Marillion: Schlammschlacht


Szenen einer Ehe: Fish, gewaltiger Shouter, Clown und Frontmann der Symphonie-Rocker Marillion, hat die Band-Faxen satt, schwimmt zu neuen Ufern. Hanspeter Künzler sprach mit dem Abtrünnigen und der verlassenen Rumpfband.

Die Meldung, Marillion und ihr Sänger und Texter Fish würden fortan getrennte Wege gehen, schlug ein wie eine Bombe. „Musikalische Meinungsverschiedenheiten“ hieß es lapidar. Doch waren dem Split Gerüchte vorausgeeilt, die eher darauf hinzudeuten schienen, daß hier eine weitere Star-Combo drauf und dran war, ihre Finanzen und Hirnzellen in einem Feuerwerk von Exzessen zu verpulvern. Der anklagende Zeigefinger deutete vor allem in die Richtung des extrovertierten Frontmannes Fish – wohl nicht zuletzt deswegen, weil die restlichen Musiker sich gern hinter seinem breiten Rücken versteckten, wenn es um Musiker-Öffentlichkeitsarbeit ging.

Jenen „gewöhnlich gut informierten Kreisen“ zufolge wurde es mit Fish aber so schlimm, daß sich ein Journalist nach einem Interview bemüßigt fühlte, der Plattenfirma den Ratschlag zu geben, Fish doch dringlichst an die Zügel zu nehmen. Man möge ihn zwar, doch sei die Zeit nicht mehr fern, wo man der Öffentlichkeit vermelden müsse, was er sich und anderen alles antue.

Gesund schaut er drein, dieser Fish. Und guter Laune ist er ebenfalls: „Es ist ein absolut wundervolles Gefühl! Nicht oberflächlich angenehm, sondern zutiefst wundervoll! Der Enthusiasmus, der Pepp und die Energie sind wieder da, wie damals, 1981, als ich Marillion beitrat. It’s a fucking great feeling!“

Und warum diese Euphorie?

„Keine Kommittee-Meetings mehr! Ich werde nie mehr eine Band haben. Wenn ich morgen ein Album mit akustischer Harfe machen will, kann ich das. Wenn ich nach der nächsten Tour ein Thrash Metal-Album machen will, kann ich das auch!“

In der Tat ist Fish in letzter Zeit fleißig gewesen. Da wäre einmal das Buch, das er zusammen mit Mark Wilkinson, dem Schöpfer aller Marillion- und fortan Fish-Covers, zusammenstellt. Dann ein weiteres Buch mit den Texten und Gedichten, sowie deren Entstehungsgeschichten, die sich über die Jahre hinweg in Fishs Schublade angesammelt haben. Dazu Pläne, für den Erfinder der Muppet Show, Jim Henson, in einer neuen TV-Show vor die Kamera zu treten und an einer filmischen Umsetzung der legendären Wilhelm Tell-Story mitzuwirken.

Auch hinter der Kamera möchte Fish künftig arbeiten: „Ich hoffe sehr, in meinen Videos bald selber Regie zu führen. Als erstes möchte ich die Entstehung meiner neuen LP vom ersten Moment an dokumentieren.“

Vorher aber wird umgezogen – zurück nach Schottland, auf eine Farm in der Nähe von Edinburgh: „Ich mag diesen Yuppie-Lebensstil hier in Südengland überhaupt nicht. Ich will mit Menschen zu tun haben, nicht mit wandelnden Rechenmaschinen.“ In der Scheune wird er sich einen Übungsraum einrichten, und die ersten Solokonzerte sollen auf den Shetland Inseln stattfinden.

Vor allem aber ist Fish hier näher an den Ursprüngen der „musikalischen Meinungsverschiedenheiten“, die auch etwas mit dem Marillion-Split zu tun hatten: „Ich habe wieder begonnen, traditionelle Folk-Musik zu hören. Damit bin ich aufgewachsen, mein erstes Instrument war ein Akkordeon. Ein Dudelsack-Lament bewegt mich, die schnellen Jigs und Reels bringen mich in Schwung. Außerdem liebe ich diese Folk-Gesänge, wo die Stimme auf- und abwogt. Diese Art des Singens wollte ich weiter auskundschaften. Für mich war CLUTCHING AT STRAWS ein Wendepunkt.“

Also tatsächlich nur musikalische Meinungsverschiedenheiten zwischen Sänger/Frontmann und Band…?

„Das war der einfachste Ausweg, eine Menge von Problemen zu umschreiben. Schon bei den Aufnahmen von CLUTCHING… herrschte ein ständiges Seilziehen hinsichtlich unserer musikalischen Stoßrichtung. Die nachfolgende Tour dann war schrecklich für mich. Die Attitüde der Band schien mir falsch – der Akzent war zu sehr auf dem Finanziellen. Ich wurde immer deprimierter, begann zu saufen und in Bars herumzuhängen, um meine Situation zu verdrängen. „

In der Folge tauchten streßbedingte Probleme mit der Stimme auf, was Fish noch des letzten Tour-Vergnügens beraubte: auf der Bühne zu stehen und zu singen. „Ich fühlte mich isoliert. Bei Unstimmigkeiten waren es immer vier gegen einen. Sie zeigten auch überhaupt keine Sympathie für meine Lage, meinten bloß, ich würde diese Depressionen nur dem Alkohol zuzuschreiben haben. Es wurde so schlimm, daß ich, wenn ich mit jemand reden wollte, zur Road-Crew ging.“ Die restliche Band habe hintenrum potentielle Fish-Ersätze durchdiskutiert, erzählte ihm eines Tages gar der Tourbus-Chauffeur.

Die Eiterbeule brach allerdings erst auf, als Marillion mitten in den Aufnahmen fürs nächste Album steckte: „Ich hörte die neu eingespielten Instrumentalpassagen, und es waren dieselben alten Ideen. Alles klang wie, Kayleigh‘ oder ‚Script…‘. Ich war überzeugt, wir sollten unsere Musik einfacher machen, eben folkigeren Pfaden folgen. Ich machte Vorschläge, doch ging niemand drauf ein.“

Pikanterweise stand gerade ein megaprofitabler Vertrag mit einem Musikverlag ins Haus: „Man redete nur noch vom Geld. Keiner redete vom Album. Und während einer besonders lauten Diskussion sagte tatsächlich einer: ‚Laß uns doch noch für dieses Album zusammenbleiben. Mit den Kohlen dafür können wir uns nachher zur Ruhe setzen.‘ So wollte ich mein Leben nicht führen. Meine Integrität ist mir wichtiger als der Reichtum, den ein Leben mit Marillion versprach.“

Komisch, auch die verbleibenden Marillion sind happy. Ihr nächstes Album ist schon fast fertig – es fehlt allerdings am Sänger. „Eine Fish-Kopie wäre falsch“, meint Keyboarder Mark Kelly, „wir suchen jemanden, der die alten Stücke überzeugend singen kann, aber auch Ideen für neues Material beisteuert.“

Abschweifungen vom bisherigen Musikpfad sind nicht vorgesehen. Mark: „Das war das Problem mit Fish: Er wollte, daß wir unsere Richtung änderten. Eine Weile versuchten wir es, doch wirkte das nicht überzeugend. Letztlich können wir nur die Musik mit Überzeugung vortragen, mit der wir sozusagen aufgewachsen sind.“

Und wie sah der Split aus Marillions Sicht aus?

“ Wir hätten uns wohl mehr Mühe gegeben, ihn in der Band zu behalten, wenn er besser auf sich aufgepaßt hätte, präsentabler geblieben wäre.“

Widerspricht Gitarrist Steve Rothery: „Das war kein Problem. Das Problem war, daß wir musikalisch völlig auseinanderdrifteten.“

Mark: „Zu lauten Diskussionen kam’s eigentlich erst, als Fish uns eröffnete, er möge unsere Musik nicht, nachdem wir drei Monate dran gearbeitet hatten und er selbst keinen Beitrag dazu geleistet hatte. Da sagten wir ihm, seine Texte seien auch nicht so gut, wie man das von ihm erwarte …“

Als akustischer Grabstein erschien unlängst ein Doppel-Live Album, das den Werdegang der Combo dokumentieren soll und keinen neuen Akt zynischer Banknoten-Gier darstellt. Mark: „Sowas hatten wir sowieso geplant.“