuständig ist, übergab sein Instrument an Hans Bäär von der Food Band; vor „Rare Birds“ stieg der Spanier Pablo Weeber für Christian Grumbkow ein, der sich nun um alles zwischen Bühne und Studio kümmerte und allein deshalb kaum mehr Zeit fand, auch noch an Tourneen, Proben und Produktionen teilzunehmen. Zudem war Kunstlehrer Christian noch anderweitig aktiv: Kürzlich stellte er in Remscheid eine Kollektion seiner Arbeiten vor – und daß die Hälfte seiner Werke dabei verkauft werden konnte, spricht wohl für die Qualität seiner Aquarelle.

Jüngst erfolgte ein weiterer Wechsel in Wuppertal: Pablo Weeber, dessen musikalisches Talent nie in Frage stand, der zudem auch für eine straffere Arbeitsweise bei Hoelderlin sorgte, verließ die Band wieder aus persönlichen Gründen. Ein wohl übertriebener Arbeitseifer, Mentalitätsunterschiede und menschliche Gegensätze hatten gezeigt, daß hier Pablo und dort Hoelderlin auf Dauer nicht zusammenpaßten. Doch für Ersatz ist gesorgt: Thomas Lohrer, Absolvent des Darmstädter Musikkonservatoriums, bringt die übrigen Hoelderlins ins Schwärmen: „Tommy hat sechs Jahre lang im Frankfurter Raum in zahlreichen US-Militärclubs gespielt, die Popmusik ‚rauf und ‚runter. Er verfügt über enorm viel Routine und hat unser Repertoire innerhalb von bloß drei Tagen gelernt“, meint Christian.

Auf der im März angelaufenen Tournee kann man Hoelderlin bereits mit Thomas erleben; nebenbei erscheint jedoch noch ein Live-Doppelalbum mit Pablo Weeber, das den beziehungsreichen Titel „Traumstadt“ trägt – „Traum“ als Hinweis auf die erste LP, „Stadt“ als Idee aus einem langjährigen und bisher nur live existierenden Hoelderlin-Klassiker namens „Die Stadt“. Die am 24. und 25. Oktober ’77 im Wuppertaler Opernhaus aufgenommene Doppel-LP gibt einen prächtigen Überblick über die Hoelderlin-Musik und enthält neben älteren Songs wie „Schwebebahn“ fast das gesamte „Clowns & Clowds“-Repertoire, dazu die neueren Titel „Häktik Intergaläktik“ und „Die Stadt“ einschließlich eines bemerkenswerten Bratschen-Solos von Nops Noppeney.