Madness…immerhin besser als Gartenarbeit


Irgendwie sind die Leute in dieser Show merkwürdig,“ ist dir das aufgefallen?“ Chas Smash, ehemals Carl Smith, starrt durch eine dunkle Brille auf die Mitwirkenden von Tiswas. „Die haben doch alle ihren Geist aufgegeben, hoffnungslos.“

Carl bringt mich durch das kleine Studio hinter Kameras hindurch und über Kabel hinweg in ein Hinterzimmer, wo der Schurke der Show, ein Phantom-Torten-Werfer (PTT), über seiner Rolle brütet. Der Schauspieler im schwarzen Anzug schaut überrascht auf, als zwei Eindringlinge – einer davon auffällig verrückt – auf ihn zustelzen.

Chas nimmt ihm das grüne Manuskript aus dem Handschuh.

„Zeig mal dein Script. Ich muß doch sehen, wo ich überrascht oder schockiert aussehen soll, weißt du was ich meine, mein Freund? Egal, ist das hier ein fairer Job? Nimm dir deine zwei Wochen Urlaub.“ Der Schauspieler verdrückt sich so höflich, wie es ihm nur möglich ist.

„Das ist der Tortenwerfer, stimmts? Sieh dir all diese pies an, die hier schon auf ihn warten. „Ein Studio-Techniker springt schulmeisterhaft hinter dem Vorhang vor in der Hoffnung, Chas mit seinen „Was-hast-duvor-„Blick auf psychologische Art zurückzuhalten.

»Keine Sorge, John, ich rühre die Torten nicht an. Ich weiß doch, daß ihr verrückt werdet, wenn jemand den Kuchen anfaßt, ehe es so weit ist. Die Gewerkschaft bestimmt, habe ich recht? Keine Angst, Kamerad, du machst deinen Job großartig – keiner vergreift sich an deinen Kuchen, wir gehen schon.“ Als wir uns unter dem verächtlichen Blick des Studio-Typen entfernen, wispert Chas mir zu: „Dieser Phantom-Tortenwerfer – ein astreiner Junkie, kein Zweifel.“

Am Anfang war es die Eifersucht, die Carl Smith dazu veranlaßte, seinen Namen in Chas umzuändern. Graham McPherson – der als Suggs bei Madness die zweite Hälfte der Coco-Brothers spielt – stahl ihm, wie er meinte, die Show, die eigentlich ihm gebührte.

Chas ist ein Original. Der erste 2 Tone-Star, ein Bursche, der die Invasion der Bühne zur wahren Kunst erhob und dann seinen eigenen Coup landete. Keine Gitarren, keine Stimme aber ein echter Top Of The Pops-Held. Eine britische Parallele zum Travolta-Johnny aus Saturday Night Fever.

Madness haben sich in den ATV Studios verstreut. Sie warten darauf, ihr neues Album, ABSOLUTELY, für die Show abzufahren. Nur sie und The Beat schafften es, zu überleben, während 2 Tone sich langsam in Wohlgefallen auflöst; Selecter sich trennten und die Specials sich damit zufrieden geben, den dope set mit zynischen Party-Stücken zu bedienen. Doch solange eine Band wie Madness gedeihen kann, gibt es noch Hoffnung für jeden frustrierten Schulabgänger, der jetzt als Verkäufer seinen Alltag fristet.

Ich will von ihnen wissen, wie Amerika auf den nutty sound reagiert hat. „Wir haben in tausend kleinen Clubs gespielt, aber wenn du in Orten wie Portland oder Oregon auftrittst – das ist alles sinnlos. Während unseres Auftritts spielten alle Poolbillard und gegen den Krach von Billardkugeln kommt die Musik nicht an. Wir sind zum Schluß immer fast von der Bühne gesprungen. In größeren Hallen hat man uns wiederum ganz gut aufgenommen. Es heißt, daß Mick Jagger in New York zu uns kam, aber das war wahrscheinlich nur für fünf Minuten, um zu beweisen, daß er der hipste Typ der Stadt ist.“

In der Garderobe fachsimpeln Suggs und Smash inzwischen darüber, wie sie während der Show wohl am besten verhindern können, naßgemacht zu werden. Madness spielen am liebsten vor Kids unter 16. Suggs: „Ich glaube, das kommt uns ebenso wie den Kindern zugute. Wir können richtig bescheuert sein. Aber Kinder haben ein Anrecht darauf. Wenn nur Kinder im Publikum sind, wird’s meist völlig irre. Sie haben keine Vorurteile oder Vorstellungen davon, was es heißt, supercool zu sein. Das sind einfach immer großartige Gigs.“

Nach der Show fällt die Hektik von den Musikern ab und sie entfernen sich in alle Himmelsrichtungen aus dem Studio. Die Leute von Madness verbringen nicht allzuviel Zeit miteinander. Die Coco-Brüder können der Versuchung nicht widerstehen, in voller Verkleidung durch das Einkaufszentrum zum Zug zu laufen. Auf dem Bahnsteig schließlich kritzeln sie noch einige ihrer lächerlichen langen Autogramme (die nie zu wiederholen sind) für zwei kleine Jungs nieder. („Wir haben euch gerade im Fernsehen gesehen“). Es muß Stress sein, ein Coco-Brunder zu sein.

Suggs: Yeah, that’s it. Speziell im Ausland, wo sie von dir erwarten, daß du schon morgens um acht den Verrückten mimst.

Suggs: Kannst du dich noch an die Foto-Session neulich erinnern, Carl? Wir hatten ein paar wirklich ausgedrehte Ideen. Dann sagen die meisten Leute, es sei ja doch nur Spaß. Oder die Reviews, in denen man sich halbwegs dafür entschuldigt, daß man unser Album gut findet. Wir wollen in der Tat nur unterhalten…

Chas: In der Hauptsache uns…

Suggs: Obwohl, wie man sagt, es besser ist als Gartenarbeit, die wir auch schon gemacht haben.

Wie gefällt Euch die Rockmusik?

Suggs: „Es ist ganz gut, dabei zu sein. Aber ich finde es albern, über andere Gruppen zu reden, weil jemand wie Fleetwood Mac… es ist doch offensichtlich, daß sie es nicht besser verstehen.

Als wir anfingen, haben wir nie so getan, als täten wir’s für die Leute. Es ging uns grundsätzlich nur um uns.

Chas: Als wir anfingen, nannte ich mich Chas, zog mir die Klamotten an und setzte mir den Hut auf, weil ich dieselbe Aufmerksamkeit wie Suggs erregen wollte. Jetzt ist es so weit, und ich will es teilweise gar nicht. Der Aspekt des Verrückten ist für mich gelaufen. Was mich jetzt interessiert, ist das Geld. Ich konnte noch nie die Leute verstehen, die behauptet haben, daß das Geld sie nie interessiert habe. Was soll das? Arbeiten wir richtig?

Es scheint, als ob ihr härter als andere arbeitet.

Chas: Ich hätte gern, wenn bei uns mehr Theater dabei wäre, Comedy.

Suggs: Ja, aber es ist ziemlich schwer, Ideen zu finden, die man visuell auch eindrucksvoll umsetzen kann, ohne gleich auf Lichter und Rauch und so angewiesen zu sein.“

Chas: Eine andere Sache ist – ich will nicht, daß das alles morgen plötzlich vorbei ist und ich nichts dabei gelernt habe. Ich will meine Zeit nicht vergeuden, deshalb bin ich dabei, Baß, Trompete und Saxophon zu lernen – weiß der Himmel, wir haben wirklich genug Zeit zum lernen, wenn wir unterwegs sind. Du mußt eben konstruktiv sein.

Suggs: Kannst du dir vorstellen, daß wir auch noch mit 30 so über die Bühne hüpfen?

„Embarrassment“ auf der neuen LP ist das beste Stück, das ihr je gemacht habt. Mehr Motown, weniger Ska.

Suggs: Wenn du dir mal eins unserer älteren Interviews durchliest, würdest du feststellen, daß wir eigentlich mehr an Motown als an Ska interessiert sind. Ich meine, wir standen auf Ska. Aber ich dachte, das sei eben Reggae und mußte mich deshalb erst einmal informieren. Deshalb konnte ich nachher von Prince Buster usw. reden…

Habt ihr dieses ganze nutty thing eigentlich geplant?

Chas: Das entwickelte sich ganz natürlich. Es passierte einfach.

Passiert es eigentlich des öfteren auch manchmal nicht?

Suggs: Ich spüre meine Nerven immer noch ganz schön, ehe wir anfangen.

Chas: Am schlimmsten ist es, wenn die Menge da unten nur aus Rüpeln besteht. Wenn wir die Hälfte geschafft haben, sehe ich ihn an und sage… Suggs: …lucking hell…

Chas: …wir haben’s schon halb geschafft, Suggs, wir sind schon halb durch.“

Suggs: Es gibt Abende, da stehst du in deinem albernen Anzug auf der Bühne, spielst verrückt, und die Leute glotzen nur und du denkst, hick nie….‘ Habt ihr nicht manchmal den Wunsch, auszusteigen?

Chas: Natürlich, aber das mußt du abschütteln. Ich meine, wo und was würde ich ohne all das jetzt sein?

Suggs: Mit Sicherheit würdest du jetzt nicht erster Klasse mit diesem albernen Hut und der Pappnase von Birmingham kommen.

Chas: Am Ende ist es doch so, daß man sich daran erinnert, wie der alte Knacker in der Schule immer meinte, „du mußt jetzt lernen, mein Junge, daß es kein Zuckerschlecken wird, wenn ihr rauskommt.“ Ich denke daran und ich wüßte nicht, was ich jetzt tun würde… wenn ich nicht bei Madness den Verrückten spielen würde.

Kurz bevor der Zug in London, Euston Station einrollt, nimmt Chas den Hut ab, zerrt die Clownsmaske vom Gesicht und wischt sich die Bemalung vom Kinn. „Manchmal“, sagt er „macht mich dieser Scheiß richtig krank.“ Und die Maske fallt auf den Boden.