Madness aus der Mülltüte


Erst als sie damit auf hörten, jedem gefallen zu wollen, wurden Deichkind von allen geliebt. Die seltsame Entwicklung einer HipHop-Band zum Konsens-Techno-Act, der populistische Parolen schwingt. Jetzt mit Ferris MC.

Die „Listening Session“ gehört zu den nicht wenigen originellen Erfindungen der Musikindustrie, um sich vor Internet-Piraterie zu schützen. Dafür werden Medienmenschen entweder tagsüber ins örtliche Büro der Plattenfirma oder abends an einen möglichst hippen Ort zitiert, wo sie die Gelegenheit haben, das neue Album einer Band ein- bis zweimal anzuhören. Um die Veranstaltung am möglichst hippen Ort möglichst nicht zu musiklastig geraten zu lassen, werden Erfrischungen gereicht. Schätzungsweise 90 Prozent der Besucher einer Listening Session an einem hippen Ort sind wenig bis gar nicht an der Musik interessiert, dagegen sehr an den Erfrischungen. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass Listening Sessions, die in Büros von Plattenfirmen abgehalten werden, vielleicht von fünf Medienmenschen, die hippen Abendveranstaltungen dagegen von der zehnfachen Anzahl besucht werden..

Die Listening Session zum vierten Deichkind-Album arbeit nervt! rindet im hippen Münchener Glockenbachviertel in einem hippen Hamburgerrestaurant statt, dessen postmodernistischer schäbiger Charme nicht gewachsen, sondern einer auf schäbig gemachten teuren Innenarchitektur zu verdanken ist. Am hintersten Tisch sitzen MC Philipp Grütering und Bassist Porky in ihrer Bühnenkleidung. Also in mit Gaffertape zurechtgestylten Müllsäcken. Der Tisch vor ihnen gleicht dem auf einem Kinderflohmarkt. Darauf sind Spielsachen, Kinderkeyboards und allerhand Bühnenutensilien drapiert – die Pyramidenhüte zum Beispiel. Grütering und Porky wirken ein bisschen verloren, so wie Gäste auf ihrer eigenen Party. DJ Phono ist nicht da. Er befindet sich, wie wir später erfahren werden, gerade im Krankenhaus. Mit Verdacht auf Nasenbeinbruch. Es gab da einen kleinen Unfall eine halbe Stunde vorher. Porky ist beim Anlegen der Bühnenkleidung das Gaffertape gerissen und dabei mit seinem Ellenbogen auf Phonos Nase gekracht. Der Bruch stellt sich als Prellung heraus. Am Tag danach laden Deichkind zum Interview in ein Münchener Hotel ein. Der Tisch dort sieht noch viel mehr nach Kinderflohmarkt aus, weil darauf noch viel mehr Kram herumliegt. Zum Beispiel die DVD von Jared Hess‘ wunderbarem Film „Napoleon Dynamite“. Deichkind sind vollzählig – fast. Philipp, Phono und Porky. Nur Neumitglied Ferris MC, der im Frühjahr für Buddy Inflagranti dazugekommen ist, ist nicht dabei. Zumindest nicht physisch, dafür aber seine Stimme, als Sample auf einem Keyboard. Deichkind servieren Champagner und checken erst einmal ihren Interviewer aus. Aber keine Angst, der macht das umgekehrt genauso.

Ironie und „Realität auseinanderzuhalten, fallt schwer. Zuerst erzählen sie von den beiden „Lagern“ in der Band. „Du wirst merken, dass es große Meinungsverschiedenheiten zwischen den Lagern gibt“, sagt Phono. „Es gibt Schnittmengen, aber es gibt auch große Unterschiede. Und deshalb gibt es zwei Autos, wenn wir auf Tour gehen, ein Dinkel-Auto, ein Kapitalo-Auto. Im Kapitalo-Auto werden Witze gemacht, es wird gefurzt und gerülpst. Und im Dinkel-Auto wird über Hochkultur geredet.“ DJ Phono ist so etwas wie das intellektuelle Gewissen der Band, Porky fühlt sich als Angehöriger des „Prekariats“ („Ich befinde mich wahrscheinlich in der Unterschicht. Ich fahre ja auch im Asi-Auto mit“), und Philipp stellt die Vereinigungsmenge aus beiden dar.

Deichkind wurden 1997 in Hamburg gegründet und gleich in die Schublade „deutscher HipHop“ gesteckt, der damals seine Hochzeit hatte. Aber mit ihrem satirischen Ansatz, der nichts zu tun hatte mit der Lustigkeit vieler deutscher HipHopper, hatten sie sich zwischen die Stühle gesetzt. 2006 erschien das dritte Album aufstand im Schlaraffenland. Es war die Neuerfindung als Tech-Rap-Band. Die Single „Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah)“ wurde zum modernen Klassiker, der noch (oder wieder) zwei Jahre später auf den unteren Plätzen der Singles-Charts auftaucht. Ein Song, auf den sich alle einigen können. Die Deichkind-Neuerfindung ging mit dem Niedergang des deutschen HipHop der alten Schule (dem jenseits von Sido

und Bushido) einher. Porky sieht eine Verbindung zwischen den beiden Ereignissen: „Der Tod des Hamburger und des deutschen HipHop hat schon ein bisschen damit zu tun gehabt. Auch deshalb, weil Deichkind in der HipHop-Szene nie richtig akzeptiert waren, glücklicherweise. Deswegen konnten wir diesen Bruch auch so ungestraft machen.“

Während DJ Phono die Entwicklung eher als konsequenten Schritt einer Band sieht, deren wesentliches Merkmal die Satire ist. „Wir sind schon immer eine Satire-Band gewesen. Wir waren früher eine Hip-Hop-Satire-Band. Wir haben das fünf Jahre oder so gemacht. Nach so einer Zeit kommt oftmals der Moment, wo man denkt, jetzt hab ich mal Bock, was anderes zu machen. Und dann haben wir einfach die Thematik gewechselt. Jetzt sind wir eine Techno-Satire-Band.“

Obwohl die Technoszene nicht unbedingt für Humor und Selbstironie bekannt ist, sind Deichkind da voll akzeptiert. DJ Hell lädt sie zu seiner Clubnacht ein, sie kollaborieren, gastieren und remixen mit und für Technoacts wie T.Raumschmiere. „Irgendwann kam mal DJ Woody auf uns zu“, erinnert sich Grütering, „und hat gemeint: ,In der Elektroszene benimmt man sich.‘ Ich fand es erstaunlich, wie wenig mich das tangiert hat. In der HipHop-Szene war ich da sehr sensibel. Ich habe als Jugendlicher angefangen, die Amis zu imitieren: A Tribe Called Quest, De La Soul und so weiter. Dann habe ich angefangen, Freestyle zu machen. Im Endeffekt habe ich das alles getan, um in irgendein Genre zu passen. Dann habe ich gemerkt, dass es nervtötend ist, wenn man versucht, den Leuten zugefallen. Es war ein bewusster Schritt zu sagen, wir brechen jetzt mit diesem Klischee und machen Techno. Vielleicht sind wir auch deswegen anerkannt, weil wir eigen sind, weil wir nicht versuchen, etwas zu kopieren.“ Das neue und vierte Deichkind-Album arbeit nervt! stellt die Vollendung des Tech-Rap-Konzepts dar und kann thematisch als populistische Solidarisierung mit dem „Prekariat“ ausgelegt werden. „Beim vierten Album endlich einmal ein Titel, der alle anspricht“, sagt Grütering. Und Phono: „Eine Marketing-technisch perfekt gewählte Phrase. Deichkind hatten schon immer auch den Wunsch zu unterhalten und eine Sprache zu finden, die verstanden wird – wenn ich jetzt an die Show denke, das Spektakel, weil es auch universell funktioniert.“

Und was Sagt FerriS dazu? Lassen wir ihn zu Wort kommen.

Aus dem Keyboard: ,Arbeit nervt. Deswegen bin ich bei Deichkind. Ich hab Buddys Part beim Pokern gewonnen. Jetzt muss ich mit der Klöterclique dieAy rauf und runter. Ich hab die Arschkarte gezogen. Ich bin spielsüchtig. Ich brauche Geld. Ich tu das nur fürs Geld. Die Musik ist scheiße. Deichkind behandeln ihre Haustiere besser als mich. Mit der Musik bin ich teilweise unzufrieden. Ich hatte die Wahl: unter Mülltüten schlafen oder Mülltüten tragen. Arbeit nervt. Deswegen bin ich bei Deichkind, um viel Freizeit zu genießen, damit ich mit meinen beiden Katzen zu Hause schmusen kann. Und bestimmte Sätze in meinen Raps wurden geändert. Sogar das, was ich gerade sage, muss ich ablesen“. Da schleichen sich leichte Bedenken ein, dass Ferris vielleicht ein bisschen zu asi sein könnte, um sich bei Deichkind zu integrieren. Porky: „Wir hatten auch Zweifel.“ Grütering: „Wir diktieren, was er macht.“ Phono: „Deshalb halten wir ihn im Zaum. Er kriegt nicht seine eigene Show. Der Ferris-Faktor wird von uns dosiert. Aber: Wer außer Ferris würde dir spontan einfallen, der sich in die Klöterclique integrieren könnte? Es gibt keinen, wenn du darüber nachdenkst.“ >» www.deichkind.de