John Cipollina – Der letzte Hippie


Obwohl fast schon eine Legende, ist John Cipollina auch heute noch einer besten Gitarristen überhaupt. Daß er obendrein eine interessante Persönlichkeit ist, durfte Tom Hospelt im Interview feststellen...

Eine kleine Pension in Hamburg-Eppendorf. Das Zimmer, in dem ich stehe, sieht genauso aus, wie sich Otto N. eine sogenannte Rauschgifthöhle vorstellt. Der schmale Tisch, der in dem nicht besonders komfortablen Zimmer steht, ist übersäht mit verschiedenen Drogenuntensilien: eine noch leicht grünliche Nylontüte, in der mal ’ne Menge Grass gewesen sein muß, mehrere Pfeifen und ein paar über den Tisch verstreute Krümel Shit, eine Cassettenhülle, die noch Spuren mehrerer „Nasen“ zeigt, ein Röhrchen, ein Feuerzeug in Form einer Pistole und noch einige andere Kleinigkeiten. Mir gegenüber hinter diesen Tisch sitzt einer der wenigen übriggebliebenen Hippies: lange, glatte, braune Haare, schmales, stark gezeichnetes Gesicht, sehr intensive, etwas eingefallene Augen, dünn und ein wenig schlaksig in ebenso schlaksigen Klamotten. Er reicht mir die leicht zitternde Hand, „High, my name is John Cipollina.“ Ich fühle mich wie von einer Zeitmaschine plötzlich ich die Love & Peace-Zeit versetzt. Ich setze mich, schalte den Cassettenrecorder ein und bitte ihn, doch ein bißchen aus der der Zeit zu erzählen, als für ihn alles anfing, da ich selbst damals noch nicht sehr lange aus den Windeln raus war. John schaut mich stark musternd an und beginnt mit leiser Stimme langsam zu erzählen.

„Fangen wir ganz am Anfang an“, meint er. „Ich stamme aus einer Musikerfamilie. Meine Mutter war Konzertpianistin und ich fing mit zwei Jahren an Klavier zu spielen. Als ich zwölf war, stieg ich auf Gitarre um. Mit siebzehn hatte ich meine erste Gruppe, die Deacons. Als sich die Deacons 1964 auflösten, gründete ich mit David Freiberg (b) und Jim Murray (g) eine Band, die späteren Quicksilver Messenger Service. Ich glaube, es war so in der Mitte von 1965, als wir auf Gary Duncan (g) und Greg Elmore (dr) trafen und die Gruppe endgültig komplett war. Wir hatten zwar noch keinen Bandnamen, aber das war egal. Gespielt haben wir damals für zwei Unzen Marihuana. Jeder hat seinen Preis,“ sagt er und lächelt.

„Richtig angefangen hat es, glaube ich, als wir auf der jährlichen Weihnachtsfete der Szene spielten. Mit dem Geld, das wir dafür bekamen, mieteten wir ein Hausboot — und wir wurden eine richtiqe Band. Da wir Kohle brauchten — unser Baßmann hatte Ärger mit dem Gesetz und benötigte einen Anwalt — wurden wir Bill Graham vorgestellt und machten eine der ersten Fillmore-Shows. Wir sind danach fast permanent in San Francisco aufgetreten und meist waren es Freekonzerte, die wir für die Hippie-Community gaben. Der Grund dafür war der, daß wir für längere Zeit keinen Plattenvertrag unterschreiben wollten, weil alle Bands mit Vertrag nervende Promotion-Tours machen mußten. Da die Plattenverträge wie faule Tomaten gehandelt wurden, beschlossen wir, daß wir keinen brauchten.“

Bis 1968 blieben Quicksilver Messenger Service ihrer Devise treu, doch in diesem Jahr wurden ihre ersten beiden LPs eingespielt. Die erste, von Nick Gravenites produzierte LP QUICKSILVER MESSENGER SERVICE, und die zweite, aus Fillmore-Livestücken zusammengestellte LP HAPPY TRAILS, waren dann auch durch die Liveerfahrung der Band die Inkarnation des sogenannten Acid-Rocks, einer Stilart, die sich durch ihre Improvisation und ausgedehnten, immer wieder steigernden Gitarrenpassagen auszeichnete. Durch diese Platten wurde Cipollinas Gitarrenspiel auch über San Francisco hinaus bekannt, doch Quicksilver harten ihren kreativen Höhepunkt schon überschritten. Nach einigen Querelen und personellen Umbesetzungen verließ Cipollina 1970 die Band.

Nach seiner Trennung von Quicksilver lernte John auf verschiedenen Sessions die Musiker kennen, mit denen er die legendäre, kurzlebige Band Copperhead formierte. Daß Copperhead so plötzlich von der Bildfläche wieder verschwand, hatte dann auch seine bestimmten Gründe… Nach langen und teuren Studiosessions sollte die Copperhead LP auf dem Paramount-Label „Just Sunshine“ von Johns Freund Mike Laing veröffentlicht werden. Doch irgendwie lief bei Paramount nicht alles so wie es laufen sollte und Copperhead landete bei CBS. Ungewöhnlicherweise war der Deal um Copperhead, immerhin gings um 1,3 Mio Dollar, nur zwischen den beiden Labelchefs Laing und Clive Davis (CBS) abgewickelt worden. Auf jeden Fall wurde eines Tages im zu Paramount gehörenden Gulf & Western-Gebaude ein Bote gebustet, der ein Kilo Kokain bei sich trug. Da der Bote die Hosen gestrichen voll hatte, plapperte er sofort aus, daß er auf dem Weg zur CBS sei. Und die Namen einiger CBS-Bosse, unter anderem auch Clive Davis, spuckte er gleich auch noch mit aus. Davis wurde daraufhin gefilzt und in seinem Schreibtisch fand man den 1,3-Mio-Vertrag mit Copperhead zwischen Laing und ihm. Die Bullen entdeckten die Verbindung Paramount -— CBS und ihnen schien sonnenklar, daß mit dem Kilo Koks diese Band geködert werden sollte. Davis konnte seinen Sessel räumen und von diesem Zeitpunkt an wollte bei der CBS niemand etwas von Copperhead wissen. Die LP Pressung wurde bei 17 000 Exemplaren eingestellt und die Band löste sich Monate später auf. „Das Verrückte an der ganzen Geschichte ist“ meint John, „daß wir wirklich unschuldig waren. Wir haben nie etwas von dem Kokain gesehen und unsere ganze Arbeit an der Platte war für die Katz‘. Außerdem wurde ich, und auch die anderen Jungs, noch weitere drei Jahre vom FBI überwacht“.

Noch zur Quicksilver Zeit lernte John über Nicky Hopkins Terry Dolan kennen, in dessen lockerer Formation Terry & The Pirates er seitdem spielt. „Seit zehn Jahren jamme ich mit Terry. Und seit acht Jahren sind wir eine Band. Angefangen hat die Sache als reines Vergnügen.“ 1980 wurde in Deutschland auch ein erstes Terry & The Pirates Album, THE DOUBTFUL HANDSHAKE, veröffentlicht, und es ist laut einhelliger Kritikermeinung eines der erfrischendsten und besten Produkte, das in den letzten Jahren an der amerikanischen Westküste aufgenommen wurde. Ein weiteres Terry & The Pirates Album wird, so John, demnächst folgen und auf Deutschlandtournee wird die Band im Sommer wahrscheinlich auch sein. 1975 widmete John sich zwei Projekten. Einerseits tourte er mit Man, die er in Frisco kennen- und liebengelernt hatte, durch England, wobei das Livealbum MAXIMUM DARKNESS mitgeschnitten wurde und andererseits spielte er mit seinen ehemaligen Kollegen die Quicksilver Reunion LP SOLID S1LVER ein. „Das war schon eine recht seltsame Sache, weil wir uns ganze fünf Jahre nicht gesehen hatten“, kommentierte er die LP.

Ein Jahr später startete John ein weiteres Vorhaben: Raven. „Raven war eigentlich ein Soloprojekt von mir. Ich hatte meinen Freunden gesagt, daß ich ins Studio gehen wollte, um von meinem Material einige Demos aufzunehmen. Da ich die Idee einer Rock’n’Roll Big-Band hatte, brauchte ich für die Aufnahmen zwei Schlagzeuger – David Weber und Andrew Kirby, zwei Keyboardspieler Nicky Hopkins und Hutch Hutchinson, der auch gleichzeitig Sänger der Band war, einen Baß mann — Skip Olson und zwei Gitarristen – Greg Douglas und ich. Die meisten Songs, die wir damals gespielt haben, sind auch auf dem Line-Album RAVEN. Es sah zwar von Anfang so aus, als ob wir eine richtige Gruppe wären, doch das war nie wie der der Fall. Insgesamt haben wir, glaube ich, nur sechs Livegigs gemacht“.

Wer Cipollina mal auf einem seiner Livegigs beobachtet hat, der wird das Geheimnis um seinen fantastischen Gitarrenstil schnell gelüftet haben. John spielt fast ausschließlich nur mit Bigsby (Wimmerkralle) und Fingerpicking. Er selbst erklärt sich seinen Stil so: „Ich habe versucht, jeden zu kopieren. Wirklich beeinflußt hat mich allerdings Link Wray. Ich habe mich mit ihm auch kürzlich darüber unterhalten, ob wir mal gemeinsam ne Platte aufnehmen.“ Außer seiner großen Vorliebe für Gitarren, er entwirft auch selbst welche, hat John ein Faible für Schußwaffen. „Obwohl ich ein exzellenter Schütze bin, bin ich mehr ein Sammler. Mit einer Knarre hatte ich auch mein erstes kosmisch-religiöses Erlebnis. Ich merkte, daß ich ganz leicht aus meinem Körper gehen konnte. Es passierte, als ich zwölf Jahre alt war. Wir schossen auf Streichhölzer und ich sah das Streichholz, konzentrierte mich und ging aus meinem Körper in dieses Streichholz. Dann nahm ich die Pistole, zielte und merkte ganz deutlich, als sie auf das Streichholz zeigte —- ich zog ab und traf genau ins Schwarze.

Erst Jahre später habe ich Bücher über Zen und die Meditation gelesen. Aber um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Ich bin gegen Gewalt. Ich habe noch nie jemanden geschlagen, auch wenn ich eine der kältesten und grausamsten Waffensammlungen im Schrank stehen habe.“ Stark zu Johns Waffenleidenschaft beigetragen, hat sicher sein Cowboy und Outlawtrip, auf dem er und die gesamte Band zur Quicksilver Zeit kamen. Während die Grateful Dead, mit denen sie befreundet waren, voll auf dem Indianertrip waren und in einem Zeltlager lebten, lebten Quicksilver in voller Cowboymontur auf einer großen Ranch und hielten sich Unmengen von Pferden, Hunden und sogar einen Wolf. „Manchmal“ sagt John und grinst, „haben wir uns sogar gegenseitig überfallen.“

Ein Thema, daß man bei Cipollina, einem der Pioniere des Acid-Rocks nicht ausklammern kann, sind Drogen oder speziell LSD(Acid). Quicksilver kam gerade zu die Zeit auf, als in San Francisco die großen, damals noch legalen LSD Tests liefen. Die Band mischte kräftig mit und die Droge bestimmte ihre Musik. Sie bekam ein sphärischen Klang und die Songs lösten sich in endlose Improvisationen auf. Besonders interessierte mich die Frage, ob John Drogen für seine Musik unbedingt notwendig hält. „Ich weiß es nicht“, meint er „Das kann ich nicht beurteilen, weil es eigentlich nie eine Zeit gab, wo sie nicht im Spiel waren.“

Das wichtigste in Johns Musikerleben sind jedoch nicht Drogen, Gitarren, Pistolen oder Frauen, sondern sein Publikum. „Das Publikum ist der Grund, warum ich überhaupt spiele. Wenn ich zu lange im Studio hänge, werde ich frustriert. Ich brauche das Feedback unbedingt. Meine größte Angst wäre es, eine Platte zu veröffentlichen, ohne die Songs vorher live gespielt zu haben. Ich brauche das Publikum, um zu wissen, was wirklich gut und nicht gut ist. Den größten Fehler, den ein Musiker machen kann, ist es, sein Publikum zu unterschätzen. Ich versuche, mein Publikum immer gut zu unterhalten. Ich bin nicht der Typ, der eine große Message verbreiten will. Anyway, Im just a rock ’n roller and I wanna be part of the good life,“ sagt er und hat damit seine Lebensphilosophie auf den kürzesten Nenner gebracht.